Blues. Carl-Ludwig Reichert

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Blues - Carl-Ludwig Reichert

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durch die Fachleute, aber auch der Entdeckerfreude der Liebhaber, die über das Delta und Chicago hinaus zu hören in der Lage sind. Die Materiallage ist somit besser denn je, zumal endlich auch wieder Field-Recordings veröffentlicht werden, also Aufnahmen, die vor Ort in nichtkommerziellen Zusammenhängen entstanden.

      Die Library of Congress etwa hatte seit den Dreißiger Jahren John A. Lomax beauftragt, mit Aufnahmegeräten in den Süden zu fahren und dort in Gefängnissen und in den kleinen Ortschaften Aufnahmen zu machen, sein Sohn Alan setzte dieses Praxis in den Fünfziger Jahren erfolgreich fort. Vater und Sohn Lomax entdeckten Bluesgrößen wie Lead Belly oder Fred McDowell und edierten reihenweise klassische Aufnahmen, die auch heute noch unverzichtbar sind. Serien wie Sounds of the South oder Southern Journey sollten mindestens ebenso freudig rezipiert werden wie die spektakuläre und gern überbewertete Anthology of American Folk Music von Harry Smith, die den Folkies der Sechziger Jahre einen eher beliebigen Hauch von Ahnung vermittelte, welche Schätze amerikanischer Musik es noch zu heben galt. Im Großen und Ganzen beruhigend ist die Beobachtung, dass sich die folkloristischen Bluesaufnahmen der Amateure und Nebenberufssänger stilistisch doch nicht allzu sehr von denen der – allerdings meist viel elaborierter und trickreicher spielenden – Professionellen unterscheiden. So ist es auch nicht nötig, heutzutage einen Scheinwiderspruch zwischen beiden Phänomenen zu installieren, wie es noch die Folkpuristen der Sechziger gerne taten. Mit dem Ergebnis übrigens, dass seinerzeit einige Sänger eine recht profitable Mimikry entwickelten. So trat das Schlitzohr Lightnin' Hopkins im Rollkragenpullover und mit Zupfgitarre in einen Hörsaal, um sich als Folknik mit Sonnenbrille abfilmen zu lassen. Zu sehen auf der DVD 502 von Yazoo.

      Auch Big Bill Broonzy, der damals schon eine heftige Rhythm-&-Blues-Phase hinter sich hatte, stellte seine elektrische Gitarre hin, verbreitete die Behauptung, er sei der letzte echte Bluesmann, der die letzten vierzig Jahre auf den Baumwollfeldern verbracht habe, und wandelte sich stracks zum akustischen Edelzupfer. Sein Kollege Josh White hatte schon vorher mit Witz und Geschmack den Folkie gegeben und auch Brownie McGhee und Sonny Terry kamen aus ihren Theaterklamotten, die sie bei den umjubelten Tennessee-Williams-Aufführungen von Cat on a Hot Tin Roof am Broadway trugen, lebenslang nicht mehr heraus. Sogar der bekennende Elektriker John Lee Hooker lieferte ein paar Folkblues-Alben ab, nicht einmal seine schlechtesten. Auch Muddy Waters hatte noch 1960 ein Folksinger-Album aufgenommen, obwohl er längst ein ausgefuchster Elektrogitarrist war. Deswegen bleibt festzuhalten, dass auch im Blues eine gewisse Skepsis allem gegenüber geboten ist, was sich als »urig«, »ehrlich« und »bodenständig« verkauft.

      Ein weiteres ideologisches Konstrukt dürfte übrigens auch die in den Sechziger Jahren so beliebte Bluessession gewesen sein. Bei weitem nicht jeder, der da im Studio oder auf offener Bühnen auf die anderen Anwesenden losgelassen wurde, mochte wirklich mit ihnen den Blues spielen. Wer Ohren hat, der hört das selbst noch in den Aufnahmen. Die Geschichte der medialen Inszenierung des Blues von den in deutschen Fernsehstudios nachgebauten Gefängnisplantagen bis zu Brother Where Art Thou ist ebenfalls noch nicht geschrieben.

      Die Geschichte des Blues ist also auch die Geschichte seiner Ideologie und seiner Ökonomie, der Profite und der Schwindeleien, mit denen Blueserfinder skrupellos um ihre Urheberrechte betrogen wurden und derer, die die Unwissenheit der Musiker schamlos ausbeuteten. Eine derartige Wirtschafts- und Kriminalgeschichte des Blues steht ebenfalls noch aus, ebenso eine fundierte Rezeptions- und Sozialgeschichte. Ansätze dazu finden sich am ehesten in den Büchern von Robert Springer Authentic Blues (1985) und Fonctions sociales du blues (1999).

