Münster - Was nicht im Stadtführer steht. Carsten Krystofiak
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Westfälische Mentalität braucht einen eigenen Staat! So hätte er ausgesehen – mit Münster als Hauptstadt. Wer braucht da noch einen Livcom Award?
Die Idee wurde begeistert gefeiert und als Slogan das Motto »Unterm Krummstab ist gut wohnen!« präsentiert. Zentrumspartei und DNVP gründeten in Münster ein gemeinsames »Aktionskomitee«. Auf den Sitzungen wurde den Separationsbestrebungen an Rhein und Ems »lebhaftes Interesse entgegengebracht« und diskutiert, wie man den Holländern das Projekt als »westdeutschen Pufferstaat« schmackhaft machen könne. Ein paar kleinliche Spießer meldeten zwar Bedenken an, ob die Region zwischen Münster und Oldenburg denn für einen Staat groß genug sei und wohl wirtschaftlich bestehen könne, doch die in große Fahrt gekommenen Fans der Münster-Nation veröffentlichten schon mal eine Resolution mit einer unverhohlenen Drohung in Richtung Berlin: »Sollte die Regierung nicht in kürzester Zeit die Herbeiführung geordneter Zustände erwirken, wird die Volksbewegung zur Gründung einer westlichen Republik als deutschem Bundesstaat führen!«
Ein praktisches Kriterium der Eingemeindung hatte man auch schon gefunden: »Die niederdeutsche Sprache« sollte »das gemeinsame Band« der neuen Emsländer sein. Die Amtssprache wäre somit Plattdeutsch gewesen. Vielleicht hätte es zweisprachige Verkehrsschilder gegeben: Mönster/Münster. Der Bischof wäre als Kirchenoberhaupt seines eigenen Ministaates sogar zum Westfalen-Papst aufgestiegen!
Doch dieser Traum zerplatzte jäh schon wenige Tage später: Am 12. Dezember 1919 bekamen die Zentrumspolitiker auf einer Sitzung in Hamm plötzlich Angst vor der eigenen Courage. Dazu trug der Dortmunder Verleger Lambert Lensing (!) bei, der eine Ablehnung der westfälischen Industrie signalisierte. Als den Delegierten zudem klar wurde, dass eine Ablehnung der Staatsgründung durch die Berliner Nationalversammlung ein Spiel mit dem Bürgerkrieg bedeutete, wurde das abenteuerliche Unternehmen kurzerhand auf unbestimmte Zeit vertagt – und schnell von der Geschichte vergessen.
Ist auch besser. Eine Weiterverfolgung hätte womöglich zu einem endlosen Separatisten-Terror nach Art der IRA oder ETA geführt. Stellt Euch das mal vor: »... Und hier die Nachrichten aus dem Münsterland: Bei einem Bombenanschlag in Ostbevern explodierte heute früh ein Trecker. Zu dem Attentat bekannte sich ein »Kommando Schwester Euthymia« der katholischen Untergrundbewegung Freies Emsland ...« Na, da haben wir aber nochmal Glück gehabt!
(Erschienen 2008)
Anmerkung:
Auf diese bizarre Story stieß ich zufällig durch wenige magere Zeilen in einem Münster-Buch. Seltsamerweise fand ich nirgends eine ausführliche Schilderung, obwohl schon die wenigen Andeutungen eine tolle Realsatire versprachen. Erst im Stadtarchiv entdeckte ich eine Diplomarbeit aus den 1970ern über die Emsrepublik und mit Hilfe der genauen Daten auch die alten Zeitungsartikel. Die Vorstellung eines westfälischen Freistaates erscheint paradiesisch: Vielleicht hätten wir heute keinen Euro und wären nicht mal in der EU ... hach, man wird ja wohl noch träumen dürfen ...
Geisterstunde.
Gespenster, Spuk & fauler Zauber – Gruselgeschichten aus dem Münsterland.
Wir leben im Informationszeitalter; und Information ist an sich das Gegenteil von Aberglaube (auch wenn »Verbraucherinformation« oft was Gruseliges ist ...). Glauben heißt schließlich nicht wissen. Trotzdem geistern etliche Gespenster durch unsere moderne Medienwelt: Das »Gespenst des Krieges«, das »Gespenst der Arbeitslosigkeit« oder »das Gespenst der Globalisierung«. Auch die »Geister der Vergangenheit« werden von Zeitungen beschworen, etwa »das Gespenst des Kommunismus«. Die aufgeklärte FAZ nannte das Internet sogar »ein Geisterreich«. Mit diesem modernen Gespenster-Phänomen befasst sich die Literaturforscherin Frau Prof. Dr. Martina Wagner-Egelhaaf, die im vergangenen Jahr sogar einen Kongress zum Thema Mediengespenster in Münster organisierte. Ihre These: »Wir sprechen immer dann von Gespenstern, wenn große, problematische, schwer erklärbare Phänomene zu beschreiben sind; wenn sich komplexe, abstrakte Zusammenhänge nicht klar darstellen.« Schattenhafte Erscheinungen spuken durch den Blätterwald: Laut Prof. Dr. Wagner-Egelhaaf sind selbst Fakten, Fakten, Fakten manchmal nur Schauermärchen: »Fakten entstehen nicht nur durch reale Vorkommnisse, sondern weil alle Welt von etwas redet, weil etwas herbeigeredet wird.« Während also heute die Gespenster hauptsächlich in den Köpfen spuken – etwa wenn die Medien unablässig das Gespenst der Konjunkturkrise beschwören und herbeizitieren – ging es in früheren Zeiten wesentlich handfester zu.
