Blues. Carl-Ludwig Reichert

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Blues - Carl-Ludwig Reichert

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      a) der städtische Blues, der in den dortigen Vergnügungsvierteln entstand und als Vaudeville-Blues meist von einer Jazzband mit einer Sängerin vorgetragen, bald auch von der Plattenindustrie auf sogenannten Race Records speziell für den schwarzen Markt produziert und verkauft oder von Einzelunterhaltern und kleinen Gruppen in Kneipen und Bordellen dargeboten wurde. Zentren waren u.a. Chicago, Kansas City, St. Louis, Dallas, Memphis und New Orleans.

      b) der ländliche Blues, heute auch gern Downhome-Blues genannt, der von vagabundierenden Einzelsängern, Duos, String- oder Jugbands erfunden, professionell gegen Entgelt aufgeführt und auch schon sehr bald in kommerziellen Sessions von Talentsuchern der Plattenfirmen mitgeschnitten und auf den Markt gebracht wurde – ein Umstand, dem wir die günstige dokumentarische Lage für den älteren Blues verdanken. Er wurde aber wohl auch als privates Freizeitvergnügen praktiziert, zumindest bis zu dem Tag, an dem ein Folkloreforscher mit Aufnahmegerät vor der Tür stand ...

      Entgegen der landläufigen Tanzmusik-Definition sind die Blues weder notwendigerweise langsam noch traurig. Sie umfassen das gesamte Spektrum menschlicher Lebensäußerungen, Freude, Trauer, Liebe, Hass, Witz, Ernst, Tragik, Komik, Lust und Leid. Eine Besonderheit der Texte ist in vielen Fällen ihre Doppeldeutigkeit, der sog. Double Talk, nicht nur im erotisch-sexuellen Bereich, sondern auch im politischen. Es war dies mit Sicherheit eine Selbstschutzstrategie, um nicht mit den jeweiligen Obrigkeiten in Konflikt zu geraten. Es muss in diesem Zusammenhang auch betont werden, dass der Blues weit unter- und außerhalb der bürgerlichen weißen und, soweit vorhanden, schwarzen Gesellschaftsschichten angesiedelt war, vor allem in der Zeit der Prohibition. Freilich erregte er gerade dadurch das Interesse junger, nicht konformer Weißer, die sich zunächst für die Musik begeisterten, bald aber auch den Lebensstil der schwarzen Protagonisten kopierten – bis heute.

      Was die meisten Fans in ihrem Enthusiasmus freilich vergessen, ist, dass der Blues von individuellen Erfahrungen handelt, die einer Gemeinde von Eingeweihten mitgeteilt werden. Man kann die Musik zwar bis ins letzte Detail kopieren und spielen lernen, aber, wie der Deltabluesmusiker David Honeyboy Edwards oben lakonisch anmerkte, »sobald sie [die jungen weißen Bluesmusiker] den Mund aufmachen, ist der Ofen aus«. Edwards meinte junge Amerikaner, wohlgemerkt. Was er von dem urigen Mississippi-Denglisch-Geknödel hiesiger Muddy-Waters-Imitatoren halten würde, mag man sich lieber nicht vorstellen.

      Die Bluesforschung in den USA ist in mehreren Wellen erfolgt. Pionieren wie John A. Lomax und seinem Sohn Alan, die im Kontext der Folksongs, der Cowboy-Folklore und der Gospelsongs den Blues entdeckt hatten und ihn vor allem in den Gefängnissen der Südstaaten sammelten, taten es in den Sechziger Jahren junge Enthusiasten nach, die sich auf die Spuren legendärer Sänger wie etwa Robert Johnson setzten, viele Überlebende ausfindig machten und neu aufnahmen. Seither werden verstärkt die regionalen Varianten des Blues untersucht, also etwa der Texas-Blues, der Piedmont-Blues, der Red-River-Blues u.v.a. In jüngster Zeit hat sich die feministische Forschung umfänglich mit den widerständigen Inhalten der Vaudeville-Blues von Sängerinnen wie Alberta Hunter, Bessie Smith, Ma Rainey oder Victoria Spivey beschäftigt und den Subtexten von Gewalt, lesbischer Sexualität und weiblichen Gegenstrategien zum Patriarchat der weißen wie der schwarzen Bosse nachgespürt.

      Das Material dazu lieferten die wieder geöffneten Archive der privaten und öffentlichen Sammlungen, die dank der neuen Technologien der Digitalisierung und Entrauschung ein fast verschüttetes Erbe wieder gut hörbar machten. Der Erfolg der Robert-Johnson-Edition trug sicher ebenfalls dazu bei, dass seit 1995 die Bluessongs aus der Schellack-Epoche der Zwanziger bis Fünfziger Jahre wieder auf CD-Alben erhältlich sind. Die meisten sind zudem liebevoll und kompetent ediert.

