Cyberland. Gundolf S. Freyermuth

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Cyberland - Gundolf S. Freyermuth

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die Vasopressin versuchten, berichten jedoch von unangenehmen Nebenwirkungen wie Schwindelgefühlen, Krämpfen und dem unwiderstehlichen Wunsch nach Darmentleerung.

      »Sicher, heute sind die Chemikalien oft noch stümperhaft und roh«, räumt Sirius ein. »Eines Tages werden wir Gehirnimplantate haben. Man wird in der Lage sein, auf einen Knopf zu drücken und so die Chemikalien im Gehirn zu aktivieren, die man gerade möchte.«

      Bruce Sterling warnt direkter vor dem Boom der smarten Drogen: »Nehmt nichts von dem Zeug, von dem sie behaupten, es mache euch klüger. Es macht euch nur ärmer.«

      Doch der Weg in die breiten Massen ist kaum aufzuhalten. Anti-Depressiva wie Prozac beseitigen allmählich das Stigma, das in weiten Kreisen über Bewusstseinsverändernden Chemikalien lag. Umfragen zufolge nehmen bereits über einhunderttausend Amerikaner regelmäßig smarte Drogen, und von den pharmazeutischen Konzernen werden gegenwärtig über einhundert neue Produkte entwickelt.

      Natürlich ist die smarte Szene derzeit klein im Vergleich zu den Millionen, die seit Jahren mit Bewusstseinserweiternden Drogen experimentieren. Auch zu Marihuana, Heroin oder Kokain gibt es aber Alternativen, Drogen wie Ecstasy, Lucidril, L-Dopa, MDMA. In der Cyberkultur werden diese sogenannten »Neuromantics« wegen ihrer Realitäts- modulierenden Kräfte hochgeschätzt. Sie seien, schrieb Tony Marcus in »I-D«, nachdem er »New Brainia« besucht hatte, »der Kultur-Generator, dessen Energie die Cyberpunks der Stadt, die Techno-Hippies und die [Rave-]Clubs in die Zukunft treibt.« Und Rudy Rucker sagt: »Ich bin aus politischen Gründen pro-psychedelisch, weil das bedeutet, gegen die Konsensus-Realität zu sein, und das bin ich mit allem Nachdruck.«

      R. U. Sirius sieht die kreativen Kräfte der neuromantischen Drogen als notwendige Aufhebung der Beschränkungen, die der chemische Normalzustand unseren Gehirnen auferlegt. Er schwärmt von den Meisterwerken, die die Drogenkultur der sechziger und siebziger Jahre in Kunst, Literatur, Musik und auch in der Computerindustrie hervorbrachte. Mark Heley, Rave-Organisator in San Francisco, geht noch ein Stück weiter:

      »Smarte Drogen und virtuelle Realitäten werden die Welt ändern. Sie wirken wie Zeitbomben. Eine posthumane Kultur ist im Entstehen - wir werden so etwas wie eine neue Spezies.«

      Cybertheorie: Wissenschaft als Rebellion. Die Grenzen nicht anzuerkennen, die das jeweils herrschende Weltbild dem Denken und Forschen zieht, das sei die wichtigste Aufgabe der Wissenschaft, meint der Princeton-Physiker und Extropianer Freeman Dyson. »Wissenschaft ist eine Allianz aller freien Geister in allen Kulturen«, schreibt er, »die gegen die jeweilige Tyrannei rebellieren, mit der jede Kultur über ihre Kinder herrscht.« Nicht immer jedoch finden die intellektuellen Ergebnisse solcher Rebellionen außerhalb der wissenschaftlichen Gemeinde ein Interesse, das über Ablehnung hinausginge.

      Kollektive Theoriefeindlichkeit ist stets ein Zeichen für sowohl geistige wie historische Stagnation und weist auf Gruppen, die sich eingerichtet haben und in ihren Gewohnheiten und Gedankenlosigkeitsmustern nicht stören lassen wollen. Zeiten des Umbruchs und revolutionäre Bewegungen hingegen versuchen, das Neue, das sie erspüren, zu verstehen, indem sie es auf den Begriff bringen. Theoretische Auseinandersetzung ist in ihrem Kontext keine entfremdete Tätigkeit von wissenschaftlichen Spezialisten. Sie dient vielmehr der Klärung existentieller Fragen und ist ein Stück intellektueller Lebenshilfe. Die cyberbewegte Avantgarde-Szene unterscheidet sich in diesem Punkt nicht von ihren politischen, ästhetischen und wissenschaftlichen Vorgängern. Denkfiguren erster Wahl beim Prozess ihrer Selbstverständigung sind Theorien der Postmoderne, insbesondere Poststrukturalismus und Dekonstruktion.

