Die Poesie des Biers 2. Jürgen Roth
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Literaturfähiger Soziotopersat könnten solche Snack-Points wie der Caddy, dieser gewagte Stehimbiß bei dir um die Ecke, oder umgerüstete Tankstellen wie der Rossi sein.
Ja. Wir könnten da schon korrekterweise im Plural reden. Wir schätzen sowohl den genannten Caddy als die umgebaute Rossi-Tankstelle in der Raimundstraße aufs äußerste – verwegene Kommunikationsformationen, die manchmal, mehr im Winter, an einen bitterlich vor sich hin vegetierenden Wartesaal erinnern. Im Sommer ist meine Hauptassoziation irgendwo bei John-Steinbeck- oder auch Gershwin-Modellen angesiedelt. Ich hab’ mal die noch kühnere Vision entwickelt, daß man auf den Grünstreifen der größeren Straßen im Sommer zechen könnte und daß das hervorragend zu Frankfurt passen würde.
Müßiggang, Schlendrian, eine Art variiertes Hippietum – das alles paßt in unsere rasende, profitsüchtige Zeit nicht mehr.
Ja. Aber ich bin da nicht mehr unbedingt die richtige Auskunftsstelle. Ich bin neulich zufällig an einem Lokal in der Börsengegend vorbeigekommen, wo die neuste Formation der Aufsteiger täglich gezwungenermaßen beieinanderhockt, in der Realität wie in der ZDF- Serie Ein Fall für zwei. Das dürfte jetzt eine häufigere Geselligkeitsform in Frankfurt sein, die natürlich nicht unbedingt uns als Gäste erhofft und erwartet – und umgekehrt. Das beruht wahrscheinlich auf wechselseitiger Fremdheit, ja Verabscheuung.
Wenn wir noch mal zum sozusagen Satirestandort Frankfurt zurückkehren können: Satire ist heute, einem Diktum von dir zufolge, durch und durch Sprachkritik. Just an der hiesigen Universität wird das »Unwort des Jahres« ausgeheckt. Du hast vor Jahren die Wahl des Kohlschen »Kollektiven Freizeitparks« mißbilligend kommentiert und Helmut Kohl vor dieser Kür in Schutz genommen.
Die Formulierung ist wahrscheinlich nicht vom Kohl, aber wenn man rein sprachliche Kriterien bemüht und unterstellt, sie wäre von Kohl: dann ist sie nicht schlecht. Diese nicht mehr ganz überschaubaren Unwörter und Wörter des Jahres kranken häufig, ja fast immer daran, daß eine schlechte Gesinnung mit einer schlechten Formulierung verwechselt wird. Es kann eine zynische Gesinnung durchaus mal mit einer guten Formulierung einhergehen. Zufällig habe ich heute was recht Schönes in den gesammelten Werken von Matthias Beltz gelesen. Neben auch etwas flacheren Faseleien, die er veranstaltet hat, steht die richtige Frage, was man eigentlich dauernd gegen Menschenverachtung habe. Wen soll man denn sonst verachten außer Menschen? Also, Elefanten kann man nicht verachten, und die Alpen bieten sich auch nicht so sehr an. Das Wetter wird neuerdings sehr verachtet auf sämtlichen Kanälen. – Was die Frankfurter Satiriker angeht, wollte ich doch noch anfügen, daß die manchmal nach außen so scheinende Affinität der Stadt zu Satire und Kritik eine grobe Täuschung ist, im nachhinein. Das läßt sich leicht daran ablesen, daß die ersten Ausstellungen zur Neuen Frankfurter Schule in Marburg, in Wiesbaden, in München und weiß Gott wo stattfanden, und erst an fünfter oder siebter Stelle kam Frankfurt. Die Stadt hat mit großer Verspätung gemerkt, daß hier was nachwächst, das im weitesten Sinne sogar der Imagebildung dient. Nun gründen sich ganze Kulturbeamtenexistenzen auf dieser Neuen Frankfurter Schule, es werden Preise vergeben – und ähnlicher Unfug.
Ich muß noch mal auf den Zusammenprall von Literatur und Politik in Frankfurt zu sprechen kommen. Denn 1985, nach der Veröffentlichung deiner Helmut-Kohl-Biographie, bist du auf der Buchmesse mit dem Kanzler zusammengestoßen – eine denkwürdige Begegnung.
