Der Letzte macht das Licht aus. Ulrich Land

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Der Letzte macht das Licht aus - Ulrich Land Mord und Nachschlag

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lassen: »Möchte gern etwas von dem Zucken, dem magnetischen Zusammenreißen der Geschlechter hineinbringen. Diese immense Pracht der Natur.«

      Also dein Pinselschwinger, ehrlich! »Diese immense Pracht der Natur«? Bei all der Hässlichkeit, die der gemalt hat! Bisschen hochgegriffen, Meister Beckmann. Mal ehrlich mal. Aber – »Zucken der Geschlechter«, das schon, muss man zugeben. Sag mal, du, ich meine, kannst du mit diesen Bildern was anfangen, schöne Frau? Also wenn de mich fragst, ich find se zu allererst und fast alle dreckig irgendwie. Also als er noch jung war, dein Beckmänne, so ganz am Anfang, konnt er ja ganz or'ntlich noch malen, dass man auch was erkennen konnt, richtige Gesichter und so und nicht so schlampig, verbeult und verbogen, nicht so falsch. Also, ich weiß ja nicht, ob ich's besser, aber, ich mein, der konnt's doch mal besser! Hat dich doch auch zustandegebracht. Schließlich. Also Brüste malen, das konnt er, satt! Der hat fantastische Dirnenbirnen gemalt, ha, rund und fest und gradaus. Mann, und du? Unterm lila Kleid, hinterm Fächer? Den Fächer, mal ehrlich, könntste mal für 'en Augenblick zur Seite fallen lassen, mal für 'en menschlichen Augenblick nur. Ich mein ja nur.

      Und die Schlaubergerin kramt weiter in ihren Beckmann-Karteikärtchen: »Salz leckst du, armer größenwahnsinniger Sklave, und tanzt lieblich und unendlich komisch in der Arena der Unendlichkeit unter dem tosenden Beifall des göttlichen Publikums. Je besser du's machst, um so komischer bist du.«

      Also ich kapier gar nichts mehr. »Größenwahnsinniger Sklave«, wen meint dieser Beckmax? Und macht sich lustig und lacht unterm tosenden Beifall des göttlichen Publikums, und ich bin der Dings, der Gelackmeierte oder wer. Göttlich jedenfalls kann ich das Publikum wahrhaftig nicht finden, bei aller Liebe. Die Kunsttante zum Beispiel, wie die ständig ihre Brille auf der Nase zurechtrückt und Beckmannverse predigt: »Am traurigsten der absolute Wollüstling, weil er Pech säuft statt Wasser. – Halten wir uns an die Verachtung.«

      Unmöglich, dein Schöpfer, war doch 'n gebildeter Mensch, 'nen Kunstprofessor sogar, denk ich, und dann: Verachtung! Nur weil einer so viel Pech hat.

      Kaum ist die Uni-Truppe abgezogen, ist dieser Kiebitzkerl wieder da. Und schielt unter dein lila Kleid. Schamlos. Mann, dass das aber auch so hochgerutscht sein muss, kann der ja bis sonst wohin und geil glotzen. Nur gut, dass du die Beine übernandergeschlagen hast. Der würd dir glatt reinpeilen, direktemang. Der Sphinx spinxen durch 'en Spalt bis zum Blinddarm. Kennt der nix. Gut gut, wahrscheinlich käm er nur bis zum Stoff. Und so 'n Tüllunterrock oder was, wie Balletteusen so anhaben, scheinste ja nicht drunter zu haben. Aber 'ne jungfrauweiße Balletthose.

      Würd der garantiert völlig ungeniert hinschielen, ob kein Blutsfleck, kein Ausfluss nicht zu sehn ist. Würd mit seinen verquasten Kiekerlingen nachfahrn den Umriss, wie sich die Balletthose einkerbt, – 'ne Unterhose haste da bestimmt nicht drunter, ist jedenfalls nichts von zu sehn, kein Saumabdruck oder was – würd den feinen Schattenstrich nachfahrn, das Schwein, Ferkel das! Würd der fertig bringen, glatt und ohne rot zu werden. – Gut wirklich, dass du die Beine überkreuzt, bisschen auf Eleganz hältst. Bitter notwendig der Fächer, bitter.

      Gunnar, altes Haus, merkst du eigentlich überhaupt nicht, wie diese Frau da grad dabei ist, dich komplett um den Finger zu wickeln. Pass auf, pass bloß auf!

      ___6.

      Nein, das sei absolut hundertprozentig auszuschließen. Man habe die Havariestelle weiträumig abgesucht, habe Taucher eingesetzt und auf der Schäreninsel speziell ausgebildete Suchhunde. Und: nichts! Nein, man müsse jetzt, nachdem ja nun doch auch schon einige Tage ins Land gegangen seien, davon ausgehen, dass er der Einzige gewesen sei, der noch so weit habe schwimmen und sich über die Insel und den Fjordarm bis zum Festland durchschlagen können, dass also außer ihm die gesamte Crew ertrunken sei. Nach den vier Leichen seiner Kollegen habe man nichts Menschliches mehr gefunden und gestern Abend die Suche eingestellt. Vom Käptn und zwei andern Seeleuten keine Spur. Insgesamt sieben Tote, ein Überlebender und ein zerschellter Trawler, das sei die traurige Bilanz dieser Schreckensnacht vorige Woche.