      »Ich habe eine Schwäche für französische Autoren, für Leute wie Foucault, Lacan, Deleuze, Derrida und Baudrillard«, gesteht R. U. Sirius. »Sie bieten eine hysterische, oft paranoide, aber immer sehr erkenntnisreiche Sicht auf die grausame Seite unserer Technikkultur. Sie verhandeln Probleme von Sprache und Wirklichkeit in Begriffen aus der Technikwelt. Mit anderen Worten: Sie sehen unsere Gesellschaft als eine große Maschine an, eine Art Betriebssystem. Und sie sprechen vom Hyperspace auf eine Weise, die sehr viele Ähnlichkeiten zum Konzept des Cyberspace besitzt: dass das Reich der Informationen einen Lebenszusammenhang darstellt und nicht einfach eine unwichtige Begleiterscheinung unserer Arbeit ist. Deshalb haben sie auch großen Einfluss auf die Cyber-Schreiber an den Universitäten.«

      Die Adaption des Dekonstruktivismus, für die Sirius’ hartnäckige Expeditionen in die zeitgenössische Philosophie typisch sind, scheint durchaus folgerichtig. »Dekonstruktion« - das klingt nicht nur nach einem Abrissunternehmen. Es ist eines. Zertrümmert werden soll die herrschende Ordnung der Dinge und des Denkens. Gleichberechtigte Vielfältigkeit tritt theoretisch an die Stelle des bis dato beherrschenden totalitären Einheits-Denkens: des Glaubens, der Philosophien, der Ideologien, die jeweils alles Abweichende unterdrücken. Wobei, selbstverständlich, der intellektuellen Dekonstruktion realer Zerfall vorangegangen sein soll: der Wirklichkeit, der Tradition, der Kultur, der Kunst, des Denkens.

      Die primären Kennzeichen der postmodernen Epoche - die Infragestellung der mechanistischen Rationalität des industriellen Zeitalters, die Aufhebung der hierarchischen Distinktion zwischen Hoch- und Massenkultur, theoretischer Eklektizismus und stilistische Promiskuität - bilden das Fundament des dekonstruktivistischen Theoriegebäudes, wie es im Umkreis der Cyberszene vor allem Allucquere Rosanne Stone vom Advanced Communication Technologies Laboratory im texanischen Austin und die feministische Historikerin Donna J. Haraway mit ihrem kultisch verehrten »Cyborg Manifesto« vertreten, einer Hymne auf die geschlechtskombinatorischen Möglichkeiten des Menschen in einer Hochtechnologie- und Informationskultur.

      »Diese Texte zu lesen, erschöpft einen wirklich«, schmunzelt R. U. Sirius, dessen »Mondo 2000« einiges Dekonstruktive gedruckt hat, darunter ausführliche Interviews mit Stone und Haraway: »Aber ich kann es trotzdem empfehlen, denn glaub mir, wenn du Lacan zitieren kannst, bleibt dein Bett nicht leer.«

      Körperhacking: Plastische Chirurgie, Implantate und darüberhinaus. Um aber ad indefinitum ihrer Lust leben zu können, benötigt die neue Spezies neben neuen Theorien und denkbeschleunigten und Bewusstseinserweiterten Gehirnen vor allem neue Körper, die diese Gehirne nicht länger »biologisch versklaven« und ihnen eine verbesserte und verlängerte Existenz ermöglichen.

      »Ein Haufen Leute in der Cyberkultur bezeichnen den Körper als ‘Fleischstück’, weil er so fest und schwer zu verändern und unflexibel ist«, sagt R. U. Sirius. »Doch auch dieses Stück Wirklichkeit lässt sich heute bereits hacken ...«

      Der Gedanke, den Körper zu manipulieren und seine Mängel und Gebrechen gewaltsam zu eskamotieren, ist allerdings nicht neu. Sein Zustand war seit der Aufklärung stets - gerade in Zusammenhang mit Sexualität - ein öffentliches Anliegen. Die »unterirdische Geschichte« nannten Adorno und Horkheimer das Schicksal des Körpers in der Moderne, und Michel Foucault sprach von der »dunklen Kehrseite« unserer Gesellschaft und zeigte in der »Geburt der Klinik« und anderen Schriften zur Biopolitik, wie im Prozess der Modernisierung dem Fleisch zunehmend anspruchsvollere Normen auferlegt wurden - Vorstellungen von Gesundheit und, insbesondere im Hinblick auf den weiblichen Körper, von Schönheit, die schier unerreichbar waren.

      Bereits im neunzehnten Jahrhundert begann man deshalb, der Natur nachzuhelfen. Mit komplizierten Schnürpraktiken zwängte man etwa weibliche Taillen peu à peu bis auf dreiunddreißig Zentimeter herunter, und wenn es gar nicht anders ging, wurde schon mal eine Rippe operativ entfernt, um das widerspenstige Fleisch dem gesellschaftlichen Ideal anzupassen. Heute, am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, gehören zum medizinischen Alltag nicht nur Operationen, die gesünder machen - von Hornhaut-Übertragungen über künstliche Hüftgelenke bis zu den Füßen, die nach Unfällen wieder »angenäht« werden -, sondern auch plastische Eingriffe, die wesentlich der Anpassung der Biologie an soziale Normen dienen.

      »Die einzige gute Entschuldigung dafür, überhaupt noch einen Körper zu haben«, sagt R.

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