Blues. Carl-Ludwig Reichert
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Davor schon hatte der Franzose Hugues Panassié charakteristische Züge von Bluestexten festgestellt: »Die Texte des Blues – die sich der Sänger oft selber ausdenkt – spiegeln die Lebenseinstellung der Schwarzen wider: Auf eine Melodie mit dramatischem Akzent werden häufig komische, humorvolle Texte gesungen; und mitunter begleiten dramatische Texte voll bitterer Wahrheit eine heitere Melodie.«
Der Blues, wie gesagt, ist schwer zu fassen. Nimmt man ihn zu eng, rutscht er zwischen den Fingern durch, definiert man ihn zu breit, landet man bei Sprüchen wie »Ois is Blues«, legt man ihn einseitig auf Gefühl, Protest oder Unterhaltung fest, macht er sich aus dem Staub. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist der Blues eine besondere Haltung der Musik, der Welt, Gott und Teufel, den Mitmenschen und sich selbst gegenüber. Er definierte sich dann bei jedem einzelnen seiner Interpreten auf ganz besondere, eigenartige, individuelle Art. Ich werde deswegen keine eigene, nur scheinbar objektive Definition des Blues versuchen, sondern verschiedene prägnante Aussagen von Bluesmusikern zitieren, die in ihrer Gesamtheit eine Ahnung von der existentiellen Dimension des Blues ermöglichen. Hier sind einige davon. Die Schockierendsten gleich zu Beginn.
Lead Belly in der Einleitung zu »Good Morning Blues«:
»Now, this is the blues. Never the white man had the blues, 'cause nothing to worry about. Now you lay down at night. You roll from one side of the bed to the other all night long. You can't sleep. What's the matter? The blues has got ya! You git up and sit on your side of your bed in the morning, may have a sister and a brother, a mother and father around, but you don't want no talk out of them. What's the matter? The blues got ya! When you go and put your feet under the table, look down at your plate, got everything you wanna eat. With your shaky head you get up and you say: Lord, I can't eat, I can't drink. What's the matter? The blues got ya! Wanna talk to ya. Hear, what you got to tell em:
Good morning blues, blues how do you do?
Good morning blues, blues how do you do?
I'm dyin allright, good morning, how are you?« 2
Schlechte Zeiten für weiße, angelsächsische Protestanten schon damals. Denn selbst den Blues zu haben, sprach ihnen einer wie Lead Belly, den sie aus dem Gefängnis gelassen hatten, um sein Repertoire von über fünfhundert Songs anzuzapfen und um sich in den Konzerten beim Anblick des ungeschlachten Mordbuben mit seiner Zwölfsaitigen gepflegt zu gruseln, glatt ab. Und jüngst setzte David Honeyboy Edwards in seiner Autobiographie The World Don't Owe Me Nothing noch eins drauf: »Because they're white, white musicians, when they play blues, they get the benefit of our music. They get more recognition for our music than we do. But then it makes blues more popular, too. I think a few different ways about it ... A lot of these white boys play the blues real good. Ain't but one thing about most of them though: most can't sing a thing.3« (HBE, S.196)
Alles klar? Von wegen. So schwarz, wie der Blues gern wäre, ist er nämlich vielleicht gar nicht. So, wie David Honeyboy Edwards selbst einen Schuss Indianerblut in seinen Adern hat, so multikulturell sind die Einflüsse, denen er entsprang: Afrikanisches sowieso, aber auch die Slide-Technik aus Hawaii, aus den Alpen und den Prärien die Jodler und wer etwa die Musik der brasilianischen Cangaceiros mit offenen Ohren hört, weiß auch nicht so recht, wer was von wem hat. Mit Sicherheit ist der Blues nicht von heute auf morgen als fertige Sing- und Spielweise entstanden, sondern über lange Zeiträume hin und unter spezifischen sozialen und kulturellen Bedingungen.
