Cyberland. Gundolf S. Freyermuth

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Cyberland - Gundolf S. Freyermuth

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      »Und bis dahin feiern wir den Cyberspace wie das Christkind: in absentia?«

      »Mehr, als wir uns vor zehn Jahren erträumt hätten, funktioniert ja schon«, sagt R. U. »Außerdem, du legst zuviel Wert auf Realität. Die Äußerung der Wünsche ist wichtiger als ihre Erfüllung. Das nackte Konzept tauscht man von Kopf zu Kopf aus. Man begreift es, man versteht sich. Sobald man hingegen die Ideen in Fleisch und Blut realisiert, werden sie meist ruiniert. Deshalb ist virtuelle Realität so attraktiv - weil in ihr die Konzepte rein und unverfälscht erscheinen. Cyber ist nicht einfach eine weitere neue Szene. Cyber ist die äußerste Kante unserer Kultur, das Terrain, auf dem wir unsere Zukunft kritisieren, der Weg, den unser Leben nehmen wird und nehmen muss.«

      Minuten später blenden in dem Fluss der roten und weißen Datenteilchen zwei Lichter kurz auf und ziehen mit einer unprogrammierten Schleife über alle vier Spuren zu uns herüber. R. U. greift nach der Türklinke des Taxis.

      »Warte!« sage ich: »Eine letzte Frage noch ... Die Masse der Menschen mag ja für den Anbruch des Cyber-Zeitalters nicht wichtig sein. Doch was ist mit dem kulturellen Jet-Lag ganzer Nationen und Kontinente? Ich komme mir hier vor wie in einer Zeitmaschine. Ihr redet unentwegt von der Freiheit im globalen Cyberspace, dem Ende von Not und Unterdrückung ...

      »... und in Europa«, sagt R. U., »machen die Informations-Habenichtse Rollen rückwärts in die Vergangenheit, in Nationalismus, Bürgerkrieg ..?«

      »Ja ...«

      »Deutschland steht zwar im Zentrum der ökonomischen Welt«, sagt R. U. Sirius, »aber die neuen Subkulturen der Hacker, des Cyberpunk scheint es dort nicht zu geben. Es existiert keinerlei Kommunikation zwischen euch und uns. Ihr seid abgeschnitten von den Leuten, die die Zukunft vorbereiten und dabei sind, die Welt zu verändern.«

      Wie soll ich widersprechen? Hardware, Software, Wetware, Interface - für die Schlüsselbegriffe der Epoche haben wir nicht einmal eigene Worte. Jedenfalls keine, die mehr als Unsinn machen. Interface etwa ist ja nicht eine Stelle, wo sich schmerzhaft etwas schneidet, wie die Deutsch-Tech-Rede von der »Schnittstelle« suggeriert, sondern das Niemandsland zwischen zwei sehr verschiedenen Wirklichkeitsbereichen, das imaginäre Terrain, auf dem Menschen und Maschinen interagieren, wo wir von Angesicht zu Angesicht mit dem Gesichtlosen stehen. Das kulturelle Faszinosum, das sich um »interface« rankt - das Wort ist im Amerikanischen zugleich Substantiv und Verb -, lässt sich in der Übersetzung nicht nachvollziehen; wie so vieles in der Cyberkultur.

      Diese Sprachlosigkeit zeugt nicht von subjektivem Versagen, sie hat objektive Gründe. Wer neue Territorien zuerst entdeckt, gibt ihnen ihre Namen. Wer Erfahrungen zuerst macht, hat das Privileg, sie auf den Begriff zu bringen. Die Hightech-Zukunft lässt die Deutschsprachigen daher sprachlos wie einst die Popkultur. Jimi Hendrix’ »Purple Haze« war unübersetzbar, nicht weil die deutsche Sprache beschränkt wäre, sondern weil den Worten keine ursprüngliche Erfahrung in unserer Kultur entsprach. Für die Schlüsselworte des Cyber-Zeitalters gilt das nicht minder.