      Nun, man könne seine Wut ja bestens verstehen und sein alles andre überlagerndes Bedürfnis, als einziger Überlebender der Katastrophe um alles in der Welt rauszukriegen, wer den Ausfall der Leuchtfeuer zu verantworten habe. Aber, seine unmittelbare Betroffenheit in Ehren, zu ermitteln – das sei seine Aufgabe nicht! Dafür habe er weder die fachliche noch die exekutiv-juristische Kompetenz! Nein nein, da wäre er bestens beraten, wenn er das der amtlichen Küstenwache überlasse. Hier habe man ausgewiesene Spezialisten für so was. Und was die Loyalität des Leuchtturmwärters angehe, da gebe es nach den Erfahrungen der letzten Jahre keinen Anlass zum Zweifel. Aber wenn ihn das beruhige, so sei ihm hiermit versichert, dass man den Leuchtturm von Stjernholman ohnedies ganz besonders im Blick habe, schon zuständigkeitshalber. Man empfehle ihm also, die Staatsorgane machen zu lassen, sich zurück nach Stavanger zu begeben und erst mal richtig Urlaub an der Adria oder wo zu machen. Nachdem er sich selbstredend vorher mit der Versicherung in Verbindung gesetzt und tunlichst einen Rechtsanwalt konsultiert habe, denn da käme doch einiges an Papierkrieg auf ihn zu. Wenn man sich beispielsweise so seine Hände ansehe, da würde ihm doch mit ziemlicher Sicherheit ein anständiges Schmerzensgeld zustehen. Und da könne ein Rechtsbeistand sicherlich ausgesprochen nützlich sein. Wenn er sich also in den nächsten Wochen statt in Arcona partout auf einem Schlachtfeld tummeln wolle, dann bittschön auf diesem. Und zwar in seinem eigenen, seinem ureigensten Interesse. Statt sich hier in dieser unwirtlichen Gegend mit irgendwelchem Ermittlungsgestümper rumzuschlagen. Da könne er sich nur blamieren, unsterblich blamieren. Und seinem Käptn und den Kollegen nützen werde das auch nicht mehr.

      Nach dieser Lektion schlug der Chef der Küstenwache die Akte zu und sah seinem Gegenüber fest in die Augen.

      ___7.

      »Mir läuft das Wasser im Mund zusammen! – Finn, was is nu?«

      Aber der hatte nur Augen und Ohren fürs Funkgerät. Während er versuchte, im weißen Rauschen irgendwelche verlorenen Silben, Wörter, Meldungen auszumachen, starrte er Löcher in den muffigbraunen Stoff, womit sein Vorgänger die ursprüngliche, vermutlich seit Jahrzehnten verschlissene Bespannung der kleinen Lautsprecherbox ersetzt hatte. Das gesamte technische Equipment hier wirkte wie ein Überbleibsel aus vorchristlichen Jahrhunderten, war vermutlich seit 1912, dem Jahr der Inbetriebnahme des Leuchtturms, nicht ausgetauscht worden. Wenn's hoch kam, mochte das ein oder andere Gerät oberflächlich überholt worden sein, wie die wenigen noch nicht ganz erblindeten Sichtscheiben der Messinginstrumente verrieten.

      Schließlich stand Finn langsam auf, ging rüber zum Fenster und richtete den Blick ins Leere, als wolle er seine Gedanken draußen an der Reling des Galerieumlaufs zum Trocknen aufhängen. Während Marit den Dienstraum mit den langen Schritten eines Admirals durchmaß und dabei unverwandt aufs Funkgerät starrte, den stieren Blick nicht mal lockerte, als sie mit dem Fuß den baufälligen Stuhl anrempelte, den Petter gepachtet hatte. »Was meinste, hat er's?«

      »Was?«

      »Geschafft. Ob der Pott nu mal endlich vor unsre Felsen gerumst ist und schön unten auf'm Meeresgrund rumdümpelt! Stell dich doch nicht dämlicher, als du bist.«

      »Keine Ahnung. Wirste schon früh genug merken. Du hast doch die Funkkiste bestens im Blick«, antwortete Finn. Er stand unbeweglich, den andern seinen merkwürdig kurzen Rücken zugewandt, und blickte gebannt aus dem Fenster, als könne er irgendwas erkennen in dieser dumpfen Schwärze da draußen, die regelmäßig vom kreisenden Lichtschweif der Leuchtturmlaterne für kurze Zeit in ein nicht weniger undurchdringbares nebliges Weiß verwandelt wurde. Marit klopfte fahrig an ihrer Pfeife herum, stopfte sie mit ihrem schwarzgelben Zeigefinger und schob sie dann, ohne die Lippen zu öffnen, zwischen die Zähne, um sich augenblicklich wieder daran festzubeißen.

      »Will's aber jetzt wissen!«

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