Route 66. Frederik Hetmann

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Route 66 - Frederik Hetmann

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dies vor Augen: Wenn Sie jetzt abspringen, werden Sie in neun von zehn Fällen verletzt werden. Rauchen Sie in der Kutsche keinen starken Pfeifentabak, besonders nicht am Morgen. Spucken Sie immer auf der dem Wind abgekehrten Seite aus dem Fenster! Fluchen Sie nicht über Ihren Nachbarn, wenn dieser schläft und schnarcht! Versuchen Sie nie, unterwegs ein Gewehr oder eine Pistole abzufeuern. Es würde die Pferde erschrecken. Unterlassen Sie es, über Politik oder Religion zu diskutieren. Fetten Sie Ihr Haar vor der Abfahrt nicht ein, andernfalls wird sich der Staub dort festsetzen, und Sie müssen gewärtig sein, dass sich dort ein Fleck in Form einer Kartoffel bildet.«

      Was man damals auf einer Postkutschenfahrt, allerdings etwas weiter westlich, nämlich auf den Straßen Colorados, erleben konnte, schildert der folgende Text:

      »Während der schweren und lang anhaltenden Schneefälle war der Postkutschenverkehr zwischen Silverton und Outray eingestellt worden. Aber um den Zug noch zu erreichen, waren wir gezwungen, die Reise auf einem Schlitten über einen Pass in den Red Mountains zu machen.

      ›Ist es sehr gefährlich?‹ fragte ich einen Einheimischen, und er antwortete: ›Nun, der Mann aus dem Leihstall gibt ja wohl seine Pferde dafür her, oder? Und Sie wollen doch nicht etwa behaupten, Sie seien mehr wert als so ein braves Pferd?‹

      Das klang sehr ermutigend, und um vier Uhr morgens, in Wolfsfelle eingehüllt, brachen wir auf. Die Hunde bellten zum Abschied, und in einer Spielhölle brannte noch Licht.

      Es war Vollmond, die Berge glitzerten, eine silberne Kette vor einem fernen Himmel.

      ›Ist das die Straße, auf der gestern die Kutsche umgestürzt ist?‹ fragte ich den Fahrer.

      ›Ja, aber es ist keine so üble Gegend.‹

      ›Stürzt sie gewöhnlich immer an den besten Stellen um?‹

      ›Im allgemeinen ja.‹

      ›Was halten Sie denn von dieser Fahrt?‹

      ›Da möchte ich mich lieber nicht dazu äußern, ehe wir’s hinter uns haben.‹

      ›Wie hoch ist das Red-Gebirge?‹

      ›So an die 13.000 Fuß.‹

      ›Können wir von ganz oben herunterfallen?‹

      ›Das wohl kaum. So nach 1000 Fuß würden Sie auf eine Klippe stoßen. ‹

      ›Stürzen oft Leute ab?‹

      ›Bisher erst einmal. ‹

      Mit mir reisten Eugene Banks, der Dichter, und Wallace Bruce Amsbery, dessen französisch-kanadische Dialektgedichte in der Zeitschrift Century weite Beachtung gefunden hatten. Banks starrte ins Mondlicht, Amsbery beobachtete die Pferde, wie sie sich durch den Schnee wühlten. Ich erwog meine Chancen. Vor uns die Baumgrenze, ein Anblick von schrecklicher Schönheit, der mich schaudern ließ. Aber in Ehrfurcht, wenn ich hinabsah. Man war fast gezwungen, laut zu rufen: ›Ach du arme Feder! Du lumpiger Pinsel! ‹ Alles war von einer so unerhörten Großartigkeit, dass man tausend Augen hätte haben wollen, um das Wunder in sich aufzunehmen.

       American Memories

      »Ein berühmter Outlaw, dessen Spezialität die Überfälle auf Eisenbahnzüge war, schrieb an die Union Pacific und beklagte sich darüber, dass deren Züge für den normalen Sterblichen einfach mit zu hoher Geschwindigkeit verkehrten.«

       Philip Ashton Rollins

      ›Haben wir das Schlimmste jetzt hinter uns?‹ fragte ich den Fahrer.

      ›Das Schlimmste wovon? Von der Gefahr? Wir sind noch nicht einmal auf halbem Weg!‹

      Ich meinte, das könne nicht wahr sein, aber es stimmte. Der Sturm lag hinter uns, ein geisterhaftes Tageslicht ließ den Mond verblassen. Wir kamen durch eine aufgegebene Bergwerksstadt. Nicht eine Menschenseele lebte mehr hier. Es gab Fenster, durch die Augen voller Hoffnung und Verlangen nach Osten geblickt haben mussten, zerbrochene Feuerplätze, wo die Menschen sich am Abend zusammengedrängt hatten. Alles war Verlassenheit, und durch die Straßen klangen die fernen Töne eines heulenden Wolfes.

