Cyberland. Gundolf S. Freyermuth

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Cyberland - Gundolf S. Freyermuth страница 15

Cyberland - Gundolf S. Freyermuth

Скачать книгу

konstituiert sich im Internet, etwa in Usenet-Groups wie alt.pagan, alt.magick.chaos und soc.religion.eastern oder in spirituellen MUDs. Lediglich ihre Zeremonien, die teils als Rave, teils als Ritual exerziert werden, finden noch in der Wirklichkeit statt. Sie kreisen um Drogen, ekstatische Tänze und Körperinvasionen, die im Vorgriff auf cyberutopische Bio-Manipulationen und Menschmaschinen primitive Körperinvasionspraktiken wie Piercing wiederbeleben.

      Extropianer. Diese Gruppe von Wissenschaftlern und Philosophen, Mathematikern und Programmierern betreibt die aktive Vorbereitung der Menschheit auf den grenzenlosen Fortschritt, Überfluss und Intelligenzzuwachs, den die nähere Zukunft bringen soll. Ihren Ursprung hat die extropianische Bewegung im Silicon Valley, ihr gegenwärtiges Hauptquartier, das Extropy Institute, befindet sich im südkalifornischen Marina del Rey. Ihre Grußformel lautet »Aufwärts!«, ihr Wahlspruch: Entweder du gehst mit oder die Zukunft geht über dich hinweg.

      »Die Extropianer entwickeln Nanotechnologie, Eric Drexler und seine Bande von Verrückten. Sie beschäftigen sich mit lebensverlängernden Techniken, viele der Kryoniker gehören dazu«, sagt R. U. Sirius. »Und sie glauben wie Hans Moravec daran, dass man in der Lage sein sollte, menschliches Bewusstsein in digitale Räume zu kopieren. Kurzum, sie widmen sich dem Kampf gegen die Entropie, wo immer sie ihr tödliches Haupt erhebt.«

      Entropie ist die Lehre vom Wärmetod. Sie besagt, dass in geschlossenen Systemen allmählich die Temperatur- und Energiedifferenzen schwinden. Mit dem vollständigen Ausgleich, der Entropie, geht das Ende allen materiellen Geschehens einher. Die fortschrittsfreudige Cyber-Denkschule der Extropianer postuliert dagegen eine beständige Zunahme an Energie und Energiegefälle, eben Extropie. Entscheidenden Anteil an diesem Prozess der planetarischen Extropie-Steigerung soll die Evolution des Homo sapiens zu einem höheren oder zumindest technisch höhergerüsteten Wesen haben.

      »Am Extropianismus macht absolut Spaß, dass er zum leuchtenden Licht geworden ist, von dem einige der wildesten und wirrsten Ideen-Motten der Zukunftstechnik angezogen werden. All die Konzepte, die der offiziellen Wissenschaft unmöglich oder sonderbar erscheinen, erhalten hier leidenschaftliche Zuwendung«, schreibt Kevin Kelly: »Der unnachgiebige Optimismus der Extropianer treibt einige Leute zum Wahnsinn, während andere die Bewegung für den ganz normalen Lärm halten, den eine Versammlung anarcho-libertärer Verrückter nun mal vollführt. Aber wenn dich die Offizielle Zukunft in der Durchschnittspresse oder die Politisch Korrekte Zukunft in der Alternativpresse langweilt, dann kannst du dir die Augenbrauen versengen, indem du in der extropianischen Presse über die ‘transhumane’ Zukunft nachliest.«

      Taz: Temporär autonome Zonen. Die TAZ-Bewegung, wie sie der Cyberpunk-Essayist Hakim Bey in seinem Buch »T.A.Z. The Temporary Autonomous Zone, Ontological Anarchy, Poetic Terrorism« (»TAZ. Die temporär autonome Zone, ontologische Anarchie, poetischer Terrorismus«) konzipiert hat, will den Zerfall der politischen Großsysteme nutzen und im Cyberspace Zonen erschaffen, die zumindest teilweise von jedweder Kontrolle frei sind; elektronische Äquivalente zu isolierten Bergfestungen und Pirateninseln, Zufluchtsorte für Datenpiraten, anarchistische Freihandelszonen, idyllische Fluchtgebiete reiner Binnenkommunikation, von denen die manipulierenden Massenmedien ausgeschlossen bleiben.

      »Das letzte Stückchen Erde, das von keinem Nationalstaat beansprucht wurde, verschwand 1899. Unser Jahrhundert ist das erste ohne terra incognita, ohne eine frontier«, schreibt Hakim Bey und empfiehlt als Gegenwehr die nomadische Taktik der TAZ im Cyberspace: »Die TAZ ist wie ein Aufstand, der sich auf keinen Kampf mit dem Staat einlässt, eine Guerillaoperation, die ein Terrain befreit (ein Stück Land, ein Stück Zeit, ein Stück Vorstellungskraft) und die sich dann auflöst, um sich irgendwo oder irgendwann wieder zu formieren, bevor der Staat alles zerstören kann.«

      Bewusstseinslärm.

