Blues. Carl-Ludwig Reichert

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gibt. Die freilich entlarven sich bei genauerem Hinsehen als stinknormale Vorurteile, wie sie eben auch brave schwarze Bürger gegenüber dem Sittenverfall der Zeit hatten. Hält man sich an die wenigen Fakten, liest sich eine kurzgefasste Geschichte der schwarzen amerikanischen Musik etwa so:

      Anfang des siebzehnten Jahrhunderts wurden die ersten schwarzen Sklaven nach Virginia verschifft. Unter zunehmend unmenschlichen Bedingungen entwickelte sich eine rigide Sklavenhalterökonomie in den südöstlichen Staaten Nordamerikas. Musik und Tanz waren ein in den meisten Fällen geduldetes Ventil, das zudem die gewünschte Reproduktion von Nachwuchs förderte. Zwar war in den nördlichen Staaten die Sklaverei schon 1807 offiziell abgeschafft worden, doch die Südstaaten hielten an ihr fest. 1831 kam es zum ersten Sklavenaufstand unter Nat Turner. 1843 fand die erste öffentliche Minstrelshow in Virginia statt. Minstrelshows waren eine Art derb-komischer Revue mit stark formalisierten Rollen, in der die Schwarzen meist von angemalten weißen Schauspielern dargestellt wurden. Aus den Minstrelshows stammten auch viele der spöttischen und abschätzigen Bezeichnungen für Schwarze wie Jim Crow – geschrieben 1828 als Jump Jim Crow von einem Schauspieler namens Rice, der Name wurde später Synonym für Rassenhass und Segregation – oder Pickaninny, Niggah, Abraham Lincum, Coon usw. Neben den Virginia Minstrels oder den Ethiopian Serenaders waren es vor allem die Christy Minstrels, die sich auch in England anhaltender Beliebtheit erfreuten. 1852 leitete Harriet Beecher-Stowes sentimentaler Roman Uncle Tom's Cabin eine Bewusstseinsveränderung in bürgerlichen Kreisen zugunsten der Schwarzen ein. Es bedurfte aber des Bürgerkriegs von 1861 bis 1865, bis von den siegreichen Nordstaatlern die Sklaverei offiziell abgeschafft wurde. Gleich im Jahr darauf wurde der Ku-Klux-Klan, die Organisation der unverbesserlichen Rassisten, gegründet, allerdings auch der erste weltberühmte schwarze Chor, die Fisk Jubilee Singers, dessen akademisch korrekter Gospelgesang ein etwas sehr keimfreies Bild schwarzamerikanischer Religiosität unter Auslassung jeglicher Ekstase vermittelte.

      Über eine Tatsache kann es keine Diskussion geben: die Spirituals sind älter als die Blues. Schon 1867 erschien eine erste Sammlung in Buchform, betitelt: Slave Songs of the United States. 1890 stieg Columbia Records ins Geschäft ein, später verantwortlich für viele maßgebende Bluesaufnahmen. Aus dieser Zeit datieren auch die ersten schriftlichen Aufzeichnungen bluesähnlicher Songtexte, allerdings ohne Hinweise auf die Gesangsphrasierung oder die begleitende Musik.

      1892 verwüstete erstmals der gefürchtete Baumwollschädling Boll-Weevil die Felder von Mexiko bis zum Mississippidelta. 1898 kam Hawaii zu den Vereinigten Staaten. Es brach eine Welle der Musikbegeisterung für die hawaiianischen Stahlsaitenzauberer aus. Die Steel-Guitar, 1889 erfunden, wurde von Musikern wie Joseph Kekuku meisterhaft traktiert. Der Anekdote nach soll er die Slide-Technik schon 1884 als junger Mann auf der Kamehameha Boys School erfunden haben, als ihm der Kamm aus dem Hemd und auf die Gitarre fiel. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass die Slide-Technik auf diesem Weg in die Countrymusik und von da aus in den Blues gelangte. Ob es eine Sonderentwicklung im angeblich von äußeren Einflüssen abgeschnittenen Mississippidelta gegeben hat, wo man auf einsaitigen Instrumenten wie dem Diddley-Bow slidete, ist auch nach neuesten Untersuchungen, etwa von Gerhard Kubik, nicht sicher, wird aber Musikwissenschaftler und Ethnologen noch lange beschäftigen.

      1899 kam mit dem Ragtime Scott Joplins die nächste Popwelle. Drei Jahre später entstanden Aufnahmen einer schwarzen Gesangsgruppe für die Firma Victor. Sie nannte sich The Dinwiddie Colored Quartet.

      Schon lange vor der Jahrhundertwende, ab 1877, hatte in den Südstaaten, wo immerhin drei Viertel der schwarzen Bevölkerung lebte, der Prozess der Rediskriminierung begonnen und war durch die juristische Formel »separate but equal« (getrennt aber gleichgestellt) abgedeckt. Sie wurde unter dem Deckmantel des föderalen Systems – und ohne, dass der ohnehin desinteressiert gewordenen Norden eingegriffen hätte – so rabiat ausgelegt, dass sich in manchen Gegenden die Verhältnisse der Sklavenzeit in leicht modernisierter Form faktisch neu etablierten. Schwarze lebten meist als sogenannte Sharecroppers in halbfeudaler Abhängigkeit. Von dem Ertrag des gepachteten Landes durften sie gerade das Existenzminimum für sich behalten und waren ansonsten der paternalistischen Willkür der weißen Herren bis hin zu sexueller Gewalt und Lynchjustiz schutzlos ausgeliefert. Kein Wunder, dass sich unter diesen Verhältnissen der Blues machtvoll entwickelte.

