Blues. Carl-Ludwig Reichert

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Blues - Carl-Ludwig Reichert

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Dollar, doch später kaufte er das Copyright wieder zurück. Und was er trotz seiner Ambitionen als seriöser Komponist sofort bemerkte, war die Anziehungskraft, die die einfache ländliche Musik auf die dortige Bevölkerung ausübte. Auch hier gab es ein eindringliches Schlüsselerlebnis:

      »Ich beeile mich, zu gestehen, dass ich mich den niederen Formen der Folkmusik nur zögerlich zuwandte. Ich ging mit einer gewissen Furcht und wackligen Knien an sie heran. Wie viele andere Musiker, die ihr zunächst die kalte Schulter zeigten, hob ich zunächst die Augenbrauen und bezweifelte, ob sie das Richtige sei. … Aber wir leben, um zu lernen. Meine eigene Erleuchtung geschah in Cleveland, Mississippi. Ich leitete das Orchester für eine Tanzveranstaltung, als jemand eine seltsame Aufforderung hochschickte. Ob wir so etwas wie ›unsere Volksmusik‹ spielen könnten, stand auf dem Zettel. Das verblüffte mich. Die Männer der Gruppe konnten nicht ›simulieren‹ und ›abliefern‹ wie Minstrels. Sie waren alle gestandene Notisten. Also spielten wir für unseren anonymen Fan eine alte Südstaatenmelodie, eine, die eher sophisticated als volksnah war. Ein paar Minuten später kam eine weitere Anfrage. Ob wir etwas dagegen hätten, wenn eine schwarze Gruppe hier aus dem Ort ein paar Tänze spielen würde? Etwas dagegen haben! Das war lustig. Welcher Bläser würde schon etwas gegen eine bezahlte Schnauf- und Rauchpause haben?

      Wir verdrückten uns elegant, als die Neuen kamen. Sie wurden angeführt von einem langbeinigen Schokoladenbuben und ihre Band bestand aus drei verschrammten Gitarren, einer Mandoline und einem ramponierten Bass. Die Musik, die sie machten, entsprach ziemlich genau ihrem Aussehen. Sie spielten einen dieser ewigen Zieher, die keinen klaren Anfang und kein Ende zu haben scheinen. Das Gezupfe produzierte eine verstörende Monotonie, aber es ging weiter und immer weiter, eine Art von Musik, die lang mit Zuckerrohrplantagen und Feldarbeitercamps assoziiert wurde.

      Bum-Bum-Bum – ihre Füße stampften auf dem Boden. Ihre Augen rollten. Ihre Schultern wackelten. Und die ganze Zeit ging dieser kleine penetrante Zieher weiter. Er war nicht echt nervig oder unangenehm. Vielleicht ist »bedrückend« das richtige Wort dafür, aber ich fing an mich zu fragen, ob außer Kleinstadtsaufköpfen und ihrem Anhang sonst noch jemand darauf stünde. Die Antwort ließ nicht lang auf sich warten. Es regnete Silberdollars. Sie fielen auf den Boden zwischen die seltsam stampfenden Füße. Die Tänzer drehten durch. Dollars, Viertel-, Halbdollarmünzen – der Regen wurde heftiger und dauerte so lang, dass ich meinen Hals reckte, um besser zu sehen. Vor den Jungs dort lag mehr Geld, als meine neun Musiker für das ganze Engagement bekamen.

      Da erkannte ich die Schönheit primitiver Musik. Sie hatten den Stoff, den die Leute wollten. Er traf den Kern. Ihre Musik bedurfte der Verfeinerung, aber sie enthielt das Wesentliche. Die Leute würden Geld dafür ausgeben. Die alte konventionelle Musik war in Ordnung und gut und hatte ihren Platz, aber es war keine Tugend, blind zu sein, wenn man gute Augen hatte. In dieser Nacht wurde ein Komponist geboren, ein amerikanischer Komponist.«

      Soweit und so ehrlich, was seine Motive betraf, W. C. Handy. Und wenn auch seine Kompositionen streng genommen oft nur Bluesmelodien oder Bluesmotive verwendeten, halfen sie doch mit, das zwölftaktige Bluesschema und die Textformel AAB zu etablieren und zum musikalischen Gemeingut zu machen. Zudem dürfte er den Begriff Blues, der vor 1900 kaum allgemein gebräuchlich gewesen sein wird, fest in der amerikanischen Sprache verankert haben. Er war somit vielleicht, um ein angemessen schräges Bild zu verwenden, eher die Hebamme des Blues als der Vater, aber auch nicht weniger.

      Möglicherweise gibt es auch eine Mutter des Blues. Obwohl sie diesen Titel nie für sich reklamierte, behauptete Gertrude Pritchett, besser bekannt als Ma Rainey (1886 – 1939), sie habe schon um 1902 in einem kleinen Ort im Staat Mississippi, wo sie mit einer Zeltshow auf Tournee war, eine junge Frau den Blues singen hören. Diese sei zum Zeltplatz gekommen und habe ein Lied gesungen, in dem sie den Verlust eines Liebhabers beklagte. Der Song war so seltsam und eindringlich, dass er viel Aufmerksamkeit erregte. Ma Rainey interessierte sich so sehr dafür, dass sie ihn der jungen Frau ablernte und verwendete den Song in ihrem eigenen Programm als Zugabe. Angeblich wurde sie oft gefragt, was das für ein Lied sei und will, einer Eingebung folgend, eines Tages gesagt haben: »Das ist ein Blues.«

      Quelle dieser Anekdote ist John Works Buch American Negro Songs, das freilich erst 1940 erschienen ist.

