Der Letzte macht das Licht aus. Ulrich Land

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Der Letzte macht das Licht aus - Ulrich Land Mord und Nachschlag

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stanken höchst appetitlich. Und weich waren sie, geschmeidig; schließlich hatte Marit sie gestern eingehend mit dem Hammer bearbeitet. Jetzt brauchte bloß noch das Wasser kochen, und dann rein damit. Anderthalb Stunden. Aber Zeit hatte sie ja. Da oben würde sich jetzt einstweilen sowieso nichts mehr tun. Also konnte sie auch hier unten dem Stockfisch zusehen, wie er noch mal, ein letztes Mal schwimmen lernte. Und schon mal am Aquavit nippen. Konnte schließlich nicht schaden bei dem vernebelten Sauwetter da draußen.

      ___8.

      Schöne Tänzerin – nicht schön eigentlich, wie gesagt, schön nicht, nicht so richtig. Diese Klotznase, die hat er dir auch zu groß, zu klumpig ins Gesicht gemalt. Könntest schon noch schöner sein. Aber, ich weiß auch nicht – ungeheuer! Irgendwie ungeheuer. Mit deinem schwarzen, pechschwarzen Blick, und den rechten Arm schnurgrad schräg nach unten und angelehnt an die Armlehne von deinem dunkelroten, völlig verbauten Sessel – hat sich dein Beckmann wieder was zusammengepinselt! Die linke Hand wie im Dings, im Ballett fingerzeigend, ja noch mal, zwingt einen sozusagen in die Knie irgendwie, – da steht man und macht nichts mehr. Rein gar nichts.

      Hätt nicht gedacht, Gunnar, alter Junge, dass dich eine so aus der Fassung, hartgesotten wie du bist, noch aus der Fassung bringen könnt. Dachte, so was wär mir abhanden gekommen, so diese Aufregung.

      Heh Tänzerin, wie alt ist dein Klecksmax geworden? Sechsundsechzig? Hat er grad rechtzeitig den Arsch zugekniffen. Noch nichts mit Rente. Trotzdem, vielleicht hat er sie trotzdem gekannt schon, diese Angst vor diesen Rentnertagen, vor jedem neuen neu diese Angst: Auch der Tag ist wieder ein Idiot. Ich hab sie schon vor Augen gehabt, diese Angst, völlig ungeschminkt. War doch absolut nicht sicher – mit fast 50 ist man schließlich auch nicht mehr der Jüngste, und wo jetzt der Fuß ab war – war absolut nicht sicher, dass ich noch 'ne Arbeit find. Auf See jedenfalls nicht. Dabei guck ich für mein Leben gern, guck raus ins Offene, in die Weite bis zum Horizont, aber Essig! Also gut, da kam mir das mit den Bildern hier grad zupass. Einigermaßen. Konnte ja nicht ahnen, dass mir so eine hier übern Weg laufen würd.

      Mann, bei mir, schöne Tänzerin, hättste's verdammt nicht schlecht, würdst nicht dauernd angepeilt von diesen schwachsinnig schwindsüchtigen Linsern mit ihren verranzten Bratäpfeln unter der Stirn. Die müssen dir doch auf den Zwirn gehn, jeden Tag und jeden Tag! Ich weiß überhaupt nicht, ob das wirklich ein Fächer ist, den de dir vor deinen Balköner hältst. Ich meine, wenn ich mir diesen ganzen Bohei hier im Museum – oder Halle ja, Halle von der alten Fischmehlfabrik, die der Kunstforeningen extra für die Ausstellung angemietet hat, jau, weiß ich, also: Halle, – wenn ich mir den Bohei hier in der Fischmehlfabrikhalle angucke, dies ganze Gebrabbel um dich rum, könnt man meinen, dein Max hat gar nicht 'en Fächer, hat vielleicht doch 'ne Narrenklatsche gemeint.

      Jedenfalls, sieht man sofort, wie's dich anstrengt, seit zig Jahren so daneben gucken, neben's Gesülze von diesen spitzen Köpfen und Blicken, ins Nichts nach rechts gucken dauernd. Dass du nicht mal einem von diesen Glotzern und Gelehrten mitten ins Gesicht deinen ganzen Spottblick klatschen kannst. Darfst ja schließlich deinem Dings, deinem Schöpfer das Geschäft nicht vermasseln, musst still halten, die Kundschaft nicht verprellen. Bei mir könntste dich mal gehn lassen auch mal.

      Warte mal! '25! Jahrgang 1925. Tatsächlich. Bist zwei Jahre älter als ich. Aber zwei Jährchen, was sind schon zwei Jährchen! Außerdem hast du mit den Jahren ja eh nichts am Hut. Gleich mit 28, Tschuldigung, vielleicht auch mit 23 geboren worden, und dann kein eines Jahr mehr verstreichen lassen. Seit 'nem halben Jahrhundert ein und dasselbe Jahr. Obwohl, hast viel verpasst, könntste bei mir nachholen. Könntst mit mir alt werden und jung bleiben. Und würdest endlich aus deiner unsterblichen Langeweile entlassen.

