Das perfekte Wirtshaus. Jürgen Roth

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Das perfekte Wirtshaus - Jürgen Roth

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      Vorwort

      Dieses Buch ist kein Wirtshausführer. Es ist eine Sammlung von Reisereportagen, von literarischen Feuilletons, von Anekdoten, Geschichten, Glossen, Essays. Allen Texten gemeinsam ist ein Thema oder Motiv: die Beschreibung der Eigentümlichkeiten unterschiedlicher öffentlicher Trinkorte.

      Um den möglichen Einwand vorab zu entkräften, es handele sich bei diesem Buch um eine bloße und darob eventuell ja wohlfeile Kompilation bereits erschienener Texte: Zum einen kann es sich ein freier Autor, der nicht über Erbschaftsmillionen oder granatengeile Börsenpakete verfügt, heutzutage bei den lächerlichen Vorschüssen, die Buchverlage zu zahlen bereit oder in der Lage sind, schon aus Gründen der simplen Reproduktion nicht erlauben, ohne Aufträge von Zeitungen, Zeitschriften und Rundfunkanstalten um die Welt zu reisen und durch die Gegend zu latschen; zum zweiten sind nahezu alle hier zusammengestellten (Auftrags-)Arbeiten aus den vergangenen sechs Jahren vor dem Hintergrund entstanden, sich zu einem Buch zusammenzufügen. Daß ich sie noch einmal sorgfältig durchgesehen und hie und da leicht retuschiert habe, darf ich anmerken.

      Den endgültigen Anstoß, sich über einen längeren Zeitraum mit Fragen und Phänomenen der Wirtshauskultur und ihres Niedergangs zu beschäftigen, gab 2004 Tanja Kokoska. Sie ist Redakteurin bei der Frankfurter Rundschau und war damals verantwortlich für das neue wöchentliche Regionalsupplement plan.F. Angeregt durch ein Interview, das ich mit Achim Greser und Heribert Lenz geführt hatte (siehe Seite 27), sagte Tanja: »Du hockst doch dauernd in Kneipen und Wirtshäusern rum. Schreib doch bitte für mich eine Serie über das perfekte oder ideale Wirtshaus.«

      Ich hocke zwar nicht dauernd in Wirtshäusern und Kneipen herum, aber schon recht häufig und gerne. »Gut«, sagte ich, »gehen wir’s an. Titel: ›Das perfekte Wirtshaus‹.« – »Sehr schön.«

      Tanja ist freundlich, kundig und – hartnäckig. Bereits nach der zweiten oder dritten Folge forderte der damalige Chefredakteur der Rundschau, Wolfgang Storz, lauthals die sofortige Einstellung der Serie. Das wiederholte sich praktisch jedesmal, wenn neuerlich eine ganze Seite des Serviceblattes mit einer eher verspielt-verwinkelten Abhandlung über das Wirtshauswesen gefüllt worden war.

      Tanja ließ sich nicht beirren und nicht einschüchtern, und so hatten wir es schließlich immerhin auf dreizehn Folgen gebracht. Daß kurz nach Erscheinen des letzten Textes plan.F eingestampft wurde, finden wir noch heute fast ungeheuer okay.

      Tanja, merci!

      Nach dem Ende der Serie wurde sie informell in multipler Aufsplitterung in anderen Zeitungen fortgesetzt. Ich danke vor allem Jörg Hahn, Freddy Langer und Jakob Strobel y Serra von der FAZ, Michael Ringel von der taz und Christof Meueler von der jungen Welt. Sie haben Texte in Auftrag und/oder in Druck gegeben, die ich im Hinblick auf die Fertigstellung des Perfekten Wirtshauses zusammengehauen habe.

      Gut möglich, daß das eine oder andere Etablissement, das auf den folgenden Seiten Erwähnung findet, mittlerweile nicht mehr existiert. Das wäre ein weiteres Indiz für das unaufhaltsame Verschwinden der letzten wahren, schönen, guten Wirtshäuser und Trinklokalitäten.

      Gut möglich obendrein, daß dem Leser gewisse regionale Einseitigkeiten ins Auge fallen und er im Gegenzug lobenswerte Kneipen etwa im Ruhrgebiet oder im hohen Norden vermißt. Erstens: Ich kann nicht überall sein. Zweitens: Neigung und Gewohnheit spielen in Sachen Gasthausbesuch natürlich keine unbedeutende Rolle. Drittens: Die Auswahl unterliegt auch dem Zufall; wo mich eine Redaktion hinschickt oder wo ich eine Rast einlege, das entscheide nicht ich und plane ich nicht. Viertens: Es geht hier letztlich um das Typische von Orten, an denen es sich lohnt, zu verweilen und – vornehmlich – Bier zu trinken.

