Zuhause wartet schon dein Henker. Franziska Steinhauer
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Читать онлайн книгу Zuhause wartet schon dein Henker - Franziska Steinhauer страница 14
»Gustav, das ist nichts für dich. Schau mal, ich weiß ja gar nicht, wie er es aufnehmen wird, wenn ich ihn besuche. Ich denke, ich war noch nie bei seinem Haus. Ben, du weißt schon, dein Tierarzt, hat erzählt, das gesamte Grundstück sei gesichert wie ein Hochsicherheitsgefängnis. Jürg habe ihm das berichtet, als er mit einem verletzten Eichhörnchen in seiner Praxis war. Es ist ziemlich weit von hier – besser, ich nehme das Fahrrad.«
Greta schlüpfte in einen warmen Pulli und zog eine wollene Jacke darüber. Überlegte dann kurz und suchte aus einer Kiste im Schrank ihren Schal heraus. »Handschuhe brauche ich wohl noch nicht. Aber jetzt, nach dem schrecklichen Unwetter, ist es ganz sicher ziemlich kalt. Wo habe ich denn meine Stirnlampe? Es ist so duster draußen, da reicht die olle Radfunzel nicht.«
Gustav hupfte in die Kiste und begann, an einer Mütze zu knabbern. Die alte Frau lachte, hob ihn heraus. »Gustav, das geht nicht. Nun sei nicht so verärgert, ich bin ja bald zurück. Weißt du was, ich lasse dir den Fernseher an, wir suchen einen Tierfilm. Die magst du doch.«
Als alles geregelt war, schwang Greta sich in den Sattel und trat kräftig in die Pedale.
Während sie von zwei wackeligen Lichtpunkten eskortiert durch die Nacht quietschte, dachte sie über den Tod des Pfarrers nach. Im Ort hatte es noch nie eine solch schändliche Tat gegeben. Prügeleien kamen schon mal vor – aber bisher musste noch niemand dabei sterben.
»Tja«, murmelte sie leise, »das ist die Sache mit der Erbsünde. Wir können sie ja nicht abstreifen, sie wird von Generation zu Generation weitergegeben, der Mensch hat also gar keine Chance, wirklich gut zu sein. Zumal nicht klar ist, wie viel Gutheit es bräuchte, um die Sünde in einem Einzelnen auszuradieren, wenn das tatsächlich möglich sein sollte, was ja längst nicht ausgemacht ist. Und was ist das überhaupt: Gut? An welcher Latte messen wir es – und welche Skala wird wohl am Tag des Jüngsten Gerichts gelten? Ist es gut, Hans zu warnen – oder wird es mir dereinst zum Verhängnis werden? Nichts Genaues weiß man nicht.« Sie keckerte in die Dunkelheit, schwankte um die nächste Ecke. Das Thema ließ sie jedoch nicht los, sie grübelte weiter. »Aber die Verantwortlichkeit bleibt natürlich auf der Strecke. Wenn es ererbt ist, dass ich sündigen muss, bin ich diesem Schicksal ausgeliefert. Hoffentlich weiß das niemand, sonst sperren wir die Bösen gar nicht mehr ein – weil wir nicht bestrafen können, wen keine Schuld trifft.« Bekümmert schüttelte sie den Kopf, entschied, diesen Punkt bestenfalls im Gespräch mit Gustav zu vertiefen.
Wenig später drückte Greta das Tor zu Hanssons Grundstück auf.
Alles still. Vielleicht, überlegte die alte Frau, ist ja nicht der Hof, sondern nur das Haus gesichert. Hinter den Fenstern brannte kein Licht. Sie schlich zur Tür. Kein Geräusch.
So viel also zu Jürgs Gerede! Hochsicherheitsgefängnis! Pah!
Ein Blick zum Stall – nur die Notbeleuchtung. Dort war er also auch nicht.
Vielleicht ist er mit den Hunden unterwegs, überlegte sie, die brauchen bestimmt Auslauf.
Solch große, lebenslustige Tiere wie seine nahmen es sicher übel, den ganzen Tag eingesperrt zu sein.
Sie beschloss, ihm eine Nachricht zu hinterlassen.
»Hallo Hans, sei auf der Hut. Arne war nicht das einzige, nur das erste Opfer! Ich bin sicher, du bist der Nächste, der sterben muss!«
Dann machte sie sich auf den Heimweg.
Erst als sie mit Gustav auf der Couch saß, mit der Dohle ein bisschen Gemüse und Obst teilte, fiel ihr ein, dass sie die Nachricht besser unterschrieben hätte. So klang der Text ja im Grunde wie ein Drohbrief.
»Oje, Gustav, da habe ich wohl einen Fehler gemacht. Der arme Hans wird annehmen, der Mörder sei schon bei seinem Haus gewesen und habe ihn bloß um Haaresbreite verpasst. Das werde ich gleich morgen in Ordnung bringen müssen!«
Gustav knabberte am Ohr der alten Frau, zwickte gelegentlich auch ein bisschen unsanft. Heute war es Greta egal.
8
Magda Lundquist saß auf dem Sofa im Wohnzimmer und träumte.
Das Leben der kleinen Familie hatte sich nach dem Einzug des Hundes, den Lisa und sie ertrotzt hatten, deutlich verändert. Der Kleine war ein wahrer Wildfang, immer für eine Überraschung gut, noch immer unwiderstehlich süß und er hatte die von Sven befürchtete Doggengröße nicht erreicht. Sie schmunzelte, während ihre Hand über sein seidiges Fell strich. Besonders Lisa hatte unglaublich von dem Tier profitiert.
Sie traute sich plötzlich, Menschen anzusprechen, hatte ihre Scheu vor Fremden abgelegt, kam leicht ins Gespräch mit Gleichaltrigen. Ein Hund als Kontaktanbahner. Wie wunderbar einfach das jetzt plötzlich ging. Und Lisa blühte auf. Mit dem Hund an ihrer Seite fühlte sie sich sicher.
Mit der Lisa, die nach dem Tod der Mutter verschreckt und unsicher geworden war, hatte das Mädchen nicht mehr viel gemein. Magda seufzte glücklich, kraulte den Hundling zwischen den Ohren, wurde mit einem zufriedenen Grunzen belohnt.
Das Telefon störte die Gemütlichkeit.
Zwei spitze Ohren drehten sich aufgeregt hin und her, große Knopfaugen sahen sie an.
»Ist schon gut. Kein Grund zur Sorge. Der Herr des Hauses ruft an.«
Mit einem lauten Seufzer legte der Kleine den Kopf wieder in Magdas Schoß zurück, als habe er ihre Worte verstanden.
»Wir haben einen neuen Fall. In Hummelgaard wurde der Pfarrer ermordet. Ich werde es nicht so bald nach Hause schaffen.«
»Oh, das ist wirklich schade. Wir haben es nämlich sehr gemütlich hier. Trocken, warm und kuschlig«, kicherte Magda. »Lisa kommt sicher auch gleich. Sie ist noch schnell zu deiner Mutter rübergelaufen, bringt ihr die Einkäufe vorbei, die wir für sie erledigt haben.«
»Wir haben es da nicht so angenehm. Im Unwetter standen wir neben einer Leiche. Inzwischen sind wir weitgehend getrocknet, aber eben nur unvollständig.«
»Jammern hilft nicht«, erklärte die Ehefrau nüchtern. »Du hast bestimmt irgendetwas falsch verstanden. Pfarrer werden nicht ermordet. Sie sind allseits beliebt und sterben hochbetagt eines natürlichen Todes!«
»Nun, wenn man jemandem einen geeigneten Gegenstand ins Herz stößt, stirbt er natürlich. Ob hochbetagt oder nicht«, räumte Lundquist ein.
»Hm. Lösen Pfarrersfamilien interne Konflikte nicht eher gewaltfrei?«
»Vielleicht ist es gar kein innerfamiliärer Konflikt gewesen, der zu seinem Tod geführt hat! Typisch. Du denkst natürlich gleich wieder an die mordende Ehefrau. Ist doch seltsam, dass ihr von eurem Geschlecht immer nur das Schlimmste annehmt«, ging er auf ihren leichten Konversationston ein, wurde dann aber wieder ernst. »Wir wissen noch nicht, wo wir den Täter suchen müssen. Bisher habe ich den Eindruck, größtenteils angelogen worden zu sein. Die einen erzählen uns, der Pfarrer gehörte zu den Guten, war vertrauenswürdig. Die anderen sind gar nicht gut auf ihn zu sprechen. Einige meinen gar, es wurde Zeit, dass ihn jemand aus dem Weg geräumt hat. In den Nachrichten bringen sie ganz bestimmt schon etwas über den Mord.«
»Du Ärmster. Ich bereite dir was Mikrowellentaugliches zum Essen vor. Dann kannst du es dir noch schnell heiß machen, wenn du nach Hause kommst.« Das Bedauern in ihrer Stimme tat ihm gut. Sie