      »Wir würden ja gerne mit euch einen Dialog beginnen«, lächelte R. U. Sirius. »Andererseits, rückständige Gebiete haben wir in Amerika noch genug.«

      Der Cyberpropagandist sagt es recht gleichgültig. Die Avantgarde stürmt voran, die anderen müssen sehen, wie sie nachkommen. Aus der Sicht von »New Brainia« bietet die Welt des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts ein kurioses Schauspiel: Während ökonomisch die Erde immer mehr zu einem Markt verschmilzt und Kapital wie Konzerne keine nationalen Grenzen mehr akzeptieren, während CNN internationale Ereignisse weltweit wie Lokalnachrichten präsentiert, während der Cyberspace sich als unsichtbares Netz um den ganzen Planeten gelegt hat, brechen gleichzeitig von Afrika bis Europa gewalttätiger Nischen-Nationalismus und massenmörderischer Tribalismus aus.

      Auf diese nationalen Anfälle, von den französischen Medienquoten zur Abwehr amerikanischer Massenkultur über die ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Deutschland bis zu den »ethnischen Säuberungen« im früheren Yugoslawien, reagieren die kosmopolitischen Cyberianer nicht anders als die Angehörigen anderer internationaler Subkulturen, nicht anders als etwa Topmanager und Börsenmakler, Diplomaten oder Spitzenforscher: teils verständnislos, teils angewidert, teils gleichgültig. R. U. Sirius jedenfalls schenkt den europäischen Rückzugsgefechten soviel Aufmerksamkeit wie einst die Eliten des kolonialen Europa afrikanischen oder asiatischen Stammesfehden.

      »Wenn man eine neue Phase der Geschichte erreicht, verschwinden die früheren Bewusstseinsformen nicht. Sie sind alle präsent. Von der Steinzeit über das Mittelalter bis zur industriellen Moderne. Ein gewaltiger Bewusstseinslärm liegt über der Welt«, lächelt er, die Hand nach wie vor auf der Türklinke des Taxis. »Aber die neue Kultur entwickelt sich und setzt sich durch. Sie verändert unser Denken, die Art, wie wir die Welt sehen und verstehen. Ob das die Mehrheit der Menschen heute oder in zwanzig Jahren bemerkt, ist ziemlich egal. Auf Dauer kann sich kein Volk dem globalen Trend widersetzen. Da können sie noch so viele umbringen. Wieder und wieder werden die Leute in diesen Ländern zurückfinden zu dem Wunsch, an der internationalen Kommunikations-Ökonomie zu partizipieren und so ihren Teil der Zukunft abzukommen.«

      »Was ist nun?« ruft der Taxifahrer ungeduldig.

      R. U. Sirius öffnet den hinteren Schlag.

      »Man hat mich zum Generation-Xer-honoris-causae ernannt«, sagt er nachdenklich. »Ich gebe den Kids meine Sechziger-Jahre-Erinnerung an jenen Moment des Optimismus, was die Chancen einer totalen politischen und kulturellen Revolution angeht. Ich habe immer noch denselben drive und Impetus in ... tja, in eben irgendeine Richtung. Auch wenn ich nicht genau weiß, in welche. Auf jeden Fall müssen wir endlich zu Ende bringen, was damals begonnen hat.«

      Der ganze Mensch, samt Felljacke und langen offenen Haaren, schaut plötzlich drein, als sei er gerade aus einer Yippie-Wohngemeinschaftsküche in die Gegenwart eingeflogen.

      »Was macht Dutschke?« fragt er.

      »Weiß nicht. Ist tot.«

      »Und Cohn-Bendit?«

      »Stadtpolitik in Frankfurt.«

      R. U. Sirius wirft die Mähne zurück, mehr spöttisch als unwillig.

      »So endet’s, wenn man nicht aufpasst. Deshalb müssen wir Mutanten die Welt übernehmen.« Er zeigt ins Innere des Taxis. »Willst du mit?«

      Augenblicke später schießt der gelbe Wagen klappernd über einen der vielen Hügel von San Francisco. Vor uns taucht, angestrahlt von einem halben Tausend Scheinwerfer, der Hafen auf. Ein Gewirr aus Stahlträgern und Kränen verstellt den pazifischen Himmel. Was jedoch zwischen den metallenen Schatten hindurchschimmert, hat tatsächlich die Farbe eines Fernsehschirms nach Sendeschluss.

      Wer fremde Kulturen erkundet, denke ich, muss lernen, die Welt mit deren Augen zu sehen.

      III Cybernauten

      Leben und Lieben in der Virtualität

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