Cyberland. Gundolf S. Freyermuth

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Cyberland - Gundolf S. Freyermuth

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und Ende 1995 mit nur vierzehn Ausgaben zu je rund siebzigtausend Exemplaren erschienen, wirkte auf dem amerikanischen Zeitschriftenmarkt äußerst stilbildend. Der Gesamtkunstwerk-Ansatz schert sich selbst um ökonomische Nachteile nicht: Werbekunden müssen ihre Seiten zur Genehmigung vorlegen, als handele es sich um redaktionelle Illustrationen. Entsprechen die Anzeigen - für Hightech-Konsumgüter und Wilhelm Reichsche Orgondecken, für Ufo-Detektoren und Computermessen - nicht den ästhetischen Standards, werden sie abgelehnt.

      Die Ansprüche ans Lesepublikum sind ebenfalls hoch. »Mondo 2000« adressiert die Verrücktesten und Neugierigsten unter den Klugen und präsentiert technologische Innovationen, arkanes Wissen und die neuen Computer-Wirklichkeiten nicht nur erotischer als der »Playboy« seine nicht minder künstliche Wetware, sondern auch komplizierter als manch wissenschaftliches Fachbuch.

      »Wir verlangen von unseren Lesern, dass sie sich anstrengen«, sagt R. U. Sirius.

      Er firmiert im Impressum als »Icon-at-Large«, was in Anspielung auf den »Reporter-at-Large«, der gründliche Artikel schreiben darf, wie auf den Kriminellen, der »at large«, also auf der Flucht ist, soviel bedeutet wie »flüchtige Ikone mit sehr viel Freiheiten«. Weggefährtin Queen Mu übt die Funktion einer »dominineditrix« aus. Zusammen sorgen sie für intelligente hedonistische Artikel, die vom Einfluss ihrer Idole William S. Burroughs und Timothy Leary, Abbi Hoffmann und Robert Anton Wilson zeugen, aber ebenso für seltsame Berichte über seltsame Dinge.

      »Mondo 2000«-Leser erfahren zum Beispiel einiges über »Die Musik der Doppelhelix«, »Kybernetische Juwelen - tragbare Microcomputer« oder Extrem-BBS, die schwer zu beschaffende Infos enthalten, etwa wie man eine eigene Atombombe baut oder einen Mörderwal masturbiert. Ein Leichenteil-Memorabilien-Händler verteidigt sein Gewerbe - »Einzig der Tod ist noch demokratischer als der freie Markt, richtig? Also, hier haben wir einen Geschäftszweig, in dem beides zusammengeht« - und schwärmt dabei von dem idealen Package-Deal: »Das Tagebuch von Che Guevara zusammen mit der Hand, die es schrieb!« Blixa Bargeld von »Einstürzende Neubauten« offenbart: »Die RAF-Leute waren meine Helden.« Jeff Koons wird als »Liberace der Endzeit« porträtiert. Ein Essay des führenden L.A.-Historikers Mike Davis über die kalifornische »Ökologie der Angst« beschreibt die Planung virtueller Gefängnisse. Und in einem Interview spricht der »Ausserirdische-Elfen-brachten-uns-die-Drogen«-Pabst Terence McKenna von der Möglichkeit, das gesamte Wissen der Menschheit auf ein paar dunkle Kontaktlinsen herunterzuladen, um es so jederzeit vor Augen zu haben, und schließlich gesteht er: »Der menschliche Verstand ist unglaublich pervers. Ich weiß das, weil ich selbst einen habe.«

      Das zweite »Katzenjammer-Kid der Psychedelic-Szene« ist Terences Bruder Dennis. Zur Diskussion seiner Theorien merkt die »Mondo 2000«-Redaktion in Klammern kühl an: »Dennis McKennas Hyperkarbolations-Theorie verbindet Elektronenwirbelresonanzlehre, holographische DNA-Informationsgewinnung, Supraleiterforschung und psychedelische Chemie. Postdiplom-Abschlüsse auf irgendeinem dieser Wissensfelder wären hilfreich, um herauszufinden, ob das alles nicht nur eine Kiste voller Scheiße ist.«

      »Und wenn?« R. U. Sirius macht eine wegwerfende Handbewegung. »Die Wirklichkeit ist nicht so wichtig. Wichtig ist, dass wir Kreativen und Verrückten mehr Macht und Einfluss bekommen als die engstirnigen Sturköpfe, die normalerweise den Ton angeben.« Um seine eigene Machtbasis auszuweiten, forme er gerade eine Unternehmungsgruppe. »Natürlich mit dem Fernziel, die Welt zu übernehmen. Wenn man eine Sache anfängt, muss man sie auch voll durchziehen.«

      Wie Andy Warhol sich selbst zur Ikone des Pop inszenierte, arbeitet R. U. Sirius an seinem Aufstieg zur Ikone des Cyber. Warhol verfügte mit »Interview Magazine« über ein eigenes Sprachrohr, Sirius hat »Mondo 2000«, um seinen Ruhm zu mehren. Warhol brachte seine Pop-Philosophie in Buchform unter die Menschen, Sirius hat den »User’s Guide to the New Edge« publiziert. Nun hat er - wie Warhol mit »Velvet Underground« - eine eigene Band gegründet. Als Name für seine akustische Schöpfung, die »Hauskapelle des Simulacrums«, wählte er »Mondo Vanilli«:

