Das perfekte Wirtshaus. Jürgen Roth
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Für viele der im Osten beheimateten Biere, darunter die weizenbierähnliche Gose und die traditionellen Schwarzbiere, fehlen schlicht die Worte. Man erfährt nichts über sie. Im Gegenzug wird der Leser seitenlang mit einer Brauerlyrik eingeseift, in der sich die »urige Gaststube« auf den »rustikalen Biergarten« reimt, garniert mit einem Werbeslang, der eine »Eventlocation« anzupreisen weiß, obwohl es sich um die Stralsunder Brauerei handelt.
Mögen auch die Ausführungen zur Geschichte der Brauhäuser durch ihre Genauigkeit überzeugen, sobald es doch mal um den Geschmack der Produkte geht, ergreifen Hopfen und Malz die Flucht. Da ist dann zuverlässig nichtssagend von »herb-spritzig«, »süffig-herzhaft«, »kräftig-würzig« oder »vollmundig-aromatisch« die Rede, und reicht es gelegentlich zu mehr als zum lästigen PR-Deutsch des Brauer-Bundes, dreht es einem spätestens bei der »Faßbrause« oder beim »leckeren Kühlungsbräu«, was immer das sein soll, die Zunge um – respektive bei einem solchen Satz: »Der cremige Schaum ist genau das Richtige für liebliche Zungen.«
Daß sich die zweifelhaften Biermixer der Klosterbrauerei Neuzelle eines vom Geschäftsführer verfaßten Gastbeitrages über sein ureigenes »Anti-Aging-Bier« erfreuen dürfen, erklärt der Werbeeinsatz des Hauses auf der Rückseite des Buches. Stefan Rehse gesteht anläßlich dieses unschätzbaren Elaborats: »Ich hätte mich entleiben können.« Zum Glück hat er’s nicht getan und kann deshalb darauf hinweisen, daß in Die Biere des Ostens diverse Brauereien schmerzlich vermißt werden: das Altstadtbrauhaus zu Bautzen zum Beispiel, der Stadtkrug in Schwerin, die Hausbrauerei Am Anger und Schwanenbräu in Erfurt oder die Demmert Brauerei aus Neuendorf bei Klötze, der pferdefreundlichsten Stadt Deutschlands.
Allein, der Kardinalfehler ist die klägliche Erwähnung der Museumsbrauerei Schmitt in Singen. Wer deren sagenhaftes Export nicht feiert, darf nicht mitreden. Im übrigen schreibt er gewissermaßen selbstentlarvend ins Vorwort hinein, es gebe »auch Brauereien, die nicht in dieser Form an die Öffentlichkeit treten wollten«. Verstehen kann man das. Gewünscht hätte man es sich vor allem im Fall der Berliner Bruchbuden und der Hasseröder Brauerei. Zu denen sollte niemand hinwollen, es sei denn, er ist suizidentschlossen.
Krug und Kruzifix
So geht das. Mit der Karre hochbrettern. Im BMW, 353 PS. Und einen Fahrer haben. Der dann ein Cola trinkt. Vielleicht. Und jetzt aber erst mal die Mannschaft hochbringt. Damit sie bloß nicht laufen muß. Auf den Kreuzberg in der Bayerischen Rhön, nicht weit von Fulda (Dyba sel.), östlich von Wildflecken.
928 Meter hoch. Das packt ohne Pkw (BMW) keiner. Es sei denn, er ist Wanderer. Am Tisch wird das bestätigt. Man fährt. Der Hochrhönbus fährt, und irgendein Fred fährt auch. Ein Fred, der einen hochbringt, zum Bier bringt und wieder wegbringt. »So wird das gemacht, das ist schön«, sagt die Dame und hebt die Maß.
Der Kreuzberg, zusammen mit der ebenso hohen Dammersfeldkuppe (ein Name, den man sich unbedingt merken sollte) der zweithöchste Berg der Rhön, liegt auf der Rhein-Weser-Wasserscheide. Deshalb regnet es hier immer. Meistens. Manchmal. Zumindest, wenn die Mannschaft kommt. Die Mannschaft: Herr L., Herr T. und Herr R. Herr L. ist der Fahrer – L. wie Loser.
Spätsommer und Dauerregen, das ist Deutschland. Das ist der Kreuzberg. Unbeeindruckt walzen Millionen den Berg hinauf. Fluten die Parkplätze, überschwemmen den Vorplatz, drängen zur Würstlbude, entern den Klosterhof, belagern nasse Bierbänke, umstellt von grauschwarzen, groben Basaltmauern. Feucht pappen die Kleider. Das Bier fließt. Ein Geschrei findet statt. Kalt ist der Arsch.
Die Wallfahrts- und Klosterkirche, hoch droben über Buchenwäldern, Basaltkuppen, Mooren und Bergmatten thront sie treulich, beherbergt seit dem 17. Jahrhundert Mönche des Bettelordens der Franziskaner. Seit 1731 betreiben sie eine eigene, gerühmte Brauerei. Das ist ein Argument. »Ein endloser Zug« nach dem anderen, so Kardinal Faulhaber (1901), schiebt sich vorwärts und hinzu zur Tränke, zum Ausschank, dem heiligen, hin »zum Krug« (Faulhaber), o Kruzifix.
