Die Poesie des Biers 2. Jürgen Roth

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Die Poesie des Biers 2 - Jürgen Roth

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Knabberspaß hat. In der seinerzeit sehr bekannten und deshalb sehr überfüllten Frankfurter Fußballkneipe, in der ich das Ereignis verfolgte, herrschte nach dem denkwürdigen Spiel naturgemäß eine atmosphärische Eiseskälte, die es locker mit dem Kriegswinter 1942/43 hätte aufnehmen können.

      Im depressiven Ambiente der Kneipe Zum lustigen Alfons wähne ich mich fröstelnd in oben geschilderte Situation großer Fußballdepression zurückgeworfen. Der Schaum auf meinem Bier beginnt sich langsam in ein Sorbet zu verwandeln. Besonders lustig ist hier nichts. Eher mutet die Stimmung an, als hätte man soeben der Berliner Hertha die Lizenz entzogen und sie aus der Bundesliga in die Kreisklasse C zurückgebombt. Verzweifelt kämpft die erschöpfte Thekenrumpftruppe – von der Photogalerie der längst gefallenen Stammgäste kritisch beäugt – gegen die augenscheinlich ausweglose Lage an. Offenbar lautet der unsinnige Befehl, die Kneipe unter allen Umständen zu halten.

      Bei objektiver Betrachtung kann der hiesige Oberbefehlshaber aber nur einen besonders frivol ausgeprägten Sinn für Humor haben; letzten Endes wäre der Name des Etablissements dann doch passend gewählt. Doch was, wenn er gar nicht Alfons hieße? Böse Zungen behaupten, er habe sich bereits vor einiger Zeit in seinem von der dortigen Truppe liebevoll »der Bunker« genannten Bierkeller verbarrikadiert.

      *

       Reim dich, oder ich grill’ dich

      Die Liebe des Berliners zu gereimten Verbraucherhinweisen hat mich schon immer begeistert. Gerne erinnere ich mich an die mindestens eines Ingeborg-Bachmann- Preises würdige Werbekampagne des Verdauungsförderers Bullrich Salz, in der es hieß: »Selbst der Jäger aus Kurpfalz / nimmt nach dem Essen Bullrich Salz.« Oder: »So wichtig wie die Braut zur Trauung / ist Bullrich Salz für die Verdauung.«

      Und da es sich wohl um eine megakraß erfolgreiche Kampagne gehandelt haben muß, witterten die damaligen Betreiber des hier zu beschreibenden umsatzhungrigen Imbisses eine Chance und besannen sich ihrer rudimentären Deutschkenntnisse und ihres Sprachgefühls – und legten ein flottes Gedichtchen hin, das sich verdammt ordentlich gewaschen und gekämmt hatte.

      Zur Förderung des Curry-Buletten-Umsatzes wurde der folgende Sinnspruch zusammengebrutzelt, der mich auch heute noch zu – aus der Sicht Außenstehender: unverhältnismäßigen – Jubelstürmen hinreißt. Ähem, also, er, äh, lautet: »Lecker schmecks’ bei Jürgen und Gitti, / unser Grill ist leicht zu finden. / In Neukölln-City.«

      Obwohl mir das vermutlich keiner glaubt, möchte ich betonen, daß dies – ohne Scheiß – die Originalschreib- und -zeichensetzungsweise ist. Zum Beweis führe ich eine liebevoll gestaltete »Visitenkarte« des Unternehmens an, die ich über die Jahre sorgsam aufbewahrt und gepflegt habe und die ich bis zu meinem hoffentlich noch fernen Lebensende niemals nicht weggeben werde.

      Leider sind Jürgen und Gitti hier gelebte Geschichte. In der Folge übernahm ein unscheinbarer schmaler Mann aus einem mir nicht näher bekannten Staat, der vermutlich der Konkursmasse der ehemaligen Sowjetunion zugeschlagen werden kann, die Brat- und Grillgeschäfte. Erinnerlich ist mir aus dieser Epoche lediglich, daß ich interessierter Beobachter einer hollywoodreifen Schutzgeldübergabe an zwei Zweimeterschränke in Ledermänteln sein durfte, was aber anscheinend keinen der Gäste zu kümmern schien, schon gar nicht den legendären Stammgast Dr. Potthoft, der sich mir als Sachverständiger in Transferleistungsfragen vorstellte.

      Heutzutage erinnert wenig an die glorreichen Zeiten. Außenansicht und Inneneinrichtung wurden einer Moderni- und Dönerisierung unterzogen, Bier, Bulette und Currywurst von Tafelwasser, Döner und Pizza beerbt, und auch die Fähigkeit zur schriftlichen Wohlformulierung von Konsumanreizen ist in meinen Augen deutlich eingeschränkt, es sei denn, man entdeckte in »Wir verwenden kein Schweinfleisch« literarisches Potential.

