Blues. Carl-Ludwig Reichert
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Carl-Ludwig Reichert
Blues
Geschichte und Geschichten
FUEGO
– Über dieses Buch –
Traurig und heiter im Sound, mitreißend und verführerisch im Rhythmus, ironisch, unsentimental und alltagsnah im Text – das war der Blues, als er von den Afroamerikanern erfunden wurde. Er wurde zur Basis für Jazz, Rock'n'Roll und alles, was später kam. Eine unterhaltsame und informative Geschichte des Blues, die es so selbst in seinem Mutterland noch nicht gibt.
Der Legende nach schließt jeder wirkliche Blues-Musiker an einer ganz bestimmten Kreuzung im Mississippi-Delta einen Pakt mit dem Teufel. Sonst bleiben musikalische Kreativität und Erfolg im Geschäft und in der Liebe aus. Wer aber die Höllenhunde des Blues auf seinen Fersen hatte, wie der legendäre Robert Johnson, dem noch die Rolling Stones einen ihrer größten Hits, ›Love in Vain‹, verdanken, den konnte schließlich nur ein eifersüchtiger Ehemann mit vergiftetem Whisky stoppen. Von dieser »devil's music«, die brave Gospel-Mädchen nicht singen durften und von der gläubige Mütter ihre Söhne – vergeblich – fernzuhalten versuchten, ist hier die Rede.
Der Autor, ein profunder Kenner, versteht es, aus der Geschichte des Blues und seiner Interpreten von den Anfängen bis zu den jüngsten Revivalbewegungen mit all ihren Kreuz- und Querverbindungen heraus die subtile und sublime Qualität dieser Musik anschaulich zu machen und auch beim Lesen zum Klingen zu bringen.
Einleitung: Blues – die Mutter (fast) aller Pop-Musik
Der Blues ist das Einfache. Deshalb ist er so schwer. Man kann ihn auf nur einer Saite spielen, wie Lonnie Pitchford, auf der Gitarre wie Robert Johnson oder Jimi Hendrix, dem Piano wie Pinetop Perkins oder Memphis Slim, allein wie Blind Blake oder Corey Harris, mit anderen wie die Memphis Jug Band oder The North Mississippi Allstars, sogar als voll instrumentiertes Orchester wie bei W.C. Handy oder Andy Kirk & His Clouds Of Joy – er bleibt immer erkennbar, gebunden an das wenig variable Schema der zwölf Takte, der drei, höchstens vier grundsätzlichen Harmoniewechsel der Akkordstufen I, IV, V, (IV) und I1 – und der Blue Notes, jenen zwischen den Tonarten schwebenden unkorrekten, aber unendlich aufregenden Zwischentönen, die ihn charakterisieren. Es gibt freilich immer wieder Ausnahmebluesmusiker, die sich nicht einmal daran halten. Doch ob sie nun acht, elf oder sechzehn Takte spielen oder in nur einer Harmonie – am Feeling, am einfühlsamen Spiel und an den Blue Notes wird man den Bluescharakter immer erkennen.
Seinen ohnehin vorhandenen Hang zum Metaphysischen drückt am Besten die bekannte Legende von der geheimnisvollen Kreuzung aus, zu der sich der noch unvollendete Bluessänger begeben muss. Dort wartet er, mit der Gitarre in der Hand, bis aus dem Nichts eine dunkle Gestalt hinter ihm auftaucht. Er dreht sich nicht um, auch nicht, wenn die Gestalt ihm die Gitarre aus der Hand nimmt, sie stimmt, ein paar komplizierte Bluesriffs darauf spielt und sie ihm wieder zurückgibt. Damit ist der Teufelspakt geschlossen und von nun an kann der Sänger den Blues vollendet auf der Gitarre begleiten – wie Robert Johnson oder all die anderen, denen man nachsagte, einen solchen Pakt eingegangen zu sein.
Rein musikalisch gesehen ist der Blues zunächst geradezu simpel und schematisch. Das macht es so schwer, ihn einfallsreich und interessant zu spielen. Denn dazu ist dann schon wieder eine erhebliche Virtuosität innerhalb des Genres nötig, wie die Einspielungen der Meister zeigen: ausgefeilte Pickingtechnik, Experimente mit offenen Gitarrenstimmungen, Übernahme von Einflüssen anderer Musikstile wie Gospel, Ragtime oder Techniken wie das Sliden, der Walking-Bass oder das Boogie-Ostinato in unendlichen Variationen.
Allerdings: Der Blues ist viel mehr als einfach nur ein Musikgenre und entzieht sich somit erfolgreich der grauen Theorie. Man hat ihn. Man singt und spielt ihn oder man hört dem zu, der ihn singt und spielt. Manche leben ihn, freiwillig oder unfreiwillig. Er ist Singular und Plural in einem – The blues got me und I got these blues. Er ist die Basis aller angloamerikanischen populären Musik, die sich nicht direkt aus der europäischen Folklore ableiten lässt. Er hat Geschwister in Afrika, Brasilien und Hawaii und er hatte ein Baby, das nannte man Rock 'n' Roll. Keine illustre Verwandtschaft, aber ehrliche Leute.
