Zuhause wartet schon dein Henker. Franziska Steinhauer
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Читать онлайн книгу Zuhause wartet schon dein Henker - Franziska Steinhauer страница 10
»Arne konnte also auch richtig nett sein.«
»Durchaus. Er nutzte seine Predigten, um geschickt das Denken der Leute zu manipulieren.«
»Gibt es jemanden, der wegen Arne ganz besonders verärgert war? In eine existenzielle Katastrophe geraten ist, zum Beispiel?«
»Ja, sicher. Ruth hat ihren Mann verlassen. Wegen eines nichtigen Grundes, nichts, was nicht aus der Welt zu schaffen gewesen wäre. Arne hat ihr eingeredet, selbst gekittet sei ihre Ehe nichts mehr wert. Heute lebt sie einsam und verbittert in einem Heim für Menschen mit ›mangelndem Lebensmut‹, du verstehst schon. Gunnar verlor sein gesamtes Vermögen, Larsson seinen Hof. Traurige Schicksale allemal. Allerdings würde ich bei einem Aktiengeschäft wohl nicht den Pfarrer um Rat gefragt haben.« Er zuckte mit den Schultern. »Von denen wohnt keiner mehr hier in der Nähe, haben ihre Zelte abgebrochen, keine Kontakte mehr in den Ort. Alle weg – so weit es ihnen nur möglich war.«
»Kannst du uns eine Liste …?«
»Klar.« Clemens griff nach Stift und Notizblock.
»Ich würde auch gern mal die Künstlerin besuchen.« Lundquist rieb sich die Hände, als sei ihm kalt. »Bisher haben wir überwiegend Schlechtes über Arne gehört. Da wäre es wichtig, auch der anderen Seite Raum zu geben.«
Clemens stemmt sich aus dem tiefen Polster hoch, legte einen zusätzlichen Scheit Birkenholz ins Feuer. »Kühl geworden. Rück ruhig ein bisschen näher an den Kamin ran. Ihr seid wohl schön nass geworden in Arnes Garten, wie?«
Er fiel wieder in die Couch zurück.
»Wie stand es um seine Ehe?«, schnitt Knyst ein neues Thema an.
»Ulrika war nicht glücklich an seiner Seite. Da half es auch nichts, dass sie seinen Wunsch nach Kindern brav erfüllte. Neben einem dominanten Mann mit cholerischem Temperament ist das Leben kein Zuckerschlecken. Immer wieder gab es Gerüchte. Er besuchte angeblich private Clubs in der Stadt. Kellerbordelle. Dann erzählte man sich, er sei mehrfach mit einer fremden Frau gesehen worden, in inniger Umarmung. Nicht leicht für Ulrika, das alles zu parieren. Schließlich war Arne nicht nur ihr Mann, sondern auch Pfarrer. Zuletzt wollte ihm jemand ein Verhältnis mit Hans andichten. Gerade jetzt, wo die beiden doch längst nicht mehr so eng befreundet sind, wie sie es mal waren. Die Kinder haben unter seinen Wutausbrüchen zu leiden gehabt. Das Getuschel über ihren Vater haben sie natürlich mitbekommen. In der Pubertät können Jugendliche mit so etwas nicht gut umgehen. Na ja. Insgesamt ein bisschen verkorkstes Familienleben, würde ich mal sagen. Normal für die Zeit, in der wir leben.«
Er begann ungelenk, einige Namen zu notieren.
Offensichtlich schrieb er nicht oft mit der Hand.
Vielleicht nutzt er für seine Briefe den Computer, überlegte Lundquist.
Zum Glück gibt es sogar Eingabehilfen – die ihm selbst irgendwann helfen würden, sollte die Multiple Sklerose sich zurückmelden. Er kniff sich in den Oberschenkel, zwang seine Gedanken zurück zum Fall.
