Das perfekte Wirtshaus. Jürgen Roth

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Das perfekte Wirtshaus - Jürgen Roth

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noch mit Holz befeuert, es wird offen vergoren, und die intermahlzeitliche Getränkezufuhrerörterung schwankt alsdann inflammiert zwischen dem Hopfengeniestreich Schloß-Pils, dem zierlich gemalzten und perfekt komponierten, vereinzelt bis in den Frankfurter Raum vorgedrungenen dunklen Landbier oder dem ganzjährig in die Runde spendierten Doppelbock. Hinter diesen Steinen können sie brauen, im emphatischen Sinn – leider lediglich 4.000 hl pro Jahr.

      Hinter den Innenhofmauern des verschachtelten Kalt-Loch-Gebäudes verbirgt sich auch die älteste, um 1290, keine sechzig Jahre nach der ersten urkundlichen Erwähnung der Stadt entstandene Synagoge Deutschlands. Im Zentrum der damaligen »Judenstadt«, des heutigen Schwarzviertels, gelegen, diente sie bis 1429, bis zur ersten Vertreibung der Juden aus Miltenberg, als religiöses und soziales Zentrum. Zu besichtigen sind noch das Deckenrippengewölbe und die Spitzfenster. 1877 kaufte die seit 1580 bestehende Brauerei das Gebäude, man zog eine Zwischendecke ein und lagerte hier fortan Hopfen und Malz, während die Kultusgemeinde eine neue Synagoge hinter dem Riesen errichtete. Der dritte Synagogenbau wurde 1938 geschändet und zerstört, 1942 wurden die letzten beiden jüdischen Mitbürgerinnen nach Theresienstadt deportiert.

      Hier und jetzt wandeln die Miltenberger übers Kopfsteinpflaster der Hauptstraße. »Sonne in dieser Straße, und wir sind in Italien«, murmelt ein Mann, und das wäre wirklich zu schön, um wirklich und wahr zu sein.

      Gottesgegenbeweise

      Co-Autor: Michael Tetzlaff

      Ein Gott, der zuläßt, daß Männer so sitzen, daß man die hinter ihnen sitzenden blonden, brünetten und schwatten Frauen nicht sieht; der zuläßt, daß dann, wenn die Männer aufstehen, die Frauen, die man nicht hatte sehen können, nicht mehr dasitzen, weil sie inzwischen gegangen sind, und statt dessen dort nur noch Männer, andere, sitzen; ein Gott, der zuläßt, daß der Tisch, der Marmortisch, an dem man sitzt, so dunkelbraun, rot und ocker gemustert ist, daß man glaubt, man sitze an einer Platte Blutwurst, Preßsack und gekochten Schinkens; ein Gott, der zuläßt, daß man anstelle von »Frische Muscheln« »Falsche Muscheln« liest, diese bestellt und dann auch noch falsche Muscheln bekommt; ein Gott, der zuläßt, daß ein Kalender, auf dem die göttlichste Helena aller Zeitalter abgebildet ist, dreißig Euro kostet, man sich ihn beziehungsweise sie daher nicht leisten kann und deshalb nichts mehr hofft, als daß der Preis des Kalenders reduziert werde; der zuläßt, daß ebendieser höllische Kalender nach Monaten dann plötzlich elf Euro kostet und man aber jetzt komplett pleite ist und sich Helena noch weniger leisten kann als je zuvor; ein Gott, der dies und das alles zuläßt, kann nicht sein, darf nicht sein und hat vor allem so oder so von seinem blödesten Geschöpf keine Ahnung.

      Denn so glaubt doch kein Mensch.

      Kein Ruhetag, keine Ferien

      Auf dem Staffelberg, dem heiligen Berg der Franken, zu stehen und hinab ins Maintal zu schauen, auf Lichtenfels und Staffelstein, auf das Kloster Banz auf der anderen Flußseite und, in nordöstlicher Richtung, auf die Basilika Vierzehnheiligen – das stimmt heiter. Noch beflügelter fühlt man sich nach einer kurzen Wanderung hinüber nach Vierzehnheiligen, wo nicht nur ein enervierender touristischer Auftrieb rund um einen kirmesartigen Wallfahrtsnippeshandel herrscht, sondern in der Schankstube der Alten Klosterbrauerei ein segensreicher Rettich und der glorios malzige Nothelfer Trunk serviert werden.

      Den Weg dorthin und zu anderen Kleinoden der Kultur und Natur zwischen Fichtelgebirge und Altmühltal weist Helmut Herrmanns Buch Biergartenwanderungen in Franken (Bamberg 2003). Herrmann beschreibt detailliert zwanzig Routen mit Gehzeiten von drei bis fünf Stunden. Jeder Abzweig ist verzeichnet, und erfreulicherweise umschifft Herrmann geschmackssicher dräuende Tücken wie Schäffbräu in Treuchtlingen oder die Nürnberg-Fürther Tucher-Dynastie.

