Die Poesie des Biers 2. Jürgen Roth

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Die Poesie des Biers 2 - Jürgen Roth

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weiß nicht, ob die BierBar für das Moseleck eine Bedrohung ist, ob sie Gäste abzieht, ich kenne die mikroökonomischen Verhältnisse in dieser Ecke der Stadt aus eigener Anschauung zu schlecht. Ich kenne ein paar Geschichten und Gerüchte übers Moseleck, ich war, nachdem ich Ende der achtziger Jahre nach Frankfurt gezogen war, auch einige Male im Moseleck, an viel erinnern kann ich mich nicht, es werden schon nach Strich und Faden verquatschte und mit Sicherheit versoffene Abende gewesen sein, unter Kaputten und Nutten und so weiter und so fort, damals ging man ja öfter ins Bahnhofsviertel und in Peepshows und Lapdancebars, einmal sogar mit der bildschönen Cousine aus dem Fränkischen, die mit ihrer weichen Grazie und ihrer unaufdringlichen Souveränität und ihrem stets einnehmend hellen Lachen bei all den um uns herum hockenden Spießern und armen Ärschen einen bleibenden Eindruck hinterließ, diese Schönheit, die nichts anfocht, nehme ich an.

      Ich sitze am frühen Abend im Moseleck und denke, die Gefährlichkeit ist die erheblichste hier nicht. So steht es zumindest auf meinem Notizzettel. Der Zapfer, laut Website müßte es Conny sein, sofern mir mein Bildgedächtnis gehorcht, wirkt ein wenig gehetzt. Er raucht Kette, das Moseleck ist eine Wirtschaft, in der geraucht werden darf, das war früher nicht mal der Erwähnung wert, heutzutage schreibt man so was hin.

      Das Moseleck, heißt es auf der Website, sei ein Lokal, »welches nunmehr seit über hundert Jahren besteht. Im Schatten der Wolkenkratzer im Bankenviertel dürfen ich und meine Mitarbeiter nicht nur Banker zu unseren zufriedenen Kunden zählen, vielmehr sind Messebesucher aus aller Welt unsere Stammkunden. Ich lege Wert auf die Gastlichkeit, um dem entspannungssuchenden Gast mit gepflegten Getränken aller Art eine willkommene Abwechslung zu bieten.«

      Links neben der Eingangstür sind irgendwann unter dem Fenster Kinderstühle montiert worden. Das steht auf meinem Zettel. Warum? Warum nicht. Ich sitze gerne in Wirtshäusern wie dem Moseleck, alleine, meistens tue ich nichts anderes, als in den Raum zu stieren, Bier zu trinken und so weiter. Von Belang ist das selbstverständlich nicht. Doch. Sinnfreie, geschichtsfreie Zonen. Ohne die ist es nicht auszuhalten.

      Man könnte natürlich irgendwo ficken gehen, wäre einem danach. Macht man hier so. Wieso nicht. Groß von Belang ist es allerdings ebensowenig. Und das ist das Gute und, wenn es gut ist, Schöne daran.

      »So haben wir für den sportbegeisterten Besucher eine Videogroßbildwand, auf welcher alle Wettbewerbe und Meisterschaften live übertragen werden. Unser langjähriges Personal versucht sich diskret auf die Belange unserer Kunden einzustellen, wobei jeder Mitarbeiter ein Spezialist in seinem Fach ist. Unsere Maxime lautet: Ein zufriedener Kunde wird zum Freund des Hauses.«

      Aus dem rückwärtigen Bereich des sich um den Tresen windenden Gastraumes dringt eine Äußerung zu der ganzen Irakkriegsscheiße herüber, zu diesem bepißten, verschissenen, abgefuckten Schwachsinn. Oder zu Afghanistan? Links von mir die »Digital Jukebox«. Auf der anderen Seite, in Verlängerung meiner Blickachse, die Augen leicht nach oben gewandt, als mustere man die Weltlage und fürchte, einen Rest von sehr alter Mythologie in sich tragend, der Himmel, hier: die Dekke, die gelbliche, beginne sich zu bewegen, mache sich selbständig, entwickele ein Eigenleben, fange an zu zittern, zu grollen, um schließlich zu bersten und herunterzustürzen –: Holzfiguren unter dem Fernseher. Sie stellen die alten Wirtsleute dar. Sagt mein Notizzettel.

