Zuhause wartet schon dein Henker. Franziska Steinhauer
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Читать онлайн книгу Zuhause wartet schon dein Henker - Franziska Steinhauer страница 6
»Ich habe eine Bekannte, bei der sieht es auch so aus. Journalistin. Natürlich sammelt auch sie Material zu allen möglichen Themen. Das muss man dann lagern. Wegwerfen ist schwierig, denn du brauchst es vielleicht ausgerechnet morgen – und dann ist es nicht mehr da. Also wird gehortet. Mehr oder weniger systematisch. Manchmal zieht sie mit dem Laptop ins Wohnzimmer um, weil sie gar keine freie Fläche mehr auf dem Schreibtisch finden kann.«
»Ich brauche Ordnung. Bloß gut, dass Gitte nicht auch aus Recherchegründen alles Mögliche zusammenträgt. Kannst du dich noch an Lätta erinnern? So eine Wohnung hatte ich vorher noch nie gesehen.«
»Lätta war krank. Sie konnte sich ja von gar nichts trennen, nicht einmal von leeren Thunfischdosen. So schlimm war es bei Arne nun auch wieder nicht.«
»So viel Zeug – und doch konnte man nirgendwo die Person entdecken. Eigenartig, nicht?«
»Du meinst, er versuchte sein Selbst hinter all den Papieren und Büchern zu verstecken? Möglich. Der Laptop kennt sicher ein paar seiner Geheimnisse. Und vielleicht können wir bei dem Gespräch mit Hansson etwas über ihn in Erfahrung bringen«, meinte Lundquist hoffnungsvoll.
Hans Hansson wohnte am Rand des Dorfes.
Sein Häuschen balancierte in sonderbar gebückter Haltung auf einem Felsen, wirkte, als versuche es verzweifelt, nicht über den Rand zu stürzen.
Im Licht der Scheinwerfer erkannten Lundquist und Knyst einen Fahnenmast, an dem ein zerfetztes Hemd mit hellen und dunklen, breiten Blockstreifen wehte.
»Scherzbold, wie?«, murmelte Lundquist gereizt.
»Anstaltskleidung wie bei der Olsenbande. Trotz oder Triumph? Wir werden ihn fragen«, grinste Knyst.
»Ich denke auch, wir werden sicher erfahren, was es mit diesem flatternden Statement auf sich hat.« Sven stieg aus, suchte am Tor nach einem Namensschild und einer Klingel. Fand weder das eine noch das andere.
»Das funktioniert auch nur in solch kleinen Orten. Stell dir vor, wie verzweifelt der Postbote bei uns in Göteborg wäre, wenn keiner seinen Namen an der Klingel stehen hätte.« Lars lachte leise. »Am Ende nicht einmal mehr eine Klingel! Keiner bekäme mehr Päckchen oder Pakete. Wie trostlos Weihnachten wäre!«
Er drückte das Tor auf.
Und schon lösten die beiden unerwarteten Besucher ein beeindruckendes Spektakel aus!
Ein durchdringender Heulton erfüllte die Luft, Licht erhellte das Grundstück, als brenne die Mittagssonne darauf. Hundegebell, dunkel und drohend, war von den Stallungen her zu hören, zornig und angriffslustig.
»Hans Hansson hat offensichtlich ein besonders stark ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis«, stellte Sven beeindruckt fest. »Fragt sich, vor wem er sich so sehr fürchtet.« Als er aufsah, entdeckte er die imposante Gestalt des Hausbesitzers vor dem Eingang. Groß und üppig füllte er den Türbereich fast vollständig aus, die deutlich zu kurze Hose wurde von breiten Hosenträgern gehalten, die Totenköpfe zierten, das T-Shirt hatte seine Farbe längst eingebüßt und die nackten Füße steckten in pinkfarbenen Gummischuhen. Um den runden Kopf hatte er ein Tuch mit Piratenmuster geschlungen, die blonden Haare lugten dennoch an verschiedenen Stellen hervor. Offensichtlich hatte er die letzten Worte gehört.