Houston A. Baker Jr. beschrieb das in seiner unter Musikern viel zu wenig bekannten Untersuchung Blues, Ideology, and Afro-American Literature – A Vernacular Theory: »Die Blues sind eine Synthese ... Sie vereinigen Worksongs, weltlichen Gruppengesang, Field Hollers, geistliche Harmonien, sprichwörtliche Weisheiten, volkstümliche Philosophie, politische Kommentare, schlüpfrigen Humor, elegische Klagen und noch viel mehr, sie stellen ein Gemisch dar, das in Amerika immer in Bewegung gewesen zu sein scheint – und das die besonderen Erfahrungen von Afrikanern in der Neuen Welt ständig ausgebildet, geformt, verformt und durch neue ersetzt hat.« (Baker, S. 5)
Der Blues ist der entscheidende Beitrag der schwarzen Bevölkerung zur amerikanischen (Musik-)Kultur. Er ist zudem, um mit Baker zu sprechen, die Matrix afroamerikanischen Lebens überhaupt. »Die Matrix ist ein Punkt ständigen Inputs und Outputs, ein Netz aus einander überlagernden und sich kreuzenden Impulsen, die sich immer auf produktive Weise voran bewegen. Afroamerikanische Blues stellen solch ein vibrierendes Netzwerk dar.« (Baker, S. 4)
Genau auf diese Weise überlagern und ergänzen sich die individuellen Definitionen der Bluesinterpreten. Sie alle befinden sich innerhalb der Bluesmatrix.
Booker (Bukka) T. White: »The foundation of the blues is working behind a mule way back in slavery time.«4 (Oakley, Devil's Music S. 7).
Champion Jack Dupree: »You got a good woman and lose her, that's the beginning of the blues...«5 (Zum Autor, auf die Frage, was denn der Blues für ihn sei.)
Lightnin' Hopkins: »See, that's the blues- take your worry and twist it into a little story. Don't mean the worry goes away. It's like Mama putting an ointment after the bee bites you – takes away the terrible sting.«6
Willie Dixon: »The delivering of messages in a song is the blues, but today, people don't look into the song to get information. they just sing the the song for the musical qualitiy or rhythm quality and they never get the actual reason of the song. People have lost the original blues and the blues itself by the other creations that surround it. That's the reason I always say about music, the blues are the roots and the other musics are the fruits. Without the roots, you have no fruits so it's better keeping the roots alive because it means better fruits from now on. That's why I say the blues will always be because the blues are the roots of American music.«7
Sam Chatmon: »You know the blues partly come out of New Orleans and jazz, too. And they brought the blues down from church songs. And I'll tell you why the blues come about. It's a expression that a person have – he want to tell you something, and he can't tell you in his words, he'll sing it to you ...«8 (Sallis, The Guitar Players 1982)
Wenn man den Blues unter Respektierung seiner vielfachen Wurzeln individualisiert, wird klar, dass eine Bluesfrau und ein Bluesmann nur sein konnte, wer ihn entweder selbst erfand oder ihn sich durch kongeniale Interpretation aneignete und weiterentwickelte. Ob das im textlichen oder instrumentalen Bereich war, spielte dann kaum eine Rolle. Dass freilich dem Sänger und Interpreten in Personalunion der meiste Respekt gebührt, steht für mich und damit in diesem Buch außer Zweifel. Es sind die archaisch-anarchischen, fast mythischen Gestalten der Sängerinnen und Sänger aus der immer besser erforschten Frühzeit des Blues, denen besondere Beachtung gebührt, allen voran der dämonische Robert Johnson, aber auch die derbe Ma Rainey, die kaiserliche Bessie Smith, der kompakte Charlie Patton, der elegante Lonnie Johnson, der schlüpfrige Tampa Red oder der fingerfertige Blind Blake, um nur einige zu nennen. Damit ist nichts gegen rein reproduzierende Musiker und Interpreten gesagt, sie werden aber in dieser Darstellung nur eine Nebenrolle spielen.
Die Hauptrolle spielt ohnehin der Blues selbst. Denn er war und ist spätestens seit der letzten Jahrhundertwende die Basis der gesamten modernen amerikanischen Unterhaltungsmusik, vom Jazz bis zum Rock 'n' Roll, vom Schlager bis zum Musical. Obwohl seine Ursprünge nach wie vor im Dunkeln liegen und die Forschung inzwischen afrikanische Einflüsse (etwa aus Mali) stärker einbezieht, wird der Blues erst Ende des neunzehnten Jahrhunderts als eine Musikform greifbar, die die Gesamtheit