      Während es lange Zeit nicht zuletzt auf Grund der »Erleuchtung« W.C. Handys und des Urteils von Samuel Charters unter Folkloristen praktisch als ausgemacht galt, dass der Blues im Mississippidelta entstanden sei, also in jenem keineswegs an der Mündung gelegenen Gebiet, das westlich vom Mississippi und östlich vom Yazoo-River begrenzt ist, wird auch diese Hypothese inzwischen stark relativiert. Denn wer Handy genau liest, stößt auf die Bemerkung, dass seine Liebe zu dieser Art von Musik bereits ein gutes Jahrzehnt davor angefangen habe, und zwar in seiner Heimatstadt Florence in Alabama, und dass die Art von Musik, die ihm an diesem Abend so gut gefiel, im ganzen Süden gespielt worden sei. Aus Georgia sind ebenfalls sehr frühe Blues bekannt.

      Ein weiterer Ort, der auf alle Fälle noch für die Anfänge relevant ist, ist New Orleans. Ohrenzeugen berichteten von Hausmädchen, die seltsame Gesänge sangen, welche sich später als Strophen aus »Alabamy Bound« herausstellten, ein Blues, den insbesondere Lead Belly bekanntmachte, der aber noch im Repertoire früher Beatgruppen der Sechziger Jahre auftauchte. Der genialische Jelly Roll Morton erzählte Alan Lomax seine ureigene Version von den Ursprüngen des Jazz, ein Set von vier CDs gibt leider nicht die gesamte Konversation wieder. Aus seiner Sicht war es eine Klavier spielende kreolische Prostituierte namens Mamie Desdoumes, der zwei Finger der rechten Hand fehlten und die dafür berüchtigt war, von morgens bis abends immer dasselbe Lied zu singen, die ihn »als Erste echt an den Blues verkaufte.«

      Morton, selbst Kreole, zettelte allerdings in späteren Jahren einen Streit mit Handy an, wie J. Graves in seinem Buch Könige des Blues (1961) berichtete: »Morton hat gegen Ende seines Lebens, als er schon vollkommen verarmt war, Handy schwer angegriffen und ihm öffentlich vorgeworfen, dass er durch seine Bearbeitungen der alten Folkblues-Melodien ›die Seele des Blues‹ verkauft und geschändet habe. Bei diesem ungerechten Angriff mochte wohl Mortons Ärger darüber mitspielen, dass Handy eine glücklichere Hand als er gehabt hatte, wenn es galt, herrenloses Musikgut unter den Copyrightschutz zu bringen.«

      Handy verteidigte sich mit der lakonischen Bemerkung: »Viele Artikel und Bücher sind in der Absicht geschrieben worden, den Entstehungsort des Blues von Memphis nach New Orleans zu verlagern. Leider haben es die New-Orleans-Musiker unterlassen, den Blues vor meiner Zeit aufzuschreiben.«

      Wie dem auch sei, als erstes Zentrum des Bluesgeschehens ist und bleibt ohnehin das Mississippidelta bei den meisten Autoren unangefochten. Die schiere Zahl der frühen Bluesmusiker aus dieser Region scheint dafür zu sprechen. Allerdings hat Francis Davis in seinem Buch History of the Blues (1995) eine erfrischend unkonventionelle andere Sicht der Dinge angeboten:

      »Und die überwältigende Anzahl von großartigen Bluesleuten aus Mississippi? Sind nicht die Aufnahmen von Charley Patton, Son House und Skip James aus den Zwanziger und Dreißiger Jahren an sich schon Beweis genug für die Überlegenheit, wenn nicht das Primat? Bevor wir ja sagen, müssen wir uns überlegen, in welchem Maß unsere Wahrnehmung der Vergangenheit vom heutigen Geschmack beeinflusst worden ist.«

      Davis meint die allgemeine Vorstellung, Blues sei eben nur das, was Musiker wie Robert Johnson, Muddy Waters, Son House, John Lee Hooker oder Howlin' Wolf spielen. Sie alle stammten aus dem Delta, auch wenn sie oft in Chicago arbeiteten. Doch was ist mit den Texanern, was mit den Bluesern aus Georgia mit ihren zwölfsaitigen Gitarren, was mit dem eleganten Ragtime-Blues des Piedmont? Stilrichtungen, die meist nur Fachleuten bekannt sind. Schuld daran sei, meint Davis, vor allem die Veröffentlichungspolitik der Musikindustrie.

      »CD-Reissues haben eine unschätzbare Rolle im Bluesrevival der Neunziger Jahre gespielt. Bis dato freilich lag der Schwerpunkt auf dem Deltablues und seinem elektrifizierten Ableger in Chicago, praktisch

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