»Hans Hansson fürchtet nichts und niemanden!«, stellte der Mann polternd klar und übertönte mit seinem Bass mühelos den Alarmton. »Schon gleich gar nicht die Polizei!«
»Stimmt, wir sind von der Polizei Göteborg. Dann bist du also Hans Hansson. Wir sind hier, weil heute der Pfarrer von Hummelgaard tot aufgefunden wurde.«
»Was? Arne Mommsen ist tot?« Die Daumen glitten unter den Hosenträgern heraus, die Arme baumelten an den Seiten herab, der Mund blieb offen stehen, die Augen weit und rund starrten den Überbringer dieser Neuigkeit ungläubig an.
So viel Fassungslosigkeit ist nicht leicht vorzutäuschen, dachte Lundquist im Stillen. Laut sagte er: »Ja, ermordet.«
»Was soll das? Ihr wollt mich verarschen, oder? Der war heute Nachtmittag noch hier. Da ging es ihm gut genug für einen Disput. Engstirnig wie immer.« Er stockte. Sah verwirrt in die fremden Gesichter. »Und nun ist er tot?«
Die beiden Ermittler zückten ihre Ausweise.
»Ja. Er ist tatsächlich tot. Jemand hat ihn umgebracht.«
»Warum? Also, er war kein einfacher Charakter, aber das sind viele nicht. Man kann die ja nicht alle aus dem Weg räumen. Die Welt wäre dann so gut wie entvölkert!«
»Wir versuchen herauszufinden, warum er sterben musste«, brüllte Sven über den Alarm.
Hansson studierte im gleißenden Licht die Dienstausweise, nickte dann. Lundquist fragte sich, ob der Hüne überhaupt etwas hatte erkennen können.
»Wartet mal.« Der Mann drehte sich um und verschwand im Haus.
Schaltete die Warnanlage ab.
Die Stille, die sich plötzlich ausbreitete, fühlte sich watteweich an, alle Geräusche wurden von den Ohren überdeutlich wahrgenommen. Ein Vogel landete krachend im Gebüsch, vermutlich ein Rückkehrer, den Lärm und Licht in die Flucht geschlagen hatten.
Fliegen dröhnten unter dem Licht über der Eingangstür, die Holzdielen schrien gequält auf, als die beiden Hans ins Haus folgten.
»Na los! Kommt mit in die Küche!«, forderte der Hausbesitzer und es klang wie Donnerhall. »Immer geradeaus. Setzt euch oder nicht, ist mir gleich. Aber ich muss in der Zwischenzeit was kochen.«
Auf der Anrichte lag ein Durcheinander verschiedener Fleischstücke. Gurgel war auch dabei, Leber, Lunge. Schweineund Rindfleisch, vielleicht auch Stücke von Schaf oder Ziege. In einer Emailleschüssel schwammen zwei Nieren in Wasser. Lundquist schauderte.
Hans band eine schmutzige Schürze um seine prominente Körpermitte und griff nach einem offensichtlich sehr scharfen Messer mit langer Klinge, das mühelos durch das Fleisch glitt. Geschickt hantierte er damit, routiniert, schweigsam.
Mit der Linken packte er einen Batzen, schnitt Würfel zurecht.
»Hundefutter. Meine Jungs sind an dem Zeug aus der Dose nicht interessiert. Diese Pampe aus Restfleisch, das du niemandem mehr andrehen kannst und das nicht mal mehr zur Leberwurst taugt. Bei mir kriegen sie was Richtiges zwischen die Zähne.« Er umschloss mit der Pranke eine Handvoll der Würfel, warf sie in einen Topf.
Es zischte laut.
»Auf Gewürze stehen sie, Salz weniger. Ist ungesund. Manchmal kriegen sie Leber hinein, manchmal frisches Gemüse. Die Natur hat den Hund nicht als Möhrchenknabberer konzipiert. Ich sorge für Abwechslung – und meine Jungs sind rundum gesund.«
»Wir haben gehört, es gab in der letzten Zeit Streit zwischen dir und Arne Mommsen.« Lundquist setzte sich auf einen dreibeinigen Hocker, hatte Probleme damit, seine Beine in der Enge der Küche so zu platzieren, dass er dem Futterkoch nicht in die Quere kam.
»Ich weiß schon, wer euch das erzählt hat. Ulrika.