      »Ich trete auf und wieder ab. Ich bin der Michael Jackson für Arme. Und Kluge. Ich erscheine und verschwinde. Das soll meine Rolle in der Band sein. Doch wir haben daneben eine phantasievolle Sängerin, Simone 3Arm, eine elektrische Göttin, die schon viele Pornos gemacht hat, eine wunderbare Mischung aus Salvador Dali und Alice Cooper.«

      Meint er das ernst?

      »Ich nehme nie etwas ernst. Am Ende geht alles zu Ende, unser Leben, die Welt, wie wir sie kennen.« Kein Anflug von Traurigkeit schwebt dabei um seine Miene. »Aber natürlich bin ich von Andy Warhol sehr beeinflusst worden. Er war der erste, der an seiner Stelle einen Roboter hat auftreten lassen. Und er hat jemanden angeheuert, der für ihn Reden gehalten und Interviews gegeben hat. Er erregte Aufmerksamkeit, und ich möchte gleichfalls noch einige Jahre öffentliche Aufmerksamkeit erregen. Es ist so verdammt leicht, das Interesse der Leute zu verlieren.«

      Nachsichtig legt R. U. Sirius mir seine ganz private Theorie der Öffentlichkeit dar: Das menschliche Gehirn ist rückständig, seine Aufnahmekapazität äußerst beschränkt. Wir können die Daten nicht so schnell aufnehmen, wie sie erzeugt werden. Das hat im digitalen Zeitalter zu einer Mangelökonomie besonderer Art geführt. Nicht an Waren oder Informationen, nicht an Ausdrucksmöglichkeiten oder an Einnahmequellen fehlt es uns, sondern an der Aufmerksamkeit unserer Mitmenschen. Sie ist das einzige Gut, das sich im Zeitalter universeller Reproduzierbarkeit nicht mehr vermehren lässt.

      »Wenn eine Frau wie Madonna vierzig Prozent aller im Land vorhandenen Aufmerksamkeit absorbiert, bleibt für uns andere wenig übrig. Bruce Sterling hat mal bei einer Podiumsdiskussion gesagt, die Aufmerksamkeitsökonomie löse allmählich die Geldökonomie ab. Alle Werte werden früher oder später danach berechnet werden, wie viele Leute etwas wahrgenommen oder benutzt haben. Nach der Aufmerksamkeit, die man erregt, wird man zukünftig bezahlt.« Der Cyberpropagandist strahlt: »Das wird meine Welt sein.«

      Kritiker attestieren R. U. Sirius eine »koffeinreiche Prosa«, beste Voraussetzung, um Aufmerksamkeit en gros zu erregen. Eine wandelnde PR-Veranstaltung, Mundstück der Plattitüden, die auch ein Millionenpublikum begreifen könnte, mag der Cyberpropagandist allerdings nicht sein. Er strebt nach intellektuellerem Ruhm.

      »Ich bin auf der Suche nach dem Stein der Weisen, was Cyber angeht«, sagt er. »Ich setze immer alles auf die beste Karte in der Stadt. Und das ist gegenwärtig die Cyberkultur, wo das biologisch-physische Menschwesen eine technische Lösung für die quälendsten Probleme seines Seins findet.«

      Eine höhere Ordnung in dem wirren und verwirrenden Boheme-dynamischen-Komplex aus kybernetischen und künstlerischen Verrücktheiten zu entdecken, fällt jedoch selbst mit Hilfe avantgardistischer Technik- und Kulturphilosophie, auf die mein Fremdenführer soviel gibt, nicht leicht. Unzählige maßgeschneiderte Subkulturen und Kults, artistisch und artifiziell, elektronisch und eklektisch, scharen sich um die verschiedensten Forschungsgebiete und Kunstrichtungen, um Denk- und Computer-Modelle.

      Wenn er dieses grelle Weltbildkaleidoskop aber schon nicht auf den geschichtsphilosophischen Begriff bringen kann, will R. U. Sirius wenigstens der Diderot des Cyber-Age sein, derjenige, der das subkulturelle Chaos enzyklopädisiert. Die sammelsurische Tour d’Horizon, die er mir versprochen hat, absolviert er denn auch atemberaubend versiert mit Warp neun.

      Cyberklopädie II:

      Gehirnhacking & Cybertheorie,

      Körperhacking & Bionische Engel,

      Top-vier-Cyberclans

      »Für eine Gesellschaft ist es grundsätzlich von Nutzen, eine kleine, kontrollierte Gruppe von selbstzerstörerischen Narren zu besitzen, die bereit sind, ungetestete und unverstandene Geräte und Substanzen an sich auszuprobieren«, schreibt Bruce Sterling: »Und wenn ich je einen Mann

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