Verlorene Zeiten?. Группа авторов

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verlief Ihr Studium in Leningrad?

      Die Ausbildung auf dem Gebiet der Städtebausoziologie erfolgte in vielen Gegenden der damaligen Sowjetunion. Soziologische Probleme wurden nicht nur im eigentlichen Russland behandelt, sondern auch in ehemaligen Teilrepubliken wie Kasachstan, Usbekistan oder Kirgistan. Ich bekam eine Kommandirovka: Man wurde also in bestimmte Gebiete der Sowjetunion ,kommandiert‘. Dort konnte ich soziologische Studien anstellen und mit unterschiedlichsten Menschen umgehen. Hab’ auch den Islam kennen gelernt im vorderen Orient. Ich habe in der Sowjetunion an Lebenserfahrung enorm dazu gewonnen. Leider war es so, dass ich diese Ausbildung nicht abschließen konnte. 1958 starb meine Frau, die in Karl-Marx-Stadt geblieben war. Also musste ich sofort zurück, um meine drei Söhne zu betreuen. Ich hatte keinen Arbeitsplatz, das war ja alles so plötzlich verlaufen. Da alles so schnell über mich kam, habe ich auf der Großbaustelle des Heizkraftwerkes Karl-Marx-Stadt-Nord angefangen. 1960 kam ich schließlich zum Bezirksbauamt als stellvertretender Bezirksarchitekt. Dort war ich unter anderem verantwortlich für die Gebietsplanung im Bezirk Karl-Marx-Stadt.

      „… ein Wohngebiet so bauen, dass die Menschen sich dort wohl fühlen.“

      Wie sah es Anfang der 1960er Jahre baulich in Karl-Marx-Stadt aus?

      Seit dem Krieg waren einige Häuser am Rande des Zentrums wieder aufgebaut worden, aber im eigentlichen Stadtzentrum war noch nichts passiert. Erst 1959 war ein Politbürobeschluss des ZK der SED für den Wiederaufbau des Stadtzentrums gefasst worden. Bis 1960 hatte sich da wenig getan. Es gab kaum finanzielle und materielle Baukapazitäten, und außerdem fehlte es an den Planungsvoraussetzungen. 1964 kam eines Tages der Bezirksbaudirektor und meinte, es werde einer gesucht, der die Planung und Baudurchführung für den Wiederaufbau des Stadtzentrums macht. Das interessierte mich, und so kam ich in die Stadtverwaltung von Karl-Marx-Stadt – als Stellvertreter des Oberbürgermeisters, Stadtbaudirektor und Stadtarchitekt. Damals hatte ich bald 120 Mitarbeiter, was schon eine ziemliche Verantwortung war.

      Haben Sie jemals überlegt, in den Westen zu gehen, so wie Ihre beiden Professoren?

      Nein, überhaupt nicht. Ich hatte hier meine Heimat, war mit der Stadt verbunden. Ich hatte meine Familie hier. Das war von vornherein kein Thema. Aber ich war einmal in West-Berlin zu einer großen Bauausstellung. (Überlegt) 1958 muss das gewesen sein. Da war ich nicht delegiert, sondern aus eigenem Interesse. Das war mehr oder weniger illegal, und das hat man mir dementsprechend sehr übel genommen. Aber ich wollte die Ausstellung sehen, ich wollte wissen, wie man dort baut! Mir war klar, dass das Konsequenzen haben würde. Das Ministerium für Staatssicherheit hat mich danach auf seine Liste gesetzt. Ich wurde als ,nicht mehr zuverlässig‘ registriert, und von da an ständig unter Beobachtung gehalten.

      Wussten Sie, dass Sie auf dieser Liste der Stasi standen?

