Das perfekte Wirtshaus. Jürgen Roth
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Erwähnt sei notabene und nebenbei, daß der Himmel gerade aufreißt, daß es in der Stiftsklause kein Weizenbier gibt, daß »Wahrheit und Wirklichkeit in Prüm« laut Ror Wolf eventuell derart »stark und so allgemein« seien, »daß man sofort mit dem Schlimmsten zu rechnen« habe oder nicht, und daß um die Ecke die Buchhandlung Hildesheim zu finden ist. Was kaum was zur Sache tut. Weshalb trotz aller »Keilkräfte des Kruges« (Achim Wrba) »das muntere Gurgeln der Bierbrause im Ranzen« weiterhin »die Fulminanz des Lebens« »fulminierend« auf Vordermann bringt. Hier und nunc und rundherum.
Musik
In der architektonisch, allgemeinmenschlich und infrastrukturell sowie strukturell lückenlos verfehlten und verlorenen Stadt München gibt es nur einen Weg, der sich zu gehen lohnt: zum Hofbräuhaus am Platzl.
Wen es als Kind einmal dorthin verschlug, dem offenbart sich eines Tages die innere Mission, im Alter zunehmender Bewußtheit an den Ort seiner frühesten Erfahrungen mit dem Gaststättenwesen zurückkehren zu müssen.
Nichts anderes tat neulich eine Gruppe äußerst hoffnungsvoller, durch den vormaligen Verzehr einiger, um nicht zu sagen etlicher Einbecker Biere nach den kantischen Prinzipien vernünftig präparierter Lehrlinge denn auch. Den legendären Keller erreichten sie zwar nicht, und auch täglich ab 19 Uhr live in der »Trinkstube« dargebotener »Unterhaltungsmusik« wurden sie weder ansichtig noch anhörig; doch fand man Platz in der ebenerdigen »Schwemme«, in der nebst regulären Frühschoppenkonzerten allerdings bereits Schlag 17.30 Uhr »HB-Blasmusik« zur Aufführung kommt – zum Leben nimmermüd’ erweckt durch die »hauseigene Blaskapelle«, die für original »bayerische Abende« bürgt, »a bisserl zünftig – a bisserl modern«.
Das von Peter Mohyla gelenkte Ensemble aus der mitunter eingeflogenen Jodlerin Tilli, aus Glockenspielern und Schuhplattlern sowie Goaßlschnalzern, Alphornbläsern und Stubimusikanten erzeugt »viel bayerische Atmösphäre«, ganz klar, das fetzt dermaßen, daß der Hund der Katze keinen Faden abbeißt.
Unsere juvenile Reisegruppe ist folglich begeistert. Sie sitzt neben dem Stammtisch und hat wie dieser das mittig gelegene Krawallpodium voll im Blick. Sollte da mal einer der sich durch Abgabe von etwa vierhundert Mark fürs Dirigat eines Songs qualifizierenden Touristen aus Übersee oder der niederrheinischen Kartoffelbörde danebenschlagen und die Combo somit aus dem Takt werfen, schmeißt der Drummer die Brocken respektive seine Knüppel hin, wirft den Gamshut in die jubilierende Trinkergemeinde und haut dem blöden Deppen von einem dahergelaufenen Geldjapaner gezielt und nachdrücklich eine vor die dumme Omme. Jauks!
So tolerant sind die Menschen hierzuland’. Und mit dieser ja gerade heute wieder geradezu wertvollen und wertsatten patriotisch-ethischen Textleitrichtlinie wollen wir diese aufregende Expedition dann auch schon wieder beenden.
Mühle marsch!
