Münster - Was nicht im Stadtführer steht. Carsten Krystofiak

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Die Leningrad Cowboys undwiesieallehießen.

      Inspiriert durch das Stadtjubiläum »1200 Jahre Münster« drehte der harte Kern der Odeon-Tresenhelden 1993 den Videofilm »1200 Jahre Odeon«. Der »monumentale Historienschinken mit vielen Massenszenen« (Werbetext) ist eine obertrashige Geschichtsparodie, die Helge Schneider die Schamröte ins Gesicht treiben würde und zeigt die nicht ganz wahre Entstehungsgeschichte des Odeons von der Steinzeit über Antike, Mittelalter, den 50er und 70er Jahren bis zur jüngsten Gegenwart. Götz Alsmann liefert darin eine Szene als Jugendheim-DJ. Gedreht wurde u. a. in einem echten Domina-Studio. Bei den Dreharbeiten kam es zu einem schweren Unfall: Bei einem »Livekonzert« der Sex Pistols (dargestellt durch die vier Inhaber) zerschlug Wirt Möppel in voller Action einem Statisten versehentlich eine elektrische Gitarre auf dem Kopf. Die »Erste Hilfe« eines angetrunkenen Kumpels bestand darin, die Körperumrisse des Bewusstlosen mit Kreide auf dem Boden nachzuzeichnen. Natürlich wurde die Unfallszene später nicht (!) herausgeschnitten!

      Sogar die transsilvanischen Untoten liebten das Odeon: Münsters Grufties trafen sich monatlich zum »Tanz der Vampire« an der Frauenstraße. Die Anhänger der Szene zeichneten sich nicht nur durch ein gruseliges Geisterbahn-Outfit, sondern gleichfalls durch vorbildliche Höflichkeit aus. So staunte das Thekenpersonal immer wieder über Typen, die so erschröcklich aussahen wie Marilyn Manson, Hannibal Lecter und Rumpelstilzchen zusammen, aber schüchternleise flüsterten: »Kann ich bitte eine Apfelschorle?«

      Eine Zeit lang durfte der Kreis der Stammgäste seine Wohnzimmertheke an Montagabenden sogar in Eigenverantwortung ohne Aufsicht selbst betreiben. Motto: Selbst zapfen, Geld in die Kasse legen, hinterher abschließen – keinen Scheiß bauen. Das entgegenkommende Vertrauen der Inhaber zahlte sich jedoch nicht aus, weil zwar in Selbstbedienung gezapft, aber nicht immer bezahlt wurde. Auch Münsters singendes Wermutbruder-Original »Caruso« kannte das Geheimnis bargeldloser Zahlung: Er schaffte es immer wieder, die Thekenkräfte zu überrumpeln, indem er einen Cognac bestellte, blitzschnell hinunterstürzte und triumphierend erklärte: »Hab’ kein Geld ...« Caruso war übrigens Mitglied des Odeon-Männergesangsvereins »Concordia Zwietracht«, der sich aber nach einigen Jahren ebenso wieder auflöste wie der Punkrock-Sparclub mit eigenem Kassenkasten an der Theke.

      Man kann nicht leugnen, dass das Odeon Mitte der Neunziger langsam von der Zeit überholt wurde und ein bisschen ins Abseits geriet. Zu lange hatte der erste Club am Platz von seiner eigenen Nostalgie gelebt. Auch die heißeste Liebe wird eben irgendwann eine eingefahrene Ehe. Gegen die Vielzahl neuer Mitbewerber und die Trends der Zeit (Club-Hopping, schwindende Bindung an einen einzigen Stammladen, immer späteres Ausgehen) blieben alle Rettungskonzepte machtlos. Axel Seitz hat das Odeon mit einem neuen Profil wieder für ein junges Publikum attraktiv gemacht und fühlt sich dennoch der »Tradition« des Clubs verbunden. Trotzdem fängt er nach dem Umzug an seinem neuen City-Standort auf einem weißen Blatt an – die Geschichte des Odeons zieht nicht mit um, sondern verflüchtigt sich im Baustellenstaub und in der Erinnerung seiner alten Garde. Da verdrückt sich so mancher Ex-Punk jenseits der 30 ein sentimentales Tränchen.

      (Erschienen 2002)

      Anmerkung:

      Das Odeon war mehr als ein Club – es war Münsters Lebensmittelpunkt für alle zwischen 18 und 38. Der Laden war eine Legende, wozu natürlich die Konzerte avantgardistischer Bands beitrugen, die damals vor 300 Münsteranern spielten und heute Hallen und Stadien füllen. Und auch Gäste, die später bekannt wurden, wie z. B. Oliver Kalkofe oder Klaus Fiehe, mussten sich damals vom Tresenchef für unkorrekte Bestellungen anranzen lassen. Für mich persönlich hatte die Schließung des Odeons zwei Aspekte: Einerseits wurde ich wie viele andere plötzlich heimatlos, andererseits hatte sich damit mein Deckel aufgelöst, den ich zuvor schon zwei Jahre lang als Thekenkraft abgearbeitet hatte.

      Der Beatschuppen-König.

      Gronecks Erzählungen: Zu Besuch bei Münsters Disco-Miterfinder.

      Discotheken sind heutzutage landauf, landab ein gewohntes und allgemein akzeptiertes Freizeitvergnügen, und auch Muttis Generation schwingt gerne zu Rock und Samba die Hüften. Das war natürlich nicht immer so. In den Kindertagen der Disco vermuteten die Nachkriegsväter in den »Beatschuppen« finstere Hasch-Höhlen. Der Münsteraner Manfred P. Groneck ist einer der Geburtshelfer der Discoszene in Deutschland. Seine Geschichte ist ebenso abenteuerlich wie erstaunlich, und manchmal scheinen Dichtung und Wahrheit zur Legende zu verschmelzen. Ultimo lauschte fasziniert Gronecks Erzählungen aus der Disco-Steinzeit im schwarzen Münster, das bis dahin nur Glockenklänge gehört hatte.

      1961 errichtet die DDR-Führung im Handstreich eine Mauer durch Berlin. Elvis hat gerade erst seinen Wehrdienst in Deutschland beendet. Zu dieser Zeit eröffnet Manfred P. Groneck in einem alten Eckhaus am Kreuztor die Tanzbar Kontiki. Die dazugehörige Einliegerwohnung vermietete er an einen Typen namens Udo Lindenberg. (Das Haus wurde übrigens später abgerissen, an seiner Stelle ist heute ein Supermarkt). Donnerstag morgens stand Groneck schon vor Ladenöffnung vor Radio Hüffer, um taufrisch die neuesten Beat-Schallplatten aus England und Amerika zu kaufen. Problem: Aus Kostengründen gab es im Kontiki nur einen Plattenspieler. Auch sonst haperte es noch an der Ausstattung: Die »Lichtorgel« funktionierte manuell ... und zwar nur dann, wenn Groneck selbst die Stecker der fünf verschiedenen bunten Glühbirnen ein- und ausstöpselte. Erst später kam – oh Wunder der Technik – ein zweiter Plattenspieler plus ein Mischpult dazu, das erstmals Überblendungen und Ansagen per Mikrofon ermöglichte. Der Eintritt wurde nach der Zeit der Anwesenheit berechnet: pro Minute ein Pfennig. Wer um 22 Uhr kam und um 24 Uhr wieder ging, musste für das Vergnügen 1,20 Mark bezahlen. Gar nicht übel, das System ... Was dann folgte, ist auch heute nicht anders: »Im Kreuzviertel wohnten damals nur alte Leute, die fielen plötzlich vom Hocker, weil der Laden brummte bis zum Gehtnichtmehr. Die beschwerten sich und die Konzession wurde erst von 5.00 auf 3.00, später auf 1.00 Uhr und dann auf 23.00 Uhr zurückgenommen. Deshalb war nach zwei Jahren schon wieder Schluss!«

      Doch Groneck schlug gleich das nächste Kapitel der münsterschen Discogeschichte auf: Das Geld aus dem Kontiki investierte er in den heruntergekommenen »Hof zur Geist« an der Hammer Straße. Dort ist heute noch eine Disco: das »Casablanca«. 1963 nannte Groneck seine neue Goldgrube zeitgemäß exotisch Copa Cabana. Sein alter Untermieter Udo L. kam auch vorbei und erzählte, er könne jetzt Beatmusik machen und hätte da mit ein paar Jungs aus Münster eine töfte Band. Tatsächlich wurden die Langhaarigen bald zu Lokalmatadoren.

      Groneck hatte jedoch noch mehr zu bieten: »Wir begannen, mit dem Starclub in Hamburg zusammenzuarbeiten. Die englischen Bands, die dort spielten, kamen anschließend noch für eine paar Termine zu uns. So kamen wir damals schon an richtig populäre Bands, wie die Rattles – und das in Münster!« Der Spaß war schnell wieder vorbei, als das Arbeitsamt von Groneck Arbeitspapiere für die ausländischen Musiker sehen wollte. Doch aus Schaden wird man klug: »Wir haben die Jungs dann richtig über die holländische Grenze geschmuggelt: Die Musiker kamen einzeln als Touristen und der Wagen mit den Instrumenten hinterher. Alles streng konspirativ. Wenn das Arbeitsamt was muckerte, war die Band schon wieder weg.« Einigen englischen Musikern gefiel Münster allerdings so gut, dass sie gleich hierblieben, wie etwa der Saxophonist David Hendsley.

      Das Copa Cabana lief und lief und lief. Die Band von Gronecks Untermieter stellte sogar den westfälischen »Weltrekord im Dauerbeat« auf – ein gewisser Steffi Stephan und Kumpels spielten 248 Stunden ohne Pause! Selbst das TV-Magazin »Drehscheibe« berichtete live vor Ort. Doch dem Ordnungsamt wurde das Treiben der »Gammler« vor den Toren Hiltrups zu bunt – Groneck verlor abermals seine Konzession und war pleite. Zwei Jahre jobbte er in einer damals völlig neuen Technologie: Elektronische Datenverarbeitung mit Lochkartonsystemen. 1967 wird Ultimos Chefreporter geboren. Im Jahr darauf eröffnet Groneck als Geschäftsführer wieder eine neue Disco in Münster: das Tabu am Alten Steinweg. Groneck: »Das war der Laden in der Stadt! Ein paar mit Schottenmuster bezogene Melkschemel,

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