Das perfekte Wirtshaus. Jürgen Roth
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Lenz: Richtig. Es gibt immer weniger Großkneipen – so wie den Schlappeseppel. Statt dessen gibt es immer mehr Eßgaststätten, in denen man zu bestimmten Zeiten nicht mehr Karten klopfen darf.
Greser: Das ist auch ein Phänomen des Regionalkonglomerats Rhein-Main, das sich gerne als dynamisches, international konkurrenzfähiges Wirtschaftszentrum ausweist. Wenn man Geschäfte mit dem Chineserer machen will und dem wie vor hundert Jahren Handkäs’ und sauren Äppler vorführt, ist das vielleicht nicht unbedingt förderlich. Also, man muß es zulassen, daß der Chineserer ein Lokal kriegt, das nach seiner Façon zugeschnitten ist.
Lenz: Der will halt auch hier seinen Schweinsbraten.
Greser: Und das heißt, die Globalisierung schlägt auch hier zurück.
Ist der Schlappeseppel eine Nische?
Lenz: Nee. Das ist einfach ein Gasthaus, das seit Jahrzehnten vernünftig geführt wird, und es marschieren immer noch genug Leute rein.
Greser: Die Wucht der Tradition ist hier natürlich auch gewaltig. Und Gott sei Dank ist das Potential dieses Lokals stark genug, um Kräfte zu mobilisieren gegen diejenigen, die den Schlappeseppel in ein zeitgeistgeprägtes Jugendlokal verwandeln könnten. Es ist ein gutes Zeichen, daß man sich hier nicht vom stringenten Erwerbsgedanken leiten läßt.
Lenz: Die Gästeschar ist so groß und zäh, daß ein Wirtswechsel oder eine Umwandlung nie zur Diskussion stand. Wie wär’ denn das, ein Bistro Schlapp zum Beispiel?
Es gibt einen starken Beharrungswillen …
Greser: Die Menschen sind darauf trainiert, auch schon am Nachmittag in das Lokal reinzuschreiten und die ersten Biere zu trinken. Das Beeindruckende ist tatsächlich, daß bereits am Mittag keine kahle Wirtshausödnis herrscht und dieser wunderbare Rumor aus Gebabbel, exaltierten Kartenspielreaktionssignalen, verfrühtem Suff und Extremäußerungen entsteht.
Lenz: Man sitzt einfach generationenübergreifend zusammen, der eine ist Straßenkehrer, der andere Jurist, und man kann über jedes Thema reden und sich gegenseitig beschimpfen. Vor ein paar Jahren hat übrigens Warsteiner eine Werbung mit weißgekleideten Menschen auf einem Gutshof gemacht – da hat’s angefangen, daß die Bierkultur auf den Hund kam und die alten Lokale verschwanden.
Im Schlappeseppel gibt es keinen Dresscode …
Greser: Hier sind alle gleich. Hier gelten andere Wettbewerbskriterien als draußen.
Welche?
Lenz: Du mußt über jedes Thema reden können.
Greser: Und die Verträglichkeit von Bier muß hoch sein. Die entscheidet über glaubwürdig und unglaubwürdig.
Würdet ihr den Schlappeseppel als das ideale Wirtshaus bezeichnen?
Lenz: Ja.
Greser: Ja. Das beste Wirtshaus im Umkreis von hundert Kilometern. Der Schlappeseppel strahlt eine so einnehmend sympathische Atmosphäre aus, daß man sich ihr nicht widersetzen kann. Und will. Man wär’ ja blöd.
Lenz: Denn es ist einigermaßen schlicht eingerichtet. Wenn man mal ein Vorurteil gegenüber Frauen vorbringen darf: Es ist immer problematisch, wenn eine Wirtsfrau gestalterisch tätig wird – wenn dann Hexen in den Fenstern stehen oder Getreidegarben an der Wand pappen oder das mit den Deckchen anfängt. Das ist der Tod.
Greser: Dieser Keramikkrempel und kunsthandwerkliche Schrott, dieses Überdeckungsgewese … Die Wucht der Patina ist wichtig. Die Bänke müssen alt sein. Das ist ein Wohlfühlfaktor, den man spürt. Außerdem darf keine Musik laufen, genauso, wie in einer guten Kneipe die Möbelhausfarbkombination Pink und Türkis nicht vorkommt.
