Verlorene Zeiten?. Группа авторов

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– nicht mehr, aber auch nicht weniger. Zusammen gelesen treten sie in einen spannungsreichen Austausch, sie scheinen sich zu ergänzen und zu widersprechen, zu konterkarieren und zu relativieren. Das Urteilen überlassen wir bewusst den Leser_innen – unsere Aufgabe sehen wir nicht darin, Lebensgeschichten zu bewerten, sondern Lebensgeschichten zunächst einmal zu generieren und nachvollziehbar zu machen.

      Wir möchten allen danken, die zum Gelingen dieses Buches beigetragen haben: Zunächst natürlich unseren Interviewpartner_innen für ihre Zeit und das Vertrauen, das sie uns entgegen gebracht haben; außerdem unseren Mitautor_innen für ihr Engagement und ihre Geduld im Redaktionspro- zess. Besonderen Dank schulden wir Claudia Beier, Stefanie Borgmann, Steffi Kühnel, Martha Krüger und James McSpadden für die Transkription der Interviews. Uwe Sonnenberg half mit Rat, Tat und weiterführenden Kontakten. Schließlich gilt unser Dank der Hans-Böckler-Stiftung, die eine der Her- ausgeber_innen mit einem dreimonatigen Stipendium unterstützte.

      Cornelia Siebeck, Alexander Thomas,

      Alexander Schug

       1 Hans Rau: Vorbereitung von Studienreisen in die DDR, in: Materialien zur Politischen Bildung. Analysen, Berichte, Dokumente 1 (1985), S. 85.

       2 Zehn Gebote zum Umgang mit den anderen Deutschen, in: Werner Filmer/Heribert Schwan: Alltag im anderen Deutschland, Düsseldorf 1985, S. 325-330.

       3 Per Ketmann/Andreas Wissmach: Anders Reisen DDR. Ein Reisebuch in den Alltag, Reinbek bei Hamburg 1986, S. 15 ff.

       4 Zur ,Erfahrungsgeschichte‘ und deren Verhältnis zur Sozial- und Ereignisgeschichte vgl. klassischerweise Lutz Niethammer: Fragen – Antworten – Fragen, in: „Wir kriegen jetzt andere Zeiten“. Auf der Suche nach der Erfahrung des Volkes in nachfaschistischen Ländern. Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet 1930-1960, Bd. 3, Berlin/Bonn 1985, S. 392-445.

       5 Alf Lüdtke: Geschichte und Eigensinn, in: Berliner Geschichtswerkstatt (Hg.): Alltagskultur, Subjektivität und Geschichte. Zur Theorie und Praxis von Alltagsgeschichte, Münster 1994, S. 139-153, hier S. 146.

       6 Karl Marx: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte (1852), in: Ders./Friedrich Engels: Gesammelte Werke, Bd. 8, Berlin (Ost) 1960), S-111-207, hier S. 115.

      Karl J. Beuchel

      „… obwohl ich mir im Klaren war, dass man so nicht bauen darf.“ - Karl J. Beuchel, geboren 1928

      Karl Joachim Beuchel wurde 1928 in Chemnitz geboren, und dieser Stadt hat er sich später als Architekt ein ganzes Berufsleben lang gewidmet. Mitten in der Ausbildung zum technischen Zeichner musste der 16jährige 1944 zunächst an die Front. Als er von dort zurückkehrte, lag das Sächsische Manchester‘ nach Flächenbombardements auf Wohn- und Industriegebiete in Trümmern. Beuchel entschied sich, Architektur zu studieren. Zwischen 1964 und 1984 war er maßgeblich am Wiederaufbau seiner Geburtsstadt beteiligt, davon zehn Jahre lang als Stadtarchitekt – eine durch und durch politische Position. Architektur und Städtebau waren in der DDR zutiefst ideologisierte Themen: Sinnbildlich stand Architektur für die ästhetische Übersetzung gesellschaftlicher Visionen. Die Städte sollten von Zukunft und Sozialismus künden, die Arbeiter vom viel geschmähten ,Mietskasernenelend‘ der Vorkriegszeit befreit werden.

      In einem Karl-Marx-Städter Reiseführer von 1974 werden die immense Aufbauleistung und die ökonomische Bauweise in den Vordergrund gerückt. Pathetisch ist die Rede von einem „Suchen der Architekten nach neuen Ausdrucksformen“, von der Aufgabe, „das Zukunftsbild einer sozialistischen Großstadt zu entwerfen“. 1 Heute nennt sich Chemnitz zwar stolz ,Stadt der Moderne‘ – die das moderne Stadtbild prägende Fülle an sozialistischer Repräsentationsarchitektur wird im Stadtmarketing jedoch ebenso wenig hervorgehoben wie die umfangreichen DDR-Neubaugebiete. Stattdessen wirbt man mit Bauhaus und Jugendstil, mit Gründerzeitarchitektur und dem Schloss. 2 Die kulturelle Wahrnehmung des Stadtbildes hat sich offenbar radikal geändert. Wie aber blickt der ehemalige Stadtarchitekt auf diese neuen Realitäten und seine früheren Ambitionen zurück?

