Die Poesie des Biers 2. Jürgen Roth
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Die halbe Kneipe besteht jetzt aus uns und einer Mittfünfzigerin, einer irischen Fremdsprachenlehrerin. Zu beanstanden ist nichts. Im Gegenteil. »Großartiges Zeug!« prostet sie uns zu. »Es macht dich sachte betrunken. Die Krise? Vergiß sie! Wir haben Guinness!«
Kürzlich war zu lesen, die irische Regierung appelliere mal wieder an die Bevölkerung, sich durch Eigeninitiative aus dem Sumpf zu ziehen. Und bei einer solchen Gelegenheit erinnert man bevorzugt an das Jahr 1959, als Guinness aus Anlaß des zweihundertsten Geburtstages eine berühmt gewordene Werbekampagne lancierte: Auf dem Atlantik ließen die PR-Strategen 150.000 Guinness-Flaschen über Bord gehen. In jedem Gebinde steckten eine Botschaft des »Büros von Neptun« und eine Bastelanleitung, mit deren Hilfe sich die Flasche zu einer Schreibtischlampe umbauen ließ. Noch heute tauchen die Guinness-Leuchten rund um den Erdball auf, und Premierminister Enda Kenny verweist gerne auf diese Geschichte. Sie soll den Iren vor Augen führen, daß man »Unternehmergeist, Kreativität und Erfindungsreichtum« entwickeln müsse.
Ja, Guinness und die Werbung. Die Qualität der »samtschwarzen Muttermilch der Iren« (Guinness) allein dürfte nicht sicherstellen, daß täglich weltweit zirka zehn Millionen der in fünfzig Ländern gebrauten Pints über die Tresen wandern. Als »legendär« werden die Werbeaktionen eines Unternehmens bezeichnet, das längst nicht mehr irisch ist und zu dem in London ansässigen Getränkekonzern Diageo gehört, der den Globus auch mit Tausenden von Schnapsmarken beglückt.
1929 trat Guinness zum erstenmal werblich in Erscheinung, mit dem Spruch »My Goodness my Guinness«. Ein Jahr später startete man eine Plakatkampagne. Auf einem der Motive bringt ein Knappe St. Georg, im Harnisch auf seinem Pferd sitzend, auf einem Tablett ein Glas Guinness, nach dem der Drachentöter erwartungsfroh die Hand ausstreckt. Bildlegende: »Guinness for strength«.
Die Sentenz »Guinness is good for you« stammt von der Krimiautorin Dorothy L. Sayers. Mit derlei einprägsamen Formeln begnügt man sich indes schon lange nicht mehr. Die PR-Maschinerie läuft ununterbrochen auf Hochtouren, und seinen Höhepunkt erreicht der Vermarktungsrummel seit 2009 jedes Jahr am »Arthur’s Day« Ende September. Dann stemmen, verbreiten die bierologischen Spin Doctors, in praktisch ganz Irland und in Asien, der Karibik, in Rußland, Deutschland, Schweden und andernorts um genau 17.59 Uhr Ortszeit, flankiert von Musikveranstaltungen und sonstigen Festivitäten und selbstverständlich vom Fernsehen begleitet, Millionen die Gläser in die Höhe, gedenkend »Uncle Arthur«, der am 23. September 1759 den über neuntausend Jahre laufenden Pachtvertrag für das Grundstück an der Liffey unterschrieben hatte.
Das imposante, 1904 im Stil der Chicagoer Schule errichtete Storehouse auf dem Brauereigelände, in dem einst der größte Maischbottich der Welt untergebracht war und heute allerlei multimedialer Klimbim rund ums Brauen in Augenschein genommen werden darf, sei, prahlt die Werbeabteilung, das meistbesuchte Ausflugsziel in Dublin. Nicht minder brüstet man sich damit, »daß Guinness-Konsumenten pro Pub-Besuch mehr Geld für Essen und Trinken ausgeben als der durchschnittliche Biertrinker«.
Wir können das bestätigen. Wir haben die Duke Street gequert und hocken vor dem Davy Byrne’s, vor, tja, der Stammkneipe von Joyce. Im Innenbereich recht geschmacklos-nüchtern, läßt es sich draußen gut aushalten, umgeben von Einheimischen mit zerzaustem Haar und in ausgebleichten Sakkos, die vor ihren schwarzen Flüssigkeitszylindern allesamt die Kunst der Bedachtsamkeit zelebrieren. Jetzt darf es ruhig auch mal ins Glas regnen. Das ist das Dubliner Gefühl.