      Das wusste ich. Das waren einfach Erfahrungen, die man sammelte. Später, 1965, kamen zum Beispiel Leute zu mir in die Wohnung – unangemeldet. Haben mir erklärt, ich sei in West-Berlin gewesen, und das wäre illegal, ich hätte gegen gesetzliche Regelungen verstoßen und dergleichen. Ob ich das nicht wieder gut machen möchte? – „Sie könnten bei uns tätig sein.“ Ich habe abgelehnt, habe gesagt: „Ich bin Fachmann, kein Politiker. Ich bin nicht geeignet für solche Dinge.“ Auch das hat man mir übel genommen. Ich habe ja damals auch sehr gegen die industrielle Bauweise protestiert, die einheitlichen Typen der Plattenbauweise. Das war aber nach Meinung der Stasi gegen die Ökonomie, gegen den Fortschritt. Da wurde ich immer wieder gemaßregelt

      Wie muss man sich diese Maßregelung vorstellen?

      Das neue Wohngebiet ,Fritz Heckert‘ 8 in Karl-Marx-Stadt entstand damals unter meiner Federführung. Wir hatten einen DDR-offenen Wettbewerb veranstaltet. Da kamen sehr interessante Ergebnisse zustande, die ich mir zu Eigen machte. Ich war der Meinung, man kann zwar industrielle Plattenbauweise machen, aber nicht in der Form, dass man die Häuser alle hintereinander reiht, sondern die Bauwerke so anordnet, dass bestimmte wohnliche Einheiten entstehen. Ich wollte zum Beispiel auch mal die Fassadengestaltung und Geschossigkeit variieren. Aber selbst die Gebäudetypen waren einheitlich von Berlin vorgegeben: Nur 6- und 11-Geschosser! Dagegen habe ich mich aufgelehnt. Ich war der Meinung, man muss ein Wohngebiet in einer Weise bauen, dass die Menschen sich dort wohl fühlen. Deshalb wurde ich zur Bezirksleitung der SED bestellt, wo mir deutlich gemacht wurde, dass es darauf ankäme, möglichst rationell und schnell viele neue Wohnungen zu bauen und das Wohnungsproblem 9 zu lösen.

      Wodurch konnte das ,Fritz Heckert’-Gebiet schließlich realisiert werden?

      Nachdem die Ergebnisse des Wettbewerbes abgelehnt und die Durchführung verboten worden war, wandte ich mich an das Ministerium für Bauwesen und an die Bauakademie der DDR. Dort fand ich offene Ohren. Hermann Henselmann, 10 der an der Bauakademie tätig war, wurde beauftragt, mit uns in Karl-Marx-Stadt eine Studie für das Wohngebiet ,Fritz Heckert’ zu erarbeiten. Wolfgang Junker, 11 damals Minister für Bauwesen, kam nach Karl-Marx-Stadt, hat sich die Studie angeguckt und schließlich eine Beratung im Sekretariat der SED Bezirksleitung veranlasst. Professor Henselmann und ich wurden hinbestellt, wo man uns klarmachte, dass mit dieser Studie auch Änderungen der Wohnbautypen verbunden wären. Und das werde nicht genehmigt: Das sei unökonomisch und die Anwendung der vorgegebenen Typen verbindlich.

      War der Einwand der Unwirtschaftlichkeit denn berechtigt?

      Ganz im Gegenteil: Wir konnten nachweisen, dass mit unserer Studie 25 Millionen Mark gegenüber ursprünglichen Planungen eingespart werden können! Aber das spielte keine Rolle: Die normierten Typen waren entscheidend. Das veranlasste in dieser Sekretariatssitzung den doch recht bekannten und anerkannten Architekten Hermann Henselmann zu sagen, die Berliner Typen müssten abgelöst werden. Das hat man ihm sehr übel genommen. Mir blieb lediglich übrig, doch so zu bauen, wie vorgegeben. Ich hatte keine Wahl. Aber da ich mich hinter diese Studie gestellt hatte, spürte ich immer wieder, dass Leute hinter meinem Rücken tätig waren, mich beobachteten. Schließlich kam ich dahinter, dass mein Stellvertreter, der mit mir ständig zusammengearbeitet hatte, als IM des Ministeriums für Staatssicherheit tätig war.

      „Diese Zeit war fürchterlich!