Viele seiner Abkömmlinge gingen ins Showbusiness: Boogie, Rhythm & Blues, Dixieland, Skiffle, Bluesrock. Einige studierten und wurden Intellektuelle: Jazz, Free Jazz. Andere zogen in die Metropolen und modernisierten ihn: Soul, Hip-Hop, Rap. Inzwischen taucht er manchmal sogar als Sample bei Moby oder in Technostücken auf. Wenn B.B. King und Eric Clapton ihn zusammenspielen, kauft ein Millionenpublikum das Album. Egal, was Puristen, Leute mit Geschmack, Kenner oder Fans davon halten. Vielleicht einfach nur, damit man ihn nachhaltig wahrnimmt, auch im einundzwanzigsten Jahrhundert.
Dessen definitiver Bluessänger stand freilich schon im späten Zwanzigsten fest: Captain Beefheart alias Don Van Vliet.
Als freilich damals in den Sechzigern ebenfalls Millionen eine Single der Rolling Stones mit dem Titel »Love in Vain« hören wollten, ahnte kaum jemand, dass es sich um einen Blues von Robert Johnson, dem großartigen Sänger und Gitarristen aus dem Mississippidelta handelte. Erst als Mitte der Neunziger Jahre ein weiteres, bis heute andauerndes Bluesrevival einsetzte, das sich insbesondere auf die archivalischen Schätze des Vorkriegsblues richtete, wurde zur allgemeinen Überraschung eine Gesamtaufnahme der Bluesklassiker von Robert Johnson über eine halbe Million mal verkauft. Pop als Blues? Blues als Pop? Einmal so, einmal anders?
Fragen, die nur mit einem deutlichen »Jein« beantwortet werden können. Denn wie das Wort »Pop« auch – das einerseits eine Abkürzung für Popular Culture ist und den gesamten Bereich populärer Vergnügungen umfasst, andererseits aber einfach Popular Music von der Heimatschnulze bis zur Noise-Avantgarde bedeutet – war der Begriff »Blues« von Anfang an mit einer Doppelbedeutung behaftet. Schuld daran war kein geringerer als sein angeblicher Vater W.C. Handy (1873 – 1958) selbst.
Dessen für Tanzkapellen komponierte Stücke, die er auf den Straßen von Memphis adaptiert, als Notenblätter veröffentlicht und als Blues betitelt hatte, lösten nämlich die erste Blueswelle in Amerika aus. Blues war hier analog zu Bezeichnungen wie Charleston oder Shimmy der Name für eine bestimmte Art von Tanzmusik, die mehr oder weniger nach dem Bluesschema funktionierte. Eher weniger, denn schon in seinen Riesenhit »St. Louis Blues« schrieb Handy abwechslungshalber eine Einleitung im Tangorhythmus hinein.
Von welchen Bluesarten soll also in der Folge die Rede sein? Vom Tanzblues, vom Bluestanz, vom Landeierblues oder von dem der Stadtstreuner, vom Blues im Bordell oder vom Revivalblues im Hörsaal oder Stadttheater? Lassen wir Experten sprechen, denn die blicken auch nicht ganz durch.
»Der Blues als eigenständige musikalische Form ist wahrscheinlich in den Jahren kurz vor dem Ersten Weltkrieg entstanden, doch der Stil und die ›Bluesstimmung‹ waren schon seit über hundertfünfzig Jahren Bestandteil der Musik der nordamerikanischen Neger. Ein Blues ist ein tiefempfundener Song von ganz persönlicher, gefühlsbestimmter Eigenart. Im Blues fanden die Gefühle der Negersänger in allen Teilen des amerikanischen Südens ihren Niederschlag, und als sich die regellose Vielfalt der Plantagenlieder langsam in lose Muster ordnete, wurde der Blues zu einem Teil des Negerlebens selbst.« So romantisierend und gefühlig konnte Samuel B. Charters noch in den 1950er Jahren schreiben, als er sein bis heute unverzichtbares Standardwerk Country Blues verfasste. Einen scharfen, witzigen Verstand, Showmanship und geschäftliches Kalkül wollte er seinen Protagonisten nicht so gern zuschreiben.
Auch Giles Oakley wandelte 1976 auf dem Pilgerpfad der großen Gefühle. Aber er sah schon mehr: »Für diejenigen, die versuchten, eine geordnete Frömmigkeit, eine anerkannte, allgemeingültige Handlungsnorm im Leben aufrechtzuerhalten, die wenigstens