      So bleibt mir nur noch das Fazit: »Wenn man nicht gerade oben drüber wohnt, / ein Ausflug in den Wildenbruch-Grill sich nimmer lohnt.«

      *

       Bei Oskar Werner gegenüber

      Wer’s glaubt, wird selig. Dampfplauderer. Könnte er gedacht haben. Hat er vielleicht auch. Was nachvollziehbar wäre.

      Ich hatte den Inhaber der hier zu lobenden Einrichtung (Herrn Stefan Kreidl, wie ich nun recherchiert habe) – von einigen Bieren, insbesondere belgischer Provenienz, beseelt – wohl etwas zu überschwenglich gelobt: wie gut mir sein Ladengeschäft, seine unerwartet große und hochwertige Bierauswahl gefallen und natürlich wie gut es mir geschmeckt habe. Zuletzt, als ich dann schließlich doch ging, avisierte ich ihm auch noch, daß ich das alles an geeigneter Stelle zu würdigen und zu verlautbaren beabsichtigte.

      Das muß man sich mal vorstellen: Da kommt ein unrasierter, nachlässig gekleideter Deutscher mit verschwitzter Batschkapp daher, entscheidet sich, nach fachkundiger Beratung und der Tageszeit (später Vormittag) entsprechend, zunächst für ein Trumer Hopfenspiel, im Anschluß für ein Hubertus Herrnpils, um sich dann, als hätte er nichts Redliches zu tun, mit einigen Leffe Brune vom Faß den Nachmittag zu vertreiben. Und solch ein suspekter Tunichtgut sollte seine kaum ernstzunehmende Kundmachung in die Tat umsetzen? Eben. Dampfplauderer. Wer’s glaubt, wird selig.

      Doch jö schau, so a Überraschung: Hier ist sie, die verdiente Würdigung des Verde 1080 schräg vis-à-vis dem ruhmreichen Theater in der Josefstadt (Max Reinhardt, Oskar Werner, Otto Schenk und viele andere mehr)!

      Ich mag sicher bereits einige Male achtlos an dem vermeintlichen Gemischtwarenladen vorbeigegangen sein, ohne zu ahnen, was sich darin abspielt, was übrigens auch nachvollziehbar ist, denn sein Erscheinungsbild unterscheidet sich kaum von dem einschlägiger, im Außenbereich Obst und Gemüse feilbietender Einzelhändler an jedem anderen Orte auch. Dem sensiblen Betrachter fallen allerdings auf dem Gehweg postierte Bierkästen ins Auge. Und an diesem Tage war ich hochsensibel.

      Ich also rein, kurz noch die Auszeichnung als »Wiener Bierlokal des Jahres 2013« im Schaufenster zur Kenntnis nehmend, und staunte nicht ganz schlecht, als ich eine große Auswahl österreichischer, belgischer und anderer Biere in mehreren Kühlregalen vorfand. Ich wußte gar nicht, wohin zuerst schauen, und machte augenscheinlich einen hilflosen, überforderten Eindruck, so daß sich drei freundliche Salzburger Herren an einem der Eingangstür gegenüber befindlichen Stehtisch, auf welchem bereits einige geleerte Flaschen auf angenehme Zeitgenossen schließen ließen, gezwungen sahen, sich meiner anzunehmen.

      Nachdem die anfängliche Reizüberflutung abgeklungen war, nahm ich wahr, daß ich mich in einem Feinkost-/Biolädchen mit Bioimbiß und Bierausschank befand. Alle Biere – ob aus der Flasche oder vom Faß – kann man sich dort auch unmittelbar vorbildlich gekühlt genehmigen. Dafür stehen allerdings nur wenige Sitz- und Stehmöglichkeiten zwischen den diversen Lebensmittelregalen zur Verfügung, was das Vergnügen aber keinesfalls schmälert. Da mir die ganze Biosache ziemlich schnurz ist, geriet der Umstand, daß im wesentlichen konventionell gefertigte Biere im Angebot waren, nicht zum Nachteil.

      Die Salzburger Biertrinker waren übrigens Weinhändler. Darum verließen sie auch schon nach einer weiteren Runde die Räumlichkeiten, um einen Winzer aufzusuchen, der ihnen gewißlich keinen gespritzten Apfelsaft gereicht haben wird.

      Hochachtung also für die trinkfesten Salzburger und natürlich für das Verde 1080, das ich beim nächsten Mal nicht zufällig besuchen, sondern gezielt ansteuern werde. Darauf mein verläßliches Wort.

      Ein Überbleibsel

      In geringer Entfernung befindet sich die BierBar, die, weil wir uns im Dunstkreis der Münchener Straße bewegen, zudem Futterstadl heißen muß. Manches, vielleicht vieles muß so sein, wie es sein muß. Es könnte anders sein, muß aber nicht.

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