      Selbst in einem Neubaugebiet der DDR aufgewachsen, frage ich mich, ob man die ewig gleiche Architektur der Platte jemals als schön empfinden konnte. Beuchel hat 2006 einen kritischen Rückblick auf die Karl-Marx-Städter Baugeschichte veröffentlicht. 3 Mich interessierten nach der Lektüre seine persönlichen Erinnerungen und Reflexionen über seine Tätigkeit als Architekt in der DDR. Ich treffe Karl J. Beuchel in einem Café in der Chemnitzer Innenstadt. Ich merke schnell: Privates werde ich von ihm kaum erfahren. Dafür spüre ich umso mehr von der Leidenschaft, mit der er über seinen Beruf spricht. Auch wenn er diesen nicht immer in vollen Zügen genießen konnte …

      „Steht unser Haus noch?“

      Als Erstes möchte ich Sie fragen, aus welchem Elternhaus Sie kommen?

      Mein Vater war von Beruf Tischler. Meine Mutter hatte keinen gelernten Beruf, hat aber als Näherin gearbeitet. Beide waren lange Zeit arbeitslos, in der Zeit von 1933 bis 1940. Sie haben mir aber trotz der finanziellen Lage jede Gelegenheit geboten, mich weiterzubilden, umzuschauen und interessante Menschen kennen zu lernen. Ich selbst konnte nur acht Jahre die Volksschule besuchen. Für das Gymnasium hatten meine Eltern kein Geld.

      Welche Ausbildung haben Sie anschließend gemacht?

      Ich begann 1942 eine Lehre als Schlosser. Das war mir eigentlich gar nicht so sympathisch. Schon von klein an hatte ich mich lieber mit Zeichnen und Malen beschäftigt; ich hätte gerne eine Ausbildung zum Zeichner oder eine andere künstlerische Ausbildung gemacht. Aber dafür wurde der Abschluss eines Gymnasiums verlangt. So blieb nur eine Ausbildung übrig. Ich hab’ zwar als Lehrling wenig verdient, aber immerhin hat das meiner Familie geholfen, über die Strecke der Arbeitslosigkeit hinwegzukommen. Das war schon wichtig. Außerdem hatte ich bald Glück: Im Betrieb gab es einen Konstrukteur, der feststellte, dass ich gerne zeichnete. Und da hat er zu dem Chef des Betriebes gesagt: „Können wir nicht den kleinen Beuchel mit in mein Büro hochnehmen, der zeichnet gern. Vielleicht könnte er mich unterstützen als technischer Zeichner.“ Das hat mich natürlich mächtig begeistert!

      Sie sind Jahrgang 1928. Mussten Sie noch in den Krieg?

      Ja, natürlich. 1944 wurde ich nach Ostpommern verfrachtet, um dort meinen Reichsarbeitsdienst 4 abzuleisten. Anschließend kam ich nach Torgau zu einer militärischen Spezialisierung als Funker. Ich war 16 Jahre alt, ein junger Mensch. Ich hatte keine Ahnung, was mich nach dieser Ausbildung erwartet … Im Januar 1945 wurde ich schließlich als Grenadier an die Oder-Neiße-Front verfrachtet. Als Funker kam ich in die vordersten Stellungen, musste dort die Geschosse der Artillerie leiten. Da war ich natürlich auch allen Problemen ausgesetzt, die damals so im Krieg üblich waren. Mit 16 Jahren! Das waren schlimme Erfahrungen, die ich dort gemacht habe. Mehr oder weniger neben mir starben meine Soldatenkollegen. Dazu kam, dass unsere Kompanie in eine SS-Kompanie integriert wurde, eine Panzerdivision namens ,Großdeutschland‘. Das war eine ganz schlimme Zeit. Wir wurden dort mehr oder weniger verheizt. Und das war auch der Grund, weshalb ein Soldat und ich uns überlegten, diesem Schlamassel zu entrinnen. Wir sind dann desertiert.

      Wie gelang es Ihnen zu desertieren?

      Wir haben im April 1945 mehr oder weniger über Nacht die Front verlassen und sind mit vielen Umwegen durch die Tschechei gegangen. Dort verschafften wir uns Zivilkleidung. Die Menschen, die da wohnten und bei denen wir auch übernachteten, haben uns sehr freundschaftlich aufgenommen und verpflegt. Und eines Tages, als wir gerade auf dem Weg zur Elbe waren, überholte uns die Rote Armee. Als festgestellt wurde,

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