      Sicher, zur Münsteraner Brauerei Pinkus Müller, in deren Ausschank ich mit Michael Rudolf mal einen hervorragenden Nachmittag verbaselt habe, zu einem ausgezeichneten Lärmladen in der Dresdner Südstadt, dessen Name mir entfallen ist, zum Augustiner-Keller und zum Jennerwein in München (ich bin im Besitz des Jennerwein-Raucherklubausweises Nummer 5.000), zur Gaststätte der Erdinger Weißbräu und zum Raucherclub Möller’s in Hamburg hätte ich durchaus ein paar Worte verlieren können. Aber manchmal habe ich keine Lust, mir Notizen zu machen und zu schreiben. Ich bitte um Nachsicht.

      Unruinierte Universalglückskomponenten

      Wer durch die Praxis galvanisierte Mitteilungen machen möchte über die letzten wahren Wirtshäuser, über Gaststätten und Lokale, die sich gegenüber dem Perfektibilitätsgedanken der Aufklärung zumindest noch als aufgeschlossen erweisen, der wird zunächst kaum im engeren oder weiteren hessischen Großraum verweilen, sondern voller Verve und maßstabsuchend ins angrenzende Bayern ausreiten und dort aber sofort in eines der gesegneten Segmente der Erdschrunde preschen: in die Fränkische Schweiz.

      Der Mensch ist anthropologisch maßgeblich bestimmt durch zweierlei – durch die Sprache und, so legt es der radikale französische Republikaner Claude Tillier in seinem mit Rinderzungen zu preisenden großhumoristischen Roman Mein Onkel Benjamin (1843) überzeugend dar, durch die Fähigkeit, sich zu betrinken. Der Mensch ist im Sinne auch Schillers nur dort voll entwickelt und des weiteren in irgendeiner Weise und Richtung entwicklungsfähig, wo er ohne Arg noch List und ohne störende Umstände herumhocken kann (also beispielsweise in einem Gerhard Poltschen »erdbebensicheren Gebiet« als vornehmlich Biergartengebiet), wo er dann in einem gewissermaßen traulichen Ambiente herumschwatzen darf und zudem eines jederzeit in unerschöpflicher Menge und extraordinärer Qualität vorrätigen Getränks habhaft zu werden vermag, eines Getränks, das sich reziprokproduktiv zur hellen, lichten Sprachlichkeit des Menschen verhält. Es handelt sich hierbei um das Bier.

      Alle drei Universalglückskomponenten sind in Heckenhof im Zentrum der Fränkischen Schweiz aufs edel-irdischste miteinander verbunden. Das liegt zum einen an einer waldbuckeligen, von Hohlwegen und Feldgehölzen durchzogenen und tektonisch krisenfreien Landschaft, zum anderen an der Wirtschaft Kathi-Bräu. Der Frankfurter muß lediglich etwa zweihundertdreißig Zug- oder Pkw-Kilometer überwinden, um das im 15. Jahrhundert gegründete Brau- und Schankhaus zu erreichen. Das ist fürs Paradies kein schlechter Wert.

      Am besten schlägt man sich östlich von Bamberg via Heiligenstadt nach Aufseß durch und erklimmt anschließend eine kleine Anhöhe über den neuerdings zum »Wellness-Wanderweg« beförderten Treckerpfad. Hinter einer generös arrangierten Baumgruppe eröffnet sich dem himmelblauen Blick zunächst ein gar nicht hinterfotzig genug zu verfluchender Parkplatz für jene Biker, die Kathi-Bräu zum »Szenetreff« erkoren haben und wochenends als »Wheelies« das »hopfige Naß« (www.bikeandmedia.de) in die Lederkörper importieren, um hinterher folgende Bike-and-Beer-Poetry ins virtuelle worldwide Hohlhausen zu pflanzen: »Ich geh nach Heckenhof seitdem ich 10 bin, da bin ich noch mit meinem Vater gefahren. Mittlerweile fahre ich selber und ich werde auch noch mit 60 Jahren dahin fahren, da ist es einfach super und die Kathi Bräu in Heckenhof ist im Sommer schon so ne Art Familie.«

      Ist sie, Gott sei es gedankt, unter der Woche nicht – sondern vielmehr ein anarcholibertäres Gemütlichkeitsterrain at its best. Da rasten unter elysischer Laubüberdachung und in archäologisch wertvoller Ruhe um halb elf Uhr morgens junge Müßiggänger, Spazierleut’, Handwerker, festgeschraubte Krugstemmer und gemischte Rentnermannschaften, die frohvollst das malzmuntere, nach »Geheimrezept« der 1993 verstorbenen Braumeisterin Kathi Meyer verfertigte braune Lagerbier einsaugen, das zwischen Plackenschwarz und Lakritzbraun changiert und durch seine kompottartigen Nuancen zuweilen an Schwarzbier oder sonst was erinnert. Eine Katze sieht das ebenfalls für geraten an, sofern sie nicht im wilden Garten neben dem durch und durch unruinierten,

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