      Die Rezeption dieser Musik war zur Zeit ihres Entstehens in Deutschland kaum möglich. Die Race Records wurden nicht exportiert, alles Weitere verhinderte die Nazibarbarei. Deshalb ist bei uns die Vorstellung vom Blues immer noch stark geprägt von den Bluesinterpreten der Nachkriegszeit, insbesondere vom Chicago-Blues und von der amerikanischen Folksong-Bewegung um Pete Seeger, die eine puristische, dem Kunstlied zuneigende Interpretation traditioneller Songs für besonders authentisch hielt. Da Sänger wie Big Bill Broonzy, Josh White oder Dave van Ronk sich dieser Forderung des weißen Geschmacks in den Fünfziger Jahren anpassten, wurden sie zeitweise immens populär, verhinderten aber lange Zeit die Rezeption bodenständigerer Bluesmusiker von Slim Harpo bis Howlin' Wolf.

      Auch der Rhythm & Blues wurde hierzulande fast ausgelassen, dem Dixieland-Revival der Dutch Swing College Band und Chris Barbers folgte gleich der Rock 'n' Roll eines Elvis Presley und des abtrünnigen Bluesmanns Chuck Berry, der es auf kleine weiße Mädels abgesehen hatte. Die Skiffle-Bewegung, eine Simplifizierung der Jugband-Musik, war ein spezifisch englisches Phänomen, für das im Wesentlichen der Name Lonnie Donegan stand und steht.

      So stand einer akademisch-idealistisch-puristischen Jazzgemeinde europaweit ein kleines, ebenfalls zu jedweder Dogmatik neigendes Häuflein von Bluesenthusiasten gegenüber, das erhebliche Informationsdefizite aufwies. Manche davon wirken sich bis heute aus. Es ist daher die Absicht dieser Darstellung, einige Akzente anders zu setzen als bisher üblich.

       Kapitel 1: Die Anfänge

      Geschichtsschreibung ist immer eine Konstruktion, den Umständen der Zeit verhaftet, abhängig von der Interessenlage der Historiker und von ihrer gesellschaftspolitischen Haltung. Eine feministisch orientierte Forscherin wie Angela Davis fixierte sich jüngst auf städtische Sängerinnen wie Bessie Smith, Ma Rainey und Billie Holiday und stellte sie in ihrem Buch Blues Legacies and Black Feminism (1998) als Protagonistinnen im Kampf gegen das weiße wie das schwarze Patriarchat dar. Ein liberaler Patriarch wie John A. Lomax war in seinen Adventures of a Ballade Hunter (1947) an der authentischen Folklore der »Neger«, wie er seine Informanten noch unbefangen nannte, mehr interessiert als an deren Vorstrafen und sonstigen Lebensumständen, die scheinbar offen und unbeschwert ausgelebte Sexualität einmal ausgenommen. Man muss beide Positionen zusammen sehen, beide Bücher – und noch ein paar andere – gelesen haben, bei beiden Autoren vom ideologischen Gehalt weitgehend absehen, um vielleicht einen halbwegs realistischen Eindruck von der Lebenswirklichkeit der Bluessänger zu erhalten. Recherche vor Ort hilft heutzutage nicht mehr viel. Der Blues ist in den Südstaaten zu einem touristischen Spektakel geworden, der zwar die schwache Ökonomie der kleinen und mittleren Deltastädte leidlich am Laufen hält, dies aber um den Preis einer musealen Nostalgie und eines Purismus der reinen Blueslehre, der erst von einer gerade nachwachsenden, mit dem Blues erfreulich respektlos experimentierenden Jugend überwunden werden wird.

      Die beliebte Quizfrage nach dem historisch ersten Bluessong ist sinnlos. Von ihm existiert nämlich garantiert kein Tondokument. Die Frage nach der ersten Bluesaufnahme lässt sich hingegen stellen und irgendwann wohl auch beantworten. Sie hat aber schon im viel späteren Fall Doo Wop wenig gebracht: Der voreiligen Behauptung von Greil Marcus, es habe sich um »It's Too Soon to Know«, eine Aufnahme der Orioles gehandelt, wurde inzwischen oft und kompetent widersprochen, es wurden andere Kandidaten zuhauf ins Spiel gebracht, der letzte, allgemein einsichtige Beweis für ein Primat fehlt immer noch. Ganz ähnlich ist die Lage beim Blues. Kein seriöser Forscher wird sich auch nur auf ein genaues Datum seiner Entstehung festlegen wollen.

      Immer weniger freilich ist man geneigt, die Fieldholler und Worksongs, der schwarzen Plantagensklaven im späten Achtzehnten und frühen Neunzehnten Jahrhundert als direkte Vorläufer des »echten« Blues darzustellen; sie gelten inzwischen als eigenständige Genres, die sich davor oder parallel dazu entwickelt haben. Immer fragwürdiger wird zudem die Ableitung aus einer einzigen Ursache, auch nicht aus einer nicht mehr gottergebenen, heidnisch-afrikanischen Widerstandshaltung der Unterdrückten, derenthalben man inzwischen gerne wieder synkretistisch den afrikanischen Bösewicht Légba statt des pferdefüßigen west-östlichen Teufels an der mythischen Kreuzung auftauchen lässt. Letztlich auch nicht haltbar ist eine Konzeption des Blues als Antigospelmesse, quasi als heidnischer

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