Im Ulysses kommt das Davy Byrne’s als »moral pub« ordentlich weg. Allerdings schrieb Joyce 1906: »Die Dubliner sind die hoffnungsloseste, nutzloseste und widerspruchsvollste Rasse von Scharlatanen, der ich je auf der Insel oder auf dem Kontinent begegnet bin. Der Dubliner verbringt seine Zeit mit Schwatzen und Rundgängen durch die Bars, Schenken und Spelunken […], und nachts, wenn nichts mehr reingeht und er mit Gift angefüllt ist wie eine Kröte, stolpert er aus einem Nebenausgang und geht, geleitet vom instinktiven Wunsch nach Standhaftigkeit, die geraden Häuserfronten entlang […]. Er ertastet sich den Weg ›mit dem Arsch‹, wie wir auf englisch sagen. Da haben Sie Ihren Dubliner.«
Vor dem Davy Byrne’s sind Guinness Nummer zwei und drei fällig, wir wollen nicht von Lokal zu Lokal hetzen. Siebenhundert Wirtshäuser soll es in Dublin noch geben, »auf dreihundertfünfzig Einwohner kommt ein Pub, doch an Wochenenden reicht das manchmal nicht aus« (Sotscheck).
Im Davy Byrne’s hielt sich desgleichen Flann O’Brien auf, der »bessere Joyce«, wie viele behaupten. Eine Zeitgenossin O’Briens erzählte Harry Rowohlt, dem deutschen Übersetzer dieses Genies, mal: Er »ließ sich morgens kurz auf dem Amt sehen und ging dann zum Arbeiten über die Liffey in eine seiner Stammkneipen. Alle zwei Stunden kam ein Bürobote, um frische Akten zu bringen und erledigte Akten abzuholen. Nachmittags, nach getaner Arbeit, verließ er die Kneipe und begab sich unendlich vorsichtig mit three o’clock list (Drei-Uhr-Schräglage) in die nächste.«
Das tun wir ihm gleich, jedoch noch wacker im Lot. Wir schlendern Richtung Liffey, vorbei am Trinity College, Ziel: der Bezirk Temple Bar, das Greenwich Village Dublins, hinter der monströs häßlich ins gregorianische Architekturensemble hineingepflockten Central Bank.
In den achtziger Jahren wollten die Stadtväter das verwahrloste Viertel planieren, um ebenda einen Busbahnhof zu bauen. Heute wird das Vergnügungsquartier penibel gepflegt, die kleinen Geschäfte und die Händler von früher sind verschwunden.
Sieben mal sieben Schlucke Guinness – so lautet unser Auftrag. Wir lassen The Bankers und The Quays links liegen und konzentrieren uns auf The Temple Bar. Während das wie eine Miniaturburg und zwischen Neubauten in der Bridge Street einige Gehminuten weiter westlich ein wenig verloren wirkende Brazen Head das älteste Pub Irlands ist, gilt The Temple Bar mit ihrer schmucken roten, umlaufenden Halbfassade als beliebtestes Lokal der Insel.
Die Kellner tragen T-Shirts, auf deren Rücken »Working« steht, als müßten sie sich vom ausufernden Geselligkeitsgewusel samt Livemusik in den verkastelten Räumen ostentativ distanzieren. Wir wenden uns im »Biergarten«, das heißt im mit Heizpilzen ausstaffierten, lichten Innenhof wieder dem flüssigen Nationalsymbol zu. Geschmacklich läßt es kein Gran nach, aber bei 5,50 pro perfect Pint denken wir fünfeinhalb Sekunden lang ernsthaft darüber nach, uns der »größten Whiskeysammlung Irlands« zu widmen.
Nummer vier und fünf laufen, ordnungsgemäß auf vierzehn Schlucke verteilt, in uns hinein. Als »Redemption Song« erklingt, wird es uns zuviel der Atmosphäre, und wir fliehen den Süden Dublins, um in den schäbigeren Norden der Kapitale zu gelangen, genauer: zum John Kavanagh am Friedhof Glasnevin.
Der Taxifahrer lobt das Gravediggers, wie der Laden im Volksmund heißt, überschwenglich. »Linken Eingang benutzen!« hatte uns Ralf Sotscheck angewiesen. Er sitzt bereits da, direkt an der Tür, in einem Ambiente, in dem man sich hundertfünfzig Jahre zurückversetzt wähnt.
Kein Gedudel, kein Eventgetue. Einzig und allein eine betörende Stimmenkakophonie über altmodischem Gestühl. Der Duft von Irish Stew. Gestaffelt leuchtende Biergläser.
In manch einem Pub durften Frauen bis vor kurzem kein großes Bier bestellen, erklärt Ralf Sotscheck und zeigt auf das Snug zur Rechten, einen Nebenraum mit eigenem Zugang zum Tresen, in dem sich einst die Damen und die Geistlichen aufzuhalten hatten. Mittlerweile findet es nicht allein Jasmine Guinness, das Supermodel aus der Dynastie, »sexy, wenn Frauen Guinness trinken«.
Zügig vertilgen wir das »vielleicht beste Guinness der Stadt«, wie Sotscheck meint, in Flaschenwurfweite zum Grab von Brendan Behan, der sich sein ganzes Leben inständig »für die Kunst interessierte, wie man zwei Dutzend Flaschen Bier köpft«.
»Guinness