Nein, das ist ein Irrtum, eine Legende. Ich bin mit Kohl mal während des Wahlkampfes 1972 zusammengestoßen, das heißt, er hat mir in die Hände gegriffen. Auf der Messe hat man dem Kohl etwas unvorsichtig mein Buch zum Signieren hingehalten, und er hat auch seinen Kohl-Krakel reingemacht – das Exemplar ist noch in meinem Besitz, wenn ich mal sehr verarmt bin, werde ich’s versteigern. Es ist eine sehr kurze Unterschrift, ein Geheimnis der erfolgreichen Kanzlerschaft ist ein kurzer Name und ein kurzer Krakel. Der Rest erinnert an dieses beliebte Kinderspiel: Wie sieht ein Satz am Ende aus, wenn man ihn weitersagt? Die einen berichten, Kohl habe gesagt, das Buch sei ein starker Beitrag, und die anderen – das ist wahrscheinlicher – bieten die Version an, Kohl habe signiert und dann erst gesehen, was er da signiert hatte, und gesagt, das sei ein starkes Stück, daß man ihm das vorlege.
Ich bin vor gut eineinhalb Jahren auf einem Wolga-Dampfer Augenzeuge eines ziemlich titanischen Treffens zwischen dir und Egon Bahr gewesen. Ist damit zu rechnen, daß du dich in Zukunft biographisch einem SPD-Granden wie eben Egon Bahr zuwendest?
Bei Egon Bahr schließe ich’s nicht aus. Gegenüber Bahr gab es immer – vielleicht auch durch die Affinität im Berufsleben, Bahr ist ja gelernter Journalist – eine Art Sympathie, sowohl für seine Tätigkeit als Adlatus von Willy Brandt als auch für den Typ, obwohl es ein Berliner Grundtypus war und ist. Das ist auch nachweisbar. Weit vor der Wolga-Fahrt, schon in den Sudelblättern [aus dem Jahr 1987], wird Egon Bahr als eine Licht- und Trostgestalt kurz angewürdigt. Ansonsten, bei immer noch nicht gekündigter SPD-Mitgliedschaft, die aber schon seit fünfunddreißig Jahren ruht, ist mir, wie es die Zeit mal sehr richtig geschrieben hat, die auftrumpferische CSU-Kultur, und sei es Vilshofen und Passau unter Strauß, vergleichsweise doch noch etwas näher.
Wenn Satire – eine Binsenweisheit – wesentlich Negation und Frankfurt die Stadt der Satire ist, muß man Frankfurt prinzipiell ablehnen. Aber du hast in den Sudelblättern gegen Adorno und Erich Kästner einmal das Positive benannt. Und das Positive in dieser Welt sei: der Frankfurter öffentliche Personennahverkehr. Der funktioniere tadellos und zu jeder Zeit.
Ich müßte jetzt lange nachdenken und die Erinnerungsneuronen anschüren und glaube, eingestehen zu müssen, daß ich hier einer Einflüsterung meiner Ehefrau, die den Nahverkehr jeden Tag noch naher gebraucht hat als ich, erlegen bin. Gelegentlich finden sich solche Spuren der Meinungen der Ehefrau in meinen Büchern. Ich bin halt auch manipulierbar, kann aber das Urteil inzwischen erweitern. Die vielgescholtene Eisenbahn ist vielleicht nicht das Positive auf dieser Welt, aber keineswegs so negativ, wie alle unsere Rentner bis hin zu den FAZ-Redakteuren in der Bahn ununterbrochen den Watschenmann der Nation schlechthin traktieren. Vielleicht beschließen wir’s, Frankfurt weit überschreitend, mit einem vorsichtigen Lob der und einer Wiedergutmachung an der deutschen Bundesbahn.
Ich würde sagen, dem schließe ich mich an.
Ja, das mach nur.
Abhocken
Wenn es einer Kneipe, einer Wirtschaft in Frankfurt gegönnt sei, daß wieder mal und im Zuge des neuen deutschen Wirtschaftswunders etwas nachdrücklicher das sauerst verdiente Geld in sie hineingetragen wird, dann der an der anheimelnd mit allerlei Laubbäumen prunkenden Frankenallee gelegenen Zeitungsente.
Von ihren älteren Tagen, als das blitzsauber Wohligkeit gewährende Etablissement noch vis-à-vis residierte, an der Ecke Frankenallee/Hufnagelstraße, wo Gunter Sare zu Tode kam, zeugen die schönsten Geschichten rund um praktisch nie endende Chaosaktionen der Stammgastmannschaft. Gleichwohl, auch damals schon war die Zeitungsente genausosehr ein Hort des gedankenfreien Verweilens, der buddhabräsigen Gammelmeditation und des guten Essens, das vor allem zur Mittagszeit allerlei Pressemenschen zu achten und zu genießen nicht sich scheuten.
Im März 2003 zog das vom ehemaligen Fußballprofi Rasha Marinkovic 1989 der Welt geschenkte Lokal um, ins Haus Gallus. Geändert hat sich damit nichts oder doch einiges. Die Zeitungsente hat sich von einer granitehrlichen Eckkneipe in ein formidables, großräumiges Barrestaurant verwandelt, in dem aber nach wie vor – zumal am Tresen – rhetorisch