Der Kölner Karneval hat einiges zu bieten. Mich rief mal ein Freund, ein Redakteur beim WDR, an und berichtete live von einem Fenster des Funkhauses in der Nähe des Doms: »Und jetzt poppen sie da unten auf der Gasse!« Und nach solch schöner Tat gehen sie in die Kölschkneipe, sofern sie nicht vorher dem Über-Ich-Impuls gehorcht und diversen Schnäpsen in derartigen Mengen die konsumistische Absolution erteilt haben, daß sie mit dem Segen des gnädigen heiligen Spiritus in der Gosse versumpfen oder im Rhein versinken.
Wer es nach dem Koitus noch zum Locus amoenus einer Kölschkneipe schafft, kauft am Eingang eine klopapierrollendicke Getränkemarkenreserve und überläßt sich bevorzugt den erregenden Unmittelbarkeits- und Folgewirkungen des lendenweichen Mühlen Kölsch, das, »frisch aus der Malzmühle« geflossen, als würziger Appetizer, der den bald greifenden Fastengeboten schon vorauseilend nicht im mindesten zuwiderläuft, das einzige seines Faches ist, das den altknorkigen Sortencharakter nicht leugnet und, vollharmonisch auf die Kölsch-Konvention geeicht, nicht im Pils-Simulations-Orkus umherirrt.
»Köbes, gib Bier auf die Mühlen!« rufen die Jockel, Gockel und Jecken, und falls die Flasche nicht poppt, so ploppt sie doch. Es ist noch auf etwas Verlaß in dieser Welt und in diesen Tagen.
Berwersdorff hat unrecht
Der Kollege und Freund Michael Tetzlaff schrieb ein Buch, obwohl er nie Lust gehabt hatte, eins zu schreiben, und war, um nicht jeden Abend mit Freunden oder mit mir in irgendwelchen Frankfurter Kneipen herumzuhängen, anstatt an seinem Buch zu schreiben, für zwei Wochen an die Ostsee gefahren.
Die Ostsee sei ohnehin die einzige Gegend auf der Welt, in der man es aushalten oder die man erreichen könne, ohne fliegen zu müssen, hatte Herr Tetzlaff vor der Abreise gesagt. Ich erkundigte mich dann täglich telephonisch über den Fortgang der Arbeit und darüber, wie es an der Ostsee im großen und ganzen bestellt sei, und Herr Tetzlaff sagte, es habe an der Ostsee eine Menge Wasser, das kalt sei, er fürchte zu sterben, springe er ins Wasser, des weiteren habe es diverse Kliniken, ein FDJ-Heim, das zum Superbumshotel oder zu was auch immer umgebaut worden sei, und das Bier sei ja auch nicht mal das schlimmste, Rostocker Bier, das könne man trinken.
»Hast du noch genug Zigaretten? Soll ich dir zehn Stangen vorbeibringen?« fragte ich Herrn Tetzlaff, aber die Verbindung brach ab.
Am nächsten Morgen kaufte ich zehn Stangen Zigaretten und setzte mich neun Stunden lang in den Zug.
Graal-Müritz ist nicht groß. Ich traf Herrn Tetzlaff in der ersten der beiden Kneipen. Er rauchte Caro-Zigaretten, trank Rostocker Bier, er begrüßte mich, ich begrüßte ihn, anschließend tat ich es ihm gleich.
Zwei oder drei Tage lang taten wir das (ohne die Begrüßungsgeschichte, die gewöhnten wir uns schnell ab). Während eines Spaziergangs schmiß ich die mitgebrachten Zigaretten in den Vorgarten einer der Kliniken. Herr Tetzlaff merkte das nicht, wahrscheinlich schrieb er im Geiste weiter an seinem Buch.
Gewöhnlich liefen wir zehn oder zwanzig Minuten am Strand entlang, guckten auf die zähe, zufrieden schwappende Ostsee, fanden das okay und gingen in ein Promenadenrestaurant. Dort spielten wir Mühle bis zum Zapfenstreich und tranken Rostocker Bier.
Ich kann von mir wirklich behaupten, alles getan zu haben, um die Fertigstellung des Buches zu verhindern. Es ist fertig geworden, Ostblöckchen, dieses