      Herrmann macht aus seiner Begeisterung für die stillen, baumbeschatteten Biergärten genausowenig einen Hehl wie aus seinem Abscheu vor »Allerweltsküche und Großbrauereibier«. »Als ideal anzusehen ist es, wenn der Wirt selbst schlachtet und wurstet, braut, Brot bäckt, Schnaps brennt und Butter sowie Frischkäse herstellt«, hängt er die Ansprüche zu Recht hoch, denn es gibt solche vorbildlichen Wirte tatsächlich noch, zumal in Oberfranken, etwa in der einzigartigen Bierkellergegend zwischen Buttenheim und Hirschaid, rund um den Kreuzberg im Aischgrund nahe Forchheim oder auch in dem verlockenden mittelfränkischen Örtchen Suffersheim im Schambachtal, wo man im Gasthaus Zur Sonne »die ganze Palette an Schweinernem« reicht, zu Landbier der Brauerei Wurm.

      »Vegetarier werden hier kaum glücklich werden«, weiß der weise Bier- und Landschaftskundschafter, und er weiß obendrein: »Für den Wanderer mit Auto ergeben sich schnell Promilleprobleme.« Deshalb bleibt er, wandern hin, wandern her, vielleicht doch besser und lieber in einem jener Wirtshäuser hocken, über die Herrmann die herrliche Information preisgibt: »Täglich von früh bis abends geöffnet. Kein Ruhetag, keine Ferien.«

      132 Dreier

      Breiter könnte das Grinsen kaum sein, das M. A. Numminen, hinter einem Billardtisch stehend, zur Schau trägt. Ehrlicher könnte es auch nicht sein. Der »Helge Schneider von Finnland« (SWR), studierter Philosoph und Soziologe, Musiker, Entertainer und Autor, ist, davon durfte ich mich mal einen ganzen Tag lang persönlich überzeugen, ein grundsympathischer, sanftmütiger und an praktisch allen Dingen der Menschenwelt interessierter Komiker. Jede Bosheit, jeder Anflug von Misanthropie scheint ihm fern.

      Hier, auf dem Umschlagphoto des endlich auf deutsch erschienenen Buches Der Kneipenmann (Frankfurt/Main 2003), sehen wir jenen Schelm, der nicht nur in Finnland durch eine gnadenlos virtuose Wittgenstein-Suite (jetzt unter dem Titel Numminen sings Wittgenstein ebenfalls bei Zweitausendeins erhältlich) oder den Roman Tango ist meine Leidenschaft zu Ruhm gelangte. Und wir sehen ihn dort, wo er sich offenbar am liebsten rumtreibt: in einer typischen finnischen Bierbar, in der seit 1969, anders als in Norwegen und Schweden, das sogenannte Dreierbier ausgeschenkt werden darf.

      Das Dreier hat einen Alkoholgehalt von 4,5%, und es wird von all jenen verschmäht, die meinen, etwas Besseres zu sein, und daher Wein und Starkbier saufen. Numminen hingegen schätzt die kleinen Leute, die Arbeiter, Arbeitslosen und Rentner, die die Dreierbars bevölkern. Deshalb unternahm er eine 20.000 Kilometer lange Exkursion durchs ganze Land und machte sämtlichen 350 finnischen Bierschenken seine Aufwartung.

      132 von ihnen widmet sich sein von zärtlicher Anteilnahme und humanem Wohlgefühl durchwehter Bericht. So knapp die Texte gehalten sind, so erwärmend wahrhaftig wirken die Protokolle der teils konfusen, teils anheimelnden Gespräche zwischen Menschen, die in Tankstellenbars und Lokalitäten von fürchterlichem finnischen Aussehen und mit Namen wie Jungrentierbulle oder Himmel-Wald-Einöde einfach schön trinken und sich etwas erzählen.

      Numminens soziologische Aufmerksamkeit und sein unermüdlicher Drang auf der Jagd nach der »eisernen Reserve« – Kaffee, Krapfen und Bier – lassen ihn hier nicht so sehr als »anarcho-dadaistisches Gesamtkunstwerk« (Berliner Zeitung) auflaufen, sondern als Parteigänger der staatsfernen Schwadroneure, Kommunisten und Gescheiterten. Und obschon es zu slapstickartigen Situationen kommt (Numminen hobelt trotz schier berstender Blase zunächst ein weiteres Dreier runter, weil er die Schwemmentoilette nicht aufsuchen will, ohne dem Wirt vorher einen anständigen Obolus entrichtet zu haben), enden viele der Geschichten ohne falschen Pointenhackerhabitus, nämlich zum Beispiel vorbildlich so: »Numminen trinkt seinen Krug aus und schiebt eine Pastille hinterher.« Respektive »ein paar Flaschen Dreierbier als Sedativ«. Denn »Numminen trinkt Bier und überläßt sich seinen Gedanken.«

      Das genügt.

      Blond

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