      Ein Aufbruch

      »Ich selbst würde mich allerdings in einer TAZ ohne Massenmedien zu Tode langweilen«, sagt R. U. Sirius skeptisch, »denn ich bin ein Medienfreak. Außerdem glaube ich nicht recht an den Erfolg der TAZ. Aber man weiß ja nie ...«

      Wenn wir den Himmel über dem Hafen sehen könnten, er hätte bestimmt die Farbe eines Fernsehschirms nach Sendeschluss.

      Aktuelle Position: nordamerikanischer Kontinent, Westküste, Straßen in der Bay Area. Zeit: 26:45 h nach dem ersten Kontakt.

      Genauer: Wir befinden uns in den Leerstellen, die der Anfang dieser Fremdenführung ließ. Vor einer Viertelstunde sind R. U. Sirius und ich ins Freie getreten. In ein paar Minuten wird es ihm gelingen, ein Taxi anzuhalten. Noch aber geht er nicht auf dem weißen Mittelstreifen, sondern am äußersten Rand des Trottoirs.

      »In San Francisco wird es zuerst geschehen«, sagt R. U. Sirius. »Hier werden die ersten Cyborgs herumlaufen. Im Grunde ist es schon so weit.« Er zeigt auf ein paar Gestalten, die sich in den dunklen Hauseingängen herumdrücken. »Sieh dir die eckigen Bewegungen an, die leeren Augen. Mann, wir sind mitten unter den Menschmaschinen.«

      »Wer die Zukunft vorhersagt, der lügt, selbst wenn er die Wahrheit sagt«, meint ein arabisches Sprichwort. Doch Techno-Bohemiens wie R. U. wollen ja nicht prophezeien, sondern lediglich die Zukunft von der Tyrannei der Realität und des Heute befreien.

      »Warum mir diese dunklen Zukunftsvisionen gefallen?« sagt R. U. Sirius: »Manchmal macht es eben Spaß, im Dunkeln zu spielen ...«

      In seinem Buchprojekt »How To Mutate & Take Over the World« (»Wie man mutiert & die Welt übernimmt«), dessen Fragmente er mir gestern zu lesen gegeben hat und die er und St. Jude in ein paar Wochen auch auf dem Internet veröffentlichten wird, tut er genau das genüsslich. Zusammen mit St. Jude schildert er im Rückblick aus dem Jahre 2001, was die neunziger Jahre der Welt gebracht haben und noch bringen werden.

      »Wir sampeln im Channel-Surfer-Stil moderne und postmoderne Philosophien von Marx und Bakunin bis zu Foucault und Donna Haraway. Darüberhaus behandeln wir philosophische Fragen des Gehirn-Fickens sowie magische und neue Techniken der Selbstprogrammierung«, sagt R. U. Sirius. »Und wir bieten viel harte technische Information, Outlaw-Wissen, das man sonst nur in anarchistischen Broschüren findet: Wie man sich in Bankkonten reinhackt, wie man sich in einer Hightech-Gesellschaft eine neue Identität besorgt, Dokumente fälscht, die eigene Wetware upgradet, wie man sich durch plastische Chirurgie verändert, Drogen anrührt, Spionage betreibt. Wir lehren die Kunst der Gehirnwäsche, vielleicht auch, wie man in der postindustriellen Gesellschaft Guerillakrieg führt. Lauter Lektionen für den modernen Cyberpunk. Inklusive einer Gebrauchsanweisung, wie man seinen eigenen faustischen Pakt schließt: Verhandlungstechniken für Verträge, bei denen man nicht verlieren kann. Kurzum, es wird das endgültige Selbsthilfe-Buch.«

      Wer R. U. Sirius zuhört, kann keinen Zweifel hegen: Wo einst Cyberland werden soll, überwiegt bis jetzt Cyberspaß. Die Vermählung von Literatur, Kunst und Philosophie mit Hightechnik produziert eine Wunschökonomie, in der die Wünsche der ästhetischen Avantgarde weitläufige Ziele setzen, denen die technische Elite bloß mit Trippelschrittchen folgen kann. In der Realität kennt das Reich des Cyber neben einer Menge harter Fakten auch viel heißen Dampf, statt Hard- oft Vaporware. R. U. Sirius findet das alles andere als störend.

      »Wenn wir uns wirklich etwas wünschen, haben wir eine ehrliche Intuition von dem, was einmal real sein wird«, sagt er. »Darin hatte Marx recht. Wir erkennen das Potential einer historischen Situation, und schon revolutionieren sich unsere Wünsche. Aber andererseits hatte auch Hegel recht: Wir entwickeln Ideale und versuchen dann, die Wirklichkeit der Idee entsprechend umzubauen. Was wir imaginieren, wird früher oder später Wirklichkeit. Das geht nicht immer ruckzuck.« R. U. Sirius zuckt mit den Achseln: »Im Augenblick haben wir statt einer Ökonomie, die Wünsche erfüllt, noch eine Ökonomie der Wünsche. Aber um sie herum bildet sich bereits eine ganze Kultur. Die Konzeption des evolutionären Sprungs, den wir durchmachen, beruht auf der Grundannahme, dass menschliche Arbeit

Скачать книгу