      Ein paar Wegbiegungen, und wir befanden uns auf dem schmalen Sims eines Canyon. Und jetzt wusste ich, dass der Kutscher die Wahrheit gesagt hatte.

      ›Hören Sie mal‹, sagte der Dichter, ›wir glauben Ihnen, dass Sie der beste Fahrer der Welt sind, aber Sie müssen die Kurven nicht so scharf nehmen. Sie brauchen uns Ihre Künste nicht zu beweisen. Lassen Sie sich Zeit.‹

      ›Ich schneide keine Kurven‹, erwiderte der Fahrer. Dahinzugleiten, so nahe am Abgrund, dass die Kufen den Schnee in die Tiefe drückten, war nicht so angenehm. Tief unter uns floss ein Bach. Aber so weit fort, dass man das Geräusch des Wassers nicht mehr hörte. Aus dem schrecklichen Abgrund drang nichts als Stille zu uns herauf.

      ›Sie haben mir die Wahrheit gesagt‹, bemerkte ich zu dem Kutscher. ›An den gefährlichsten Stellen waren wir vorhin tatsächlich noch nicht vorbei.‹

      ›Aber Sie haben sich mächtig angestrengt, um mir Lügen aufzutischen.‹

      Vielleicht gehört zur stärksten Freude zuvor ein Augenblick der Gefahr, aber wenn dem so ist, würde ich lieber auf solche Freude verzichten. Mir war schon klar, dass ich von diesem Berg herunterkommen würde. Die Frage war nur, wie.«

      So stand es am 25. November 1902 in der Times in Denver zu lesen.

      Und nun zu dem kleinen roten Gefährt, vor dem ich mir per Kopfhörer die Ratschläge für das Benehmen auf einer Postkutschen-Fahrt angehört hatte. Was weiß man über jene Postkutsche, die sich da jenseits der Absperrung so nett, sauber und elegant darbietet? Sie wurde wahrscheinlich zunächst für den Verkehr zwischen den Bergwerksstädten in Montana benutzt und beförderte, ehe sie ins Museum kam, Touristen im Yellowstone-Nationalpark. Lange nahm man an, es handle sich um eine Concorde-Kutsche. Aber John und Mildred Frizzel, die das Gefährt 1976 restaurierten, waren der Meinung, dass die Kutsche wahrscheinlich von der Firma Eaton & Gilbert in Tryp im Staate New York gebaut wurde. Darauf deutet jedenfalls der Rahmen aus gelbem Pappelholz hin, das man gewöhnlich bei den Gefährten dieser Firma findet.

      Ohne dass man den Hersteller eindeutig klären konnte, steht immerhin fest, dass die Kutsche von Wells Fargo & Company zur Beförderung von Passagieren und Post zwischen Bergwerksstädten im Westen benutzt wurde. 1869 kaufte die Firma Gilmer & Munro Salisbury aus Salt Lake City Kutschen des Typs Concorde im Wert von 70.000 Dollar von Wells Fargo. Wahrscheinlich war mein kleiner Liebling auch darunter. Über sieben Jahre betrieb der neue Eigentümer gewinnträchtige und zuverlässige Postkutschenlinien in der Bergbauregion des Nordwestens. Aber nach Fertigstellung der Northern Pacific Railroad in Montana 1883 war die Firma nicht mehr konkurrenzfähig und gab auf. Die Kutsche ging dann in die Hände der Firma Wakefields & Hoffman aus Bozeman, Montana über, die den Fuhrpark von Gilmer & Salisbury erwarb und damit in das Touristengeschäft im Yellowstone einstieg. Seit 1878 hatte man damit begonnen, den an Naturwundern so reichen Park mit Kutschen zu bereisen. Und in den 38 Jahren, in denen der Kutschendienst dort bestand, trug das Gefährt mehrere hunderttausend Besucher zu zwölf Cent pro Fahrt durch den Park. 1921 stiftete der Manager der Yellowstone Park Transportation Company die Kutsche der Parkverwaltung. Von dort gelangte sie 1968 in das Museum in St. Louis. Und da steht sie nun – wirklich eine Schönheit von einer Kutsche und ein Gefährt, das fast durch die halbe Geschichte der USA gerollt

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