Vier, fünf, sieben Wirtsräume. Alle brechend voll. Im Zentrum der reihum angeordneten Stuben die Schank. Stimmung in den Gängen wie im Stehimbiß um halb neun. Tonkrüge, tonales Mischmasch, Rucksäcke, manch ein Sackgesicht. Blechern tönt durch Lautsprecher: »Eine Damenuhr wurde gefunden. Sie kann an der Pforte abgeholt werden.«
Es gibt eine Nichtraucherstube. Im »Fürstensaal«, einem Raucherparadies ohne geöffnetes Fenster, findet die Mannschaft endlich Platz. Direkt am Eingang. Denn am Nebentisch will man nicht, daß geraucht wird. Also darf man nicht Platz nehmen. Man darf aber drei Nichtraucherstühle mitnehmen und sich in den Durchzug setzen. Das ist erlaubt. Seitens der Nichtraucher.
Sekündlich geht die Tür. Auf und zu. »Was hier weggesoffen wird«, sagt Herr L. und verlacht sein Cola. Tabletts fliegen durch die Luft, Tabletts aus der Kantine, in der ein höllisches Geschiebe herrscht, als gäbe es was umsonst. Außer dem Glauben.
»Wenn der Islamist hier tätig würde, er würde den Nerv des Abendlandes treffen«, sinniert Herr L. Herr R. betreibt Studien über die Möglichkeiten, verschiedene Arten von Durchzug zu beschreiben. Herr T. hat seine dunkle Maßpremiere. Die Brezeln sind kroß und gut wie nirgendwo sonst. Bald wird jemand von einem Tablett erschlagen. Schnaps und mitgebrachte Speisen sind verboten.
Dicke Frauen, mitteldicke Männer, dünne Damen, Schweinsbratenbäuche, Fräuleinwunder. Die Räume sind karg, die Tischdecken gemustert, die Pegel steigend. Draußen versinkt die Welt im Nebel, es ist Ende August.
Herr T. kommt sich vor »wie in einem Hörspiel von Eugen Egner«. Herr L. erzählt, zurückgekehrt von draußen, die Pilger seien da. Am Bus spiele man Kirchenlieder. Mit der Blaskapelle. Zutritt zum Antonius-Bau »nur für Pilger«. Eine Nonne trinkt unter den Weltlichen. Durchsage: »Sehr verehrte Wallfahrer, um 21.15 Uhr findet in der Kapelle ein Couplet statt.« Das hört man doch gern.
Um 20 Uhr soll Schluß sein, Pfandrückgabe (3 €) ist bis 21 Uhr möglich. Um 22 Uhr sind alle voll. »Singen und Gegröle«, per Anschlag untersagt, »da wir kein Festzelt oder eine derartige Einrichtung sind«, hie und da und überall. So langsam, so sicher sitzt man jetzt endlich im nahezu perfekten Wirtshaus. So geht das. Im Grunde. Vielleicht. O doch. Wir denken weiter drüber nach.
Frikadellengrünfrüchteensemble
Weil einem in der bahnhofsnahen Frankfurter Totallokalität Gleis 25, die jedem Reisenden eingeschränkt empfohlen sei, auf die Frage nach etwas Eßbarem Bescheid gestoßen wird: »Das hier ist eine Absturzkneipe, klar?! Nix zu mampfen!«, fahre ich gerne mal ein paar Ecken weiter, nämlich ziemlich präzise zweihundertvierunddreißig Kilometer über den namenlos schönen Hunsrück und scharf an den Rand der Schneifel, nach Prüm.
Sollte ich mir eine Gaststätte zur sogenannten Kultkneipe erwählen, es wäre die ebendort am Hahnplatz gelegene Stiftsklause. Ach, welch wundersam klirrender, betörend tönender Name! Ende August etwa, wenn flaumige Winde durch die Wipfel des samtgrünen Eifeltanns streichen, fallen wir, eine Bagage von Autosportnarren auf Pilgertour gen Spa-Francorchamps, hier ein, in einem der anmutig-gemütlichsten Etablissements der stark westlichen Republik.
Freilich und annäherungsweise gewißlich, manchem Leser mag die Stiftsklause bekannt sein als Stammbölkbude des Prümer Motorradclubs »Wäffuh«, auch als Refektorium, in dem der Kreisbauernverband Bitburg-Prüm seine Sprechstunden runterleiert. Aber wer jemals auf der gut achtzig Durstigen Rast und Speisung gewährenden Terrasse einen Nachmittag unter saftig gelben oder weiß-unschuldigen Bitbiersonnenschirmen verdöselt hat, der versteht, was ich meine, da ich anbetend jauchze: Stiftsklause, du Oase des Labsals und Prümer Hanswurstes (i. e. Kartoffelpuffer