      »Der Harry ist okay gewesen«, sagt mein Kumpel J. am Tresen meiner Stammkneipe im Gallusviertel. Ich befrage ihn zum Moseleck. Der Wirt, der als Kürschner lange im Bahnhofsviertel gewohnt und das Moseleck regelmäßig frequentiert hat, will zum Moseleck nichts sagen. »Der Harry hatte«, sagt J., »das Kaiser 51 und den sagenhaften Dampfkessel. Im Dampfkessel hat er seine Kohle gemacht. Der war rund um die Uhr offen, und da hat er mit den Leuten die Kohle gemacht. Im Dampfkessel gab es eine deutsche Übermacht, die Jungs aus dem Milieu. Da verkehrten auch die Jungs von außerhalb. Dann ist der Dampfkessel zugemacht worden, und der Harry hat das Moseleck übernommen.«

      Das ist Harry.

      »Der Harry hat sein Motto. Der läßt jeden rein, der ’nen Euro hat. Das kann ein Penner oder ein Staatsanwalt sein.«

      Eine Frau in einer blauen Trainingsjacke, deren Alter, schriebe man einen literarischen Text, durch die Angabe bestimmter Merkmale recht präzise benannt würde, verläßt das Moseleck. Sie hat, das glaube ich sagen zu können, lange Jahre stark getrunken, was sie heute gemacht hat, weiß ich nicht, es geht mich nichts an, ich könnte es mir ausmalen, ich könnte herumspinnen, ich könnte eine Geschichte beginnen und wieder versickern lassen, sie trägt eine Milchtüte bei sich. Über der Tür klebt ein »Germany«-Banner. Hinter meinem Rücken hängt ein gerahmtes Poster an der Wand: »Andrea Berg: ›Splitternackt‹«. Hat was, hat was, hat was.

      »Über das Moseleck kannste nur so viel sagen, wie du erkennst, wenn du jetzt reingehst«, sagt J.

      Harry soll Angestellte des Dampfkessels übernommen haben, zum Beispiel Mike, der sich später umgebracht hat.

      »Alle Getränke, gleich, ob es sich um Bier oder ausgefallene Spirituosen handelt, sind gepflegt und darüber hinaus, was heute nicht selbstverständlich ist, äußerst preiswert.«

      Rechts von mir sitzt am Tresen ein Mann mit einer Baseballkappe. »Kennste noch die Sonne von Mexiko?« fragt er einen Mann, an dessen Aussehen ich mich nicht erinnere. Es geht um einen legendären Puff, so legendär, wie das Moseleck ist oder sein soll.

      »Ich würde mich freuen, wenn auch Sie einmal uns besuchen. Nicht weit vom Hauptbahnhof gelegen, finden Sie bestimmt den Ruhepol für einige erholsame Stunden.«

      Es ist nichts zu sagen gegen Normalität, gegen die behagliche Stumpfheit des Gegenwärtigen. Legenden sind lästig, meistens, sie versperren den Blick auf die Gegenwart, die bestenfalls jene ist, die du dir ohne Not, Zwänge, Ängste vorstellen, die du auf dich zukommen lassen kannst. Das kann ich gerade, im Moseleck sitzend, dem legendären, dem angeblich legendären. Vielleicht liegt es an der Tageszeit.

      Aber ohne Geschichte, ohne die Bemühung um die Mehrung des Wissens über sie, verblöden wir vollends, werden wir zu den Räubern und Schlächtern, die wir alle sind. Andererseits.

      Nu’ nimm mal das Pathos raus.

      Okay. J. sagt: »Im Moseleck sitzen die restlichen Überlebenden aus der guten, alten Zeit, die sich bis zum Gnadenschuß den letzten Schuß geben.« Und mein Kumpel, ein sachte sanguinischer Mensch, für den Solidarität im kleinteilig verkanteten Alltag eine Selbstverständlichkeit ist, sagt: »Das Moseleck ist heute eine der letzten deutschsprachigen Kneipen im Bahnhofsviertel.«

      »Ein Überbleibsel«, wirft jemand ein.

      »Die Restlichen vom Überbleibsel«, ein anderer.

      Stores wie eingelegt in Nikotin, hängen da seit 1957, vermute ich. Bis 1938 hieß die Henninger-Pachtkneipe Landsturmeck. Seit hundertzehn Jahren gibt es die Wirtschaft, die seit wann auch immer den Untertitel Musik-Pilsstube trägt. Er gefällt mir, er möge überdauern, welche Zeiten auch immer kommen werden.

      Was soll man zu alledem, was man an einem Frühabend im Moseleck sieht und hört, sagen? Ziemlich beknackte Frage, ich gebe es zu.

      J. behauptet, das Moseleck sei nie eine richtige Nuttenkneipe gewesen. Immer zu proletarisch. »Aber wenn Messe ist, werden da die Messegäste abgesoffen.« Von den Nutten vermutlich. Oder irgendwie halt.

      Noch was an der Wand: eine Bricolage aus einem goldenen High Heel und einer Bacardi- und einer Champagnerflasche samt passenden Gläsern. Auf der Toilette an der Scheißhaustür

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