      ___9.

      Petter hatte ihr wieder mal einen Haufen zerfaserter Netze auf den Felsbuckel vorm Haus geworfen. Wieso der alte Esel immer warten musste, bis so 'n riesiger Berg aufgelaufen war?! Musste man's doch mit der Angst zu tun kriegen, wenn man das ganze Zeug vor der Brust hatte. Würde ja nie aufhören! Aber dann zog sie doch das erste Netz vom Stapel und setzte die Nadel an. Sie konnte sich beim besten Willen nicht dran erinnern, wie viel hundert Netze sie in ihrem Leben schon repariert hatte. Sie machte das fast blind, musste immer nur ganz kurz hinsehen und konnte ansonsten den Blick schweifen lassen über die kaltgrauen Inseln im Septemberdämmer. Sah drüben die Lichtpunkte der Siedlungen auf den Inseln, wo die Landstraße – wie eine Allee gesäumt von einer endlosen Staffel gebeugter Straßenlaternen – sich gen Süden davon schlängelte.

      »Es ist nicht zu fassen, das ganze Gelichter da drüben! Mittags um halb drei! Oder doch, ist doch zu fassen, ist klar, jetzt, wo's finstrer wird, Tag für Tag die Nächte länger, langsam aber stetig, da ergreifen sie die Flucht nach vorn, krempeln die Ärmel hoch, stapeln Lampen, Lämpchen, Leuchten, Lichtlein in die Einkaufswagen. Zu Tausenden. Was sag ich? Zu Hunderttausenden. Dabei wären die Einzigen, die in Sachen Licht 'n Wörtchen mitzureden hätten, ja wohl Baldur und der olle Loki, wenn Ihr Euch erinnern möchtet, Ihr brustgeschwellten Leuchtegockel Ihr! Muss man sich vorstellen: Für dies flirrend-grelle Geflimmer, Gefunkel, für das Lichtgeprasse von all den armseligen Armleuchtern Land auf Land ab, dafür war der Loki die endlosen Jahre an diesen kargen, an diesen höllischen Felsen festgekettet. Dafür! Hätt er sich verdammt auch nicht träumen lassen.«

      Plötzlich, Marit wusste überhaupt nicht, wie ihr geschah, plötzlich standen neben ihr zwei schwarze Hosenbeine. Und als sie langsam, ganz langsam den Blick hob, musste sie feststellen, dass darin ein hochaufgeschossener Kerl steckte. Ein Schrank von einem Kerl. Daran bestand kein Zweifel, auch wenn ihre Perspektive von da unten zu Füßen des Netzgebirges ein Übriges dazu tun mochte, dem von Kopf bis Fuß schwarz gekleideten Mann gradezu Riesendimensionen zu verleihen. Sie war weiß Gott alles andre als ängstlich, aber als sie dem geheimnisvollen Fremden ins Gesicht sah, da ließ sie denn doch einen Schrei fahren, der die verblichenen Urahnen Odins zur neuerlichen Götterdämmerung hätte aufwecken können. Dieses Gesicht, in das sie da eben hatte blicken müssen, war schwarz, pechschwarz! Und wer hatte je auf den Vesterålen ein schwarzes Gesicht gesehen, ein so was von schwarzes Gesicht! Und natürlich hatte sie sofort gesehen, dass ihm aus der Stirn, rechts und links direkt am Haaransatz zwei spitzige Hörner wuchsen, krumm gebogen wie die eines stinkenden Ziegenbocks. Weder wollte sie auch nur eine Sekunde länger in dieses Grauen von einem Gesicht blicken, noch wagte sie es, den Blick zu senken, denn aus dem Augenwinkel hatte sie gesehen, dass der linke Fuß des Mannes von klumpigen Auswüchsen gezeichnet war. Um des hohen Himmels Willen, Marit stierte krampfhaft an dem Kerl vorbei aufs rauchgraue Meer, bekreuzigte sich und stammelte etwas von wegen, dass sie nie wieder an die Götter und Halbgötter, die hier in den hohen Breiten ihr Unwesen trieben, auch nur einen Gedanken verschwenden, sondern ausschließlichst an den einen einzigen Christengott glauben werde. Und heute Nacht noch, gelobte sie stumm, werde sie zwölf, oder ja, zwanzig Ave-Maria vom Stapel lassen. Wenn nur, ja, wenn der Gehörnte so plötzlich und leise, wie er erschienen war, auch wieder verschwinden werde.

      »Kennen Sie den Leuchtturmwärter hier, Frau Tideband?«

      Im Namen aller heiligen Geschöpfe aus Bestlas, oder nein besser: aus Evas erhabnem Schoß: Der Kerl hatte eine gradezu menschliche Stimme! Perfides Täuschungsmanöver! Und als sie jetzt gezwungen war, doch noch einmal aufzublicken, entdeckte sie, dass sein Gesicht längst nicht mehr so schwarz war, womöglich war nur ein etwas tiefer Schatten drauf gefallen. Und die Hörner – was für Hörner? »Den Leuchtturmwärter? Hier kennt jeder jeden. Aber ...«

      »Aber?«

      »Aber der Mann hat zu tun.«

      »So?«

      »Ist draußen irgendwo bei den Leuchtfeuern oder Bojen oder was, gehören ja, ich weiß nicht, etliche zu seinem Bezirk. Muss er irgendwas richten. Was fragen Sie mich denn das? Wer sind Sie überhaupt? Wenn wer Neues auf unser Eiland kommt, der stellt sich

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