      Seit der epochemachenden Studie Country Blues von Samuel B. Charters aus dem Jahr 1959 arbeiten sich die Autoren vor allem am Material und an den Biographien der Musiker ab, wobei sich das Interesse der Forschungen inzwischen auf immer kleinteiligere Räume und vom Delta weg auch in alle anderen Regionen verlagert hat, von Georgia bis Kalifornien, vom Piedmont bis nach Texas. Mit Akribie und manchmal detektivischen Mitteln jagten Bluesermittler wie der Journalist Gayle Dean Wardlow in den letzten Jahrzehnten den wenigen, versteckten Lebenszeichen obskurer Bluesleute nach oder fanden sensationelle Dokumente, wie die Sterbeurkunde von Robert Johnson. Sein Buch Chasin' that Devil Music berichtete 1998 von der Jagd nach Bluesphantomen wie den beiden Willie Browns und wie hinter dem Phantasienamen King Solomon Hill durch intensive Recherche und eine publizistische Kontroverse schließlich ein wirklicher Mensch greifbar wurde, nämlich der Sänger und Gitarrist Joe Holmes (ca. 1897 – ca. 1949). Die Bluesgeschichte seiner Interpreten und Aufnahmen ist ein Prozess, der noch lange nicht beendet ist und der Mitarbeit Vieler bedarf.

      Bluesgeschichte ist aber zudem noch die Geschichte der Erzählungen seiner Protagonisten über sich selbst und ihre Kollegen. Der vergleichsweise sehr uneitlen und offenen Autobiographie des Komponisten W.C. Handy, Father of the Blues kommt dabei immer noch eine Schlüsselstellung zu. Zumal er – vom etwas angeberischen Titel einmal abgesehen – ehrlicherweise nicht die Urheberschaft am Blues selbst beanspruchte. Er beschrieb vielmehr in einer oft zitierten Passage seines Buches, wie er ihn zum ersten Mal hörte:

      »Eines Nachts dann in Tutwiler, als ich am Bahnhof auf einen Zug wartete, der neun Stunden Verspätung hatte und eingenickt war, da packte mich das Leben auf einmal an der Schulter und rüttelte mich auf. Ein dürrer, schlaksiger Schwarzer hatte, während ich duselte, angefangen, neben mir Gitarre zu spielen. Sein Anzug bestand aus Fetzen; seine Zehen schauten aus den Schuhen heraus. Sein Gesicht spiegelte etwas von den traurigen Verhältnissen der Zeitläufte wider. Beim Spielen drückte er ein Messer an die Saiten der Gitarre, eine Spielweise, die von hawaiianischen Gitarristen populär gemacht worden war, die ein Stück Stahl benutzten. Der Effekt war unvergesslich. Auch sein Song berührte mich unmittelbar:

       Goin' where the Southern cross the Dog,

       Goin' where the Southern cross the Dog,

       Goin' where the Southern cross the Dog. 9

      Der Sänger wiederholte die Zeile dreimal, wobei er auf der Gitarre die abgedrehteste Begleitung spielte, die ich je gehört hatte.«

      Seltsamerweise wird der Hinweis auf Hawaii nicht immer zitiert oder übersetzt, so etwa in der deutschen Ausgabe von Giles Oakleys Bluesbuch. Sollte da etwa die Fiktion der Puristen aufrechterhalten werden, ein einsames Genie am Mississippi habe in einer trunkenen Nacht eine Flasche Whisky zerschmissen und mit dem Flaschenhals herumgespielt? Wie immer erweist es sich als nützlich, die Quellen selbst aufzusuchen. Denn die Story, die meist hier abbricht, war mitnichten zu Ende:

      »Die Melodie blieb mir unvergesslich. Als der Sänger eine Pause einlegte, lehnte ich mich vor und fragte ihn, was der Text bedeutete. Er rollte mit den Augen, zeigte Anzeichen eines milden Amüsements. Vielleicht hätte ich es wissen müssen, aber er erklärte es mir trotzdem. Bei Moorhead trafen die Züge nach dem Osten und dem Westen aufeinander und kreuzten viermal täglich die nach dem Norden und Süden. Dieser Typ ging dorthin, wo der Southern den Dog kreuzte und es war ihm egal, wer das wusste. Er sang einfach über Moorhead, während er wartete. Das war nicht ungewöhnlich. Schwarze in den Südstaaten sangen über alles. Züge, Dampfer, Dampfpfeifen, Dampfhämmer, Flittchen, üble Bosse, widerspenstige Mulis – alle werden in ihren Songs thematisiert. Sie begleiten sich auf allem, was einen musikalischen Sound oder einen Rhythmus hervorbringen kann, egal ob Mundharmonika oder Waschbrett. Auf diese Art und mit diesem Material erzeugten sie die Stimmung für das, was wir heute Blues nennen.«

      Handy selbst hatte sich schon als Jugendlicher einschlägig betätigt, woran er sich nun erinnerte: »Meine eigene Sympathie für diese Dinge fing damals in Florence an, als wir uns nicht zu schade waren, unter dem Fenster unserer Angebeteten Serenaden zu singen. Wir sangen, bis wir einen Kuss im Finstern ergattert hatten oder ein Glas voll guten, selbst angebauten Weins. Im Delta aber sah ich die Songs auf einmal mit den Augen eines heranreifenden Komponisten.« Handy war aber nicht bloß ein Musiker, der komponieren wollte, er war auch ein Geschäftsmann. Zwar war er

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