      Musikalische Talente sammelten sich nun in den ersten rein schwarzen Minstrel Shows wie den Georgia Minstrels, den Young Colored Minstrels oder den Mahara Minstrels, denen auch der junge Handy angehörte und deren Chef er später wurde.

      1912 wurde zum Schlüsseljahr für den Blues. Innerhalb kurzer Zeit kamen drei gedruckte Bluestitel auf den Markt: »Memphis Blues« von W.C. Handy, »Nigger Blues« von Leroy White sowie »Dallas Blues« von Lloyd Garret & Hart A. Wand. Spitzfindige Tüftler wie zuletzt Francis Davis führen gelegentlich an, dass im Jahr davor schon der auch heute noch geläufige Hit »Oh You Beautiful Doll« erschienen war, dessen Anfang im zwölftaktigen Bluesschema steht. Wie dem auch sei, jedenfalls lösten der »Memphis Blues«, der eigentlich »Mr. Crump« hieß und anlässlich dessen Wahlkampfs um das Bürgermeisteramt in Memphis geschrieben worden war, sowie W.C. Handys »St. Louis Blues« von 1914 eine Tanzwutwelle sowohl in den Großstädten wie in den ländlichen Gebieten aus, die auch 1920 noch anhielt, als der »Crazy Blues« von Mamie Smith erschien. Es war dies übrigens das Jahr, in dem die Frauen das Wahlrecht erhielten. Die Musikindustrie reagierte auf den Erfolg von »Crazy Blues« mit der Einführung der sogenannten Race Records, Schallplatten, die speziell für die schwarze Bevölkerung produziert wurden. Die Erfindung des aufziehbaren Phonographen ermöglichte das Abspielen der Victrola-Platten auch in ländlichen Gebieten ohne Stromversorgung. Schwieriger waren die Tonaufnahmen selbst. Obwohl bald mehrere Verfahren zur Verfügung standen, setzte sich auch im heißen Süden das Mitschneiden auf Wachsplatten durch. Diese mussten dann in Kühlschränken gelagert werden. Viele Aufnahmen wurden durch die Hitze beschädigt. Man ging daher dazu über, alle wichtigen Stücke zweimal einspielen zu lassen. Ansonsten verfuhr die Musikindustrie wie auch heute noch: wahllos. Wer fünf eigene Blueskompositionen vorweisen oder zumindest behaupten konnte, wurde auf Verdacht aufgenommen. War es kein Hit, musste der Sänger wieder auf die Baumwollfelder zurück, denen er zu entkommen gehofft hatte.

      Kein Wunder, dass Erfolgsmuster vielfach kopiert und gerade dadurch entwertet wurden. Papa Charlie Jackson hatte es 1924 noch gut. Sein »Lawdy Lawdy Blues« war einer der Ersten, die den Weg aufs Wachs fanden. Ebenfalls 1924 nahm Ed Andrews in Atlanta auf seiner zwölfsaitigen Gitarre seinen stilistisch einwandfreien »Barrelhouse Blues« auf. Zwei Jahre später folgte Blind Lemon Jeffersons »That Black Snake Moan«. Und danach war kein Halten mehr.

      Bluesgeschichte, soweit wir sie kennen, ist vor allem die Geschichte der erhaltenen Aufnahmen. Sie sind die primären Quellen. Denn selbst hinter dem schlimmsten Rillenrauschen der einzigen noch vorhandenen Schellackplatte wird eine Person hörbar, die in ihrer Zeit gelebt und eben dieses Dokument produziert hat.

      Die Frage der Authentizität ist damit freilich noch lange nicht beantwortet. Fast alle frühen Tondokumente waren bereits kommerziell orientierte, auf Verkauf an ein modebewusstes Publikum getrimmte Produkte. Und wie wir Woche für Woche aus den Hitparaden schmerzlich erfahren, ist es nicht immer die beste Musik, die es ganz nach oben schafft. Einen Überblick ergibt nur das Hören möglichst vieler Aufnahmen. Das ist aber erst seit ein paar Jahren wieder allgemein praktikabel geworden, seit im Zuge des CD-Booms viele Firmen ihre Archive durchforsteten und Labels wie Yazoo und Document Records sorgfältig zusammengestellte Sampler oder gar das Gesamtwerk vieler Interpreten durch digitale Bearbeitung in sehr akzeptabler Tonqualität neu hörbar machten.

      Das nicht genug zu lobende Vorhaben von Document Records, einer Initiative des österreichischen Sammlers Johnny Parth, ist es gar, alle jemals erschienenen Bluesaufnahmen digital zu konservieren.

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