Lenz: Hut ab, Achim! Hervorragende Beobachtung! Darüber hinaus muß es mittags losgehen, es muß sich langsam steigern. Wenn man eine Kneipe erst um siebzehn Uhr aufmacht, ist alles zu spät.
Greser: Kneipen, die zwischen halb drei und halb sechs schließen, sind Kneipen, die außerhalb der Kategorie des Wohlfühlfaktors liegen.
Der Schlappeseppel ist auch eine lichte Kneipe, keine Kaschemme.
Greser: Weil, wie es sich gehört, beim Bau am richtigen Ort der Sonnenverlauf mitbedacht wurde. Es ist ja auch ein Merkmal des Verschwindens der Kneipenkultur, daß man meint, Kneipe könnte überall sein. Man kann zum Beispiel in die Garage Bierbänke stellen. Aber das ist viel zu kurz gedacht. Das is’ nix. Das ist dumm. Das ist Bezirksliga. Das hier ist Champions League.
Lenz: Wenn das Licht wie hier auf mein Bier fällt, dann geht mir das Herz auf.
Greser: Das ist der theologische Aspekt der Kneipe – einen Platz zu finden, an dem man mit sich völlig im reinen ist und seinen Gedanken freien Lauf lassen kann. Das ist noch Abendland!
Lenz: Ich bin dem Herrgott dankbar, daß ich nicht im Islam aufgewachsen bin und in Teestuben rumhocken muß.
Hinter den Steinen
Es ist nicht leicht in Miltenberg am Main. Wo soll man hin? Die kleine, alte Stadt, für deren wie aus einem Baukasten für überzeitliche Fachwerkharmonie zusammengefügten Marktplatz mit dem berühmten Steinbogendurchgang hinauf zur Burg, dem Schnatterloch, sogar Adorno ein paar lobende Worte übrig hatte, dieses im Fremdenverkehrsjargon zur »Perle« ernannte Städtlein hält einen auf Trab, trotz der allerkürzesten Wege im überwiegend beschatteten Altstadtbereich.
Wo soll man hin? In den Riesen? Jene ehemalige Fürstenherberge, die als ältestes Wirtshaus Deutschlands firmiert und in deren hoher Schwemmenhalle man auf der dunklen, umlaufenden Holzbank das geschätzte Faust-Bier trinkt? Oder in westlicher Richtung die Hauptstraße, die Achsengasse, hinunter, um in der unerbittlich gemütlichen Créperie des politischen Universaldenkers Karl-Heinz Jalufka Seit’ an Seit’ mit den Herren Ramazan, Neubert und Scherer-Wolfgang zu Pfannkuchen mit hausgemachtem Zwetschgenmus das eine oder andere Faust- oder Kalt-Loch-Bräu umzuochsen? Oder vorher erst rasch noch in den wunderbar anheimelnden Hof des Museums am besagten und besungenen Marktplatz, wo die »Stadt aus Holz« Gebäudlichkeiten aus dem 14. Jahrhundert, das grandiose Weinhaus am Markt inklusive polygonem Erker und eine höchst geheimnisvoll erbaute Sandsteinkirche herzeigt? Oder, vierzig Meter retour, doch gleich und den ganzen Tag lang in die Brauerei Kalt-Loch, das Traumpendant zum Jalufkaschen Hammeretablissement?
Ohne irgend jemandem Unrecht zu tun – das darf wohl vorderhand am nachdrücklichsten angeraten sein. Drei bis vier fränkische Mahlzeiten wären da, startend, sagen wir, um 11.37 Uhr, im ein wenig zu putzig benamsten Bräustüble mit der nötigen, heutzutage so verachteten Langsamkeit zu verräumen. Zum Auftakt böte sich der Spessarträuberspieß an, gegen 15 Uhr käme die Schweinshaxe mit Semmelknödeln dran, und um den frühen Abend herum würden die mit Bergkäse überbackenen Lendchen aufgefahren, im Herbst wahlweise mehrere Gänse. Für den Nachtisch, gebongt, alright, d’accord, steht Nachbar Jalufka gerade.
Daß »der Tourismus die Gaststätten versaut«, weiß Kalt-Loch-Brauer Axel Schohe nur zu genau. Die Braustube ist von den Umbauunheiltendenzen der letzten Jahre verschont geblieben. Die Decke zieren Sandsteinbögen, die Tische sind Tische, die Tische sind: groß, schmucklos, blank.
Vernunft heute bemißt