Cyberland. Gundolf S. Freyermuth

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Cyberland - Gundolf S. Freyermuth

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unserem zweiten Initiations-Abend beschränkt der zum Pummeln neigende Cyberguru seine Selbstversuche jedoch auf die Einnahme von wenig Kalorien und gewaltigen Mengen von Mineralwasser. Dazu lächelt er dauerhaft unirdisch.

      Aktuelle Position: nordamerikanischer Kontinent, Westküste, Julie’s Supper Club in der Bay Area. Zeit: 24:15 h nach dem ersten Kontakt.

      Der Strom steter Worte, mit denen R.U. Sirius die zu Clans verschworene Cyberszene heraufbeschwört, ist dafür berauschend genug. Was wir beobachten, erklärt er, seien die gewagten Experimente einer Zwischenzeit, der lange Anlauf zum großen evolutionären Sprung. Die Menschheit habe sich eine Umwelt erschaffen, für die ihre genetische Ausstattung nicht mehr hinreiche, ihre Techniken zur immer notwendiger werdenden Selbstverbesserung aber seien noch zu unausgereift.

      Im Zentrum der Cyberkultur stehen daher provisorische Versuche, der Realität auf die Sprünge zu helfen. Sie zielen auf eine Befreiung des Alltagslebens und die Erschaffung alternativer Wirklichkeiten, auf eine Steigerung der körperlichen Empfindungen und eine Erweiterung des Bewusstseins. Darin sind die Cyberclans Nachfolger der Hippie-Revolte der sechziger Jahre und der psychedelischen Popkultur, die um sie herum entstand. Deren revolutionäre Triebkraft war der Rock’n’Roll. Zum ganz normalen Milliardengeschäft mutiert, hat er heute seine innovative und existentielle Bedeutung verloren. Die Musik vermag nicht mehr das Bewusstsein einer neuen Generation zu formulieren. Alles ist ausprobiert und gesagt worden, alles Neue ist Revival. Diese Einsicht markiert Kurt Cobains melancholische Frage auf dem letzten »Nirvana«-Album vor seinem Selbstmord: »What else can I say?« - »Was kann ich noch anderes sagen?«

      Seit die Musik von der vordersten Front ins Glied der Künste zurückgetreten ist, spielt der Computer die Rolle, Gemeinschaften und Kultur zu stiften. Das Woodstock der Cyberszenen liegt im Internet, ihre Utopie sieht den Menschen im Medium der Technik, befreit von seinen sozialen wie biologischen Zwängen.

      »Meiner Ansicht nach gibt es einen generellen Trend in Richtung dessen, was man die ‘Veräußerlichung der Seele’ nennt«, sagt R. U. Sirius. »Mehr und mehr von dem, was wir sind, realisiert sich in medialen Räumen oder im Cyberspace und nicht mehr in unserer lokalen Umgebung oder in unseren Körpern. Das ist Teil eines Prozesses, der sich nicht aufhalten lässt. Ich glaube, dass wir uns am Ende wahrscheinlich auf die Netze hoch- oder auf Datenspeicher runterladen werden oder Kopien von uns machen werden, um unsere Biologie zu überwinden - ohne notwendig auf sie zu verzichten -, um uns mit der Technik zu vereinen und Alternativen zur Biologie zu haben.«

      Solange derlei noch an technische Grenzen stößt, konzentriert sich der utopische Wille der Cyber-Subkulturen, dem Ist-Zustand zu entkommen, auf die bereits vorhandenen Mittel und Wege, die Grenzen der äußeren Realität und des eigenen Körpers zu erweitern.

      Gehirnhacking: smarte Drogen. Intelligenz und Kreativität sind in der Cyberkultur so hip, wie es flache Bäuche einst in Yuppiekreisen waren. Der Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit durch Workout und Steroide entspricht die Erhöhung der eigenen Smartheit durch Psychotechniken und vor allem Smart Drugs, Hightech-Drogen, die smart hergestellt sind und smart machen.

      »Wir können nicht Schritt halten mit der Entwicklung, die uns und die Maschinen vorantreibt, ohne unsere Frequenzen zu erhöhen. Smarte Drogen ermöglichen uns das; sie ermöglichen uns, ein Stück freier von biologischer Kontrolle zu werden. Sie gleichen Steroide für Börsenmakler«, sagt R. U. Sirius: »Ich verwende diese Metapher, um anzudeuten, dass wir uns von genussorientierten psychedelischen Drogen wegbewegen und zu solchen hin, die die Leistungsfähigkeit erhöhen. Wir haben Steroide für den Körper und Intelligenz steigernde Drogen für den Verstand. Wenn man dabei ist, Karriere zu machen, kann man es sich dann wirklich leisten, auf den Vorteil zu verzichten, den die smarten Drogen bieten?«

      Der Ausdruck Smart Drugs selbst geht auf John Morganthaler zurück, der auch 1990, zusammen mit Ward Dean, die bestsellernde Bibel der Smartdrogen-Szene geschrieben hat: »Smart Drugs and Nutrients: How to Improve Your Memory and Increase Your Intelligence Using the Latest Discoveries in Neuroscience« - »Smarte Drogen und Ernährungsstoffe: Wie man sein Gedächtnis verbessern und seine Intelligenz steigern kann, indem man von den jüngsten Entdeckungen der Neuroforschung Gebrauch macht«. Das Buch ist gewissermaßen das Alte Testament. Das Neue erschien drei Jahre später und heißt »Star-Trek«-inspiriert: »Smart Drugs II: The Next Generation«.