Wer alte Quellen studiert, dem fährt der Schrecken in die Glieder: das Münsterland ist randvoll mit Spuk und unheimlicher Zauberei! Schon die gute alte Annette wusste ja: »Schaurig ist’s, übers Moor zu gehen!« Und das aus gutem Grund: Im Venner Moor, in der Wiedau zwischen Steinfurt und Borghorst sowie im Naherholungsgebiet Davert tummeln sich untote Unholde in Massen, etwa der Ritter Meinhövel. Der hatte nämlich selbst an hohen katholischen Feiertagen das Saufen nicht seingelassen und muss deshalb bis zum Sanktnimmerleinstag durch das Münsterland randalieren. Sein Kollege, Ritter Dietrich von Schönebeck, erschreckt bis heute Badende am KaÜ, wenn er durch die Emswälder spukt. Er soll 1284 seinen Burgkaplan erstochen haben, weil dieser sonntags die Messe nicht ausfallen lassen wollte, damit Schönebeck am Wochenende seinem Jäger-Hobby nachgehen konnte. Dafür gab’s zusätzlich zum weltlichen Strafmaß auch noch »ewiges ruheloses Umherirren.«
Wem in der Davert eine schwarze Kutsche mit vier schwarzen Pferden im Höllentempo die Vorfahrt nimmt, kann sich sicher sein, dass darin der verfluchte Renteimeister Schenkewald von Schloß Nordkirchen durch die Heide rast ... Die meisten Untoten wurden übrigens wegen relativ kleiner Geschäftsbetrügereien (Schneider mit zu kurzen Ellenmaßen, Händler mit zu leichten Gewichten etc.) zur ewigen Verdammnis und Wiedergängerei verflucht. Wenn das heute z. B. bei Handwerkern, Autowerkstätten oder der Deutschen Bahn auch noch gilt, müssen die Untoten im Venner Moor aber ganz schön zusammenrücken!
In den Baumbergen bei Schapdetten trifft man (bei Vollmond) evtl. auf zwei Mörderseelen, die dort um 1700 wegen folgenden Verbrechens hingerichtet wurden: In dem Lokal »Adams Hoek« beobachteten sie ein altes Mütterlein, das beim Bezahlen auffällig lange in ihrem Geldbeutel kramte und murmelte: »Tausend, tausend, aber keinen einzigen Pfennig.« Um die vermuteten tausend Taler zu erbeuten, folgten sie der alten Dame durch die Baumberge und schlugen sie in der Nähe von Tilbeck tot. In dem Geldbeutel fanden sie tausend – Nägel! In der Hohen Ward bei Hiltrup kann man – gerade jetzt zu Ostern – mehr Glück haben, als diese beiden groben Gesellen: Dort liegt nämlich laut Legende der riesige Goldschatz eines Sachsenkönigs in der Erde versteckt (B54 Richtung Süden, hinterm Kanal links. In der Nähe der Parkplätze liegt beim alten Zollhaus ein Platz, der von mehreren Hügeln umgeben ist – da liegt der Schatz). Immer am Karfreitag (aber nur in mondloser Nacht!) will der tote König aus seinem Grab heraus und macht dabei oft stundenlang Lärm. Die Anwohner der Bauernschaft bestätigen, dass man in manchen Nächten Geschrei, Gejammer und Gehämmer hört. (Ob der König dann raus, oder ein betrunkener Schatzsucher herein will ist allerdings ungewiss ...).
Ob man’s glaubt oder nicht: selbst der heilige Ludgerus, der die wotansgläubigen Münsteraner missionierte, hat nach seinem Tod anno 809 herumgespukt: Nachdem er in Billerbeck gestorben war, wurde er in Münster beerdigt. So gut scheint es ihm aber hier gar nicht gefallen zu haben: Laut Legende hat er seinen Sarg selbst wieder ausgebuddelt und gerufen: »Hier will ich nicht begraben sein!« (Das