»Hans und Arne waren gern in Göteborgs Kneipen unterwegs. Kennt ihr die Bee Bar in den Saluhallen? Am Kungstorget? Jeden Samstag ab 22 Uhr ist das Ding eine echte Schwulenbar. Ulrika hat das natürlich nicht gern gesehen, aber da dort auch Heteros mitfeiern können, hat sie auch das hingenommen. Aber ganz sicher nur zähneknirschend. Im Ort haben manche sie wirklich mitleidig angesehen. Die beiden Freunde sind im Sommer auch gern in der Drottninggatan zum Night-Fever gegangen und erst vor dem Frühgottesdienst nach Hause gekommen. Wie Arne dann eine sinnvolle Predigt abliefern konnte, ist mir unverständlich. Aber das war nicht meine Baustelle. Damit musste die Familie schon allein klarkommen.«
»Wie heißt das am Kungstorget? Bee Bar?«
»Ja. Der Schwulen-Club nennt sich BarBee. Die haben sogar ein Motto sowohl für den Club wie die Bar. ›Straight Friendly‹. Na ja. In letzter Zeit waren sie nicht mehr so oft miteinander unterwegs. Verstimmungen eben.«
Er riss das oberste Blatt vom Block und reichte es an Lundquist weiter. »So, das sind die Namen, die mir so auf Anhieb einfallen, weil die Folgen, die sie ertragen mussten, gravierend waren. Aber mal ganz ehrlich: Ich kann nicht glauben, dass einer von ihnen Mommsen tatsächlich umgebracht haben soll. Und schon gar nicht auf diese blasphemische Weise. Hier leben Menschen, die gottesfürchtig sind. Sie wissen, dass sie das Recht nicht in die eigenen Hände nehmen dürfen. Hier hofft man noch auf göttliche Gerechtigkeit.«
Ole und Britta saßen bei Linda Studentsborg am Feuer.
Der Früchtetee dampfte in den Tassen, leise Musik sorgte für Behaglichkeit.
»Oh ja. Arne war heute Nachmittag bei mir. Gegen halb drei würde ich meinen. Er ist nicht lang geblieben, die Liste für heute sei schier endlos, hat er behauptet.« Dabei nickte Linda heftig mit dem Kopf und ihre violetten Löckchen hüpften aufgeregt mit.
»Dann wirkte er bestimmt ziemlich gehetzt. Immer zu wenig Zeit für die Probleme, die man mit ihm besprechen will, nicht wahr?«, meinte Britta mitfühlend.
»Nun ja. Es ist, wie es ist. Immerhin hat es für eine Tasse Tee und ein paar von meinen selbstgebackenen Keksen gereicht.« Ole sah seinen Teepott nachdenklich an. Hatte Arne Mommsen seinen letzten Tee in diesem Leben aus dieser Tasse getrunken? Er fröstelte.
»Arne Mommsen ist tot.«
»Ach herrjeh! Es ist traurig, dass er sterben musste. Aber natürlich war er selbst schuld.«
»Selbst schuld?«
»Aber ja! Unvorstellbarer Leichtsinn bei so einem Wetter. Aber er dachte wohl, sein Chef passt auf, dass er nicht krank wird oder einen Unfall hat«, murmelte Linda leise. »Aber der hat wohl heute anderswo seine Schäfchen gehütet. Arne jedenfalls wurde nicht vor dem Tod bewahrt. Es ist ja so schnell nachtschwarz geworden – und Arnes Lampe war defekt.«
»Nun, Pfarrer Mommsen wurde gewaltsam zu Tode gebracht. Man hat ihn ermordet.«
Linda sah Britta verständnislos an. Runzelte dann die Stirn und schwenkte vorsichtig ihren Tee, schnupperte diskret, prüfte, ob etwas darin war, das nicht hineingehörte. Womöglich hat mein unberechenbarer Sohn als Scherz eine seiner halluzinogenen Drogen unter die Kräuter und Blüten gemischt, mutmaßte Linda. Jørgen war in einem schwierigen Alter. Er fand so etwas umwerfend komisch.
»Wir haben ihn im Garten seines Hauses gefunden.«
»Ach.« Vielleicht war das Zeug in der Teedose ungünstig verteilt gewesen, überlegte Linda weiter, ich merke nichts, aber die arme Polizistin hat es ziemlich erwischt, steht zu befürchten. Bestimmt wird ihr Kollege schnell merken, dass sie wirres Zeug redet und sie nach draußen begleiten.
»Es gibt einen Mörder in Hummelgaard!« Britta bemühte sich nach Kräften, zu Lindas Denken vorzudringen. »Hast du noch nichts davon gehört?«
»Nein!« Die Dame des Hauses versuchte zu begreifen, dass diese ungeheuerliche Neuigkeit wahr sein sollte. »Du meinst, er war hier und ist dann zuhause seinem Mörder in die Arme geradelt? Warum sollte jemand ihm so etwas antun?«
»Das würden wir gern herausfinden.«
»Er war ein so schöner Mann, weißt du? Bestimmt hätte er dir auch gefallen.