      Die Smart-Drogisten machen sich Erkenntnisse der Psychobiologie zunutze, die zeigen, dass das Gehirn keine unveränderliche Hardware darstellt. Es ist vielmehr eine Art chemischer Dampfkessel, in dem die Synapsen- und Neurotransmittersäfte unter Hochdruck zirkulieren. Ihre Konzentration lässt sich so einfach erhöhen wie die von Alkohol im Blutkreislauf - mittels nootropischer und neuromantischer Drogen, die Intelligenz steigernd und Bewusstseinserweiternd auf die höheren Gehirnzentren einwirken.

      Generell lässt sich der Effekt der Nootropics mit der traditioneller Stimulantien wie Koffein, Kokain und Amphetaminen vergleichen. Die jedoch verschaffen dem Körper nur einen schnellen Schub, der die Gedächtnisleistung und das Kombinationsvermögen momentan steigert und das Gehirn wenig später erschöpft zurücklässt.

      »Psychedelische Drogen verstärken die Fähigkeit zu fokussieren, sich zu erinnern und Informationen zu verarbeiten«, sagt R. U. Sirius. »Aber sie haben die Nachwirkung eines Vorschlaghammers.«

      Smarte Drogen hingegen sollen als Dauerbrenner eine langfristige Erhöhung von Gehirnleistungen wie Konzentrations- und Assoziationsfähigkeit bewirken sowie die Alterungsprozesse des Gehirns verzögern.

      Der Vorschlag, die Frequenzweite der Wahrnehmung und die Zahl der arbeitenden Schaltkreise im Gehirn durch chemische Stimulation zu erhöhen, dem Gedächtnis mehr Speicherfähigkeit und dem Denken schnellere Prozessoren zu besorgen, stieß im amerikanischen Westen auf ein breites Bedürfnis. Von San Francisco bis Phoenix schossen im Dutzend Mailorder-Firmen und Smart Bars aus dem Boden, in denen man sich mit Designer-Gehirnfutter und Denk-Getränken mit so schönen Namen wie »Intellex«, »Psyber Tonic« oder »Energy Elixir« versorgen kann, meist Mixturen aus Vitaminen und Koffein plus Cholin, Phenylalaline und Ephedra.

      Prominenteste Lieferanten der Gehirnbrennstoffe für die smarte Szene sind die Lebensverlängerungs-Gurus und »Mondo 2000«-Autoren Durk Pearson und Sandy Shaw. Ihre Trockendrinks, die auch der Achtundsechziger-Revolutionär Jerry Rubin bis zu seinem tödlichen Unfall vertrieb, bestehen zu einem Großteil aus Aminosäuren, die sich im Körper zu zell- und Gewebe stärkenden Proteinen verbinden. Einige Aminosäuren und Ernährungsstoffe wie Choline verwandeln sich zu Neurotransmittern - Zerebralfutter, das die Verbindungen zwischen den Gehirnzellen stärkt.

      Stärkere nootropische Gehirnbrennstoffe wie Deprenyl, Hydergine, Phenylalin, Milacemide, Phosphatidyleserin, Vasopressin oder Piracetam sind oft rezeptpflichtig und erfordern umständlichere Beschaffungswege. Piracetam etwa wird üblicherweise zur Nachbehandlung bei Schlaganfällen mit Gedächtnisverlust verschrieben. Als typische Droge des Computerzeitalters beschleunigt es den Datenbus zwischen den getrennten Denkmaschinen in der linken und rechten Gehirnhälfte. R. U. Sirius’ Liebling unter den smarten Drogen ist jedoch das euphorisierende und Gedächtnis steigernde Vasopressin.

      »Vasopressin ist der chemische Stoff, der im Gehirn erzeugt wird, wenn man Kokain oder Amphetamine schnupft. Das Zeug gibt einem einen richtigen Kick. Man fühlt sich sehr stimuliert und interessiert sich für alles viel stärker«, sagt Sirius. »Anders als Kokain jagt es aber den Kreislauf nicht so hoch. Man hat das gute Gefühl ohne die Neben- und Nachwirkungen.«

      Kevin Kelly, als damaliger Chefredakteur der »Whole Earth Review« ein früher Tester der Droge, gab ihm recht. Er beschrieb, mit welcher Klarheit und Selbstsicherheit er unter dem Einfluss von Vasopressin Thomas Pynchons »Gravity’s Rainbow« lesen konnte und nannte es eine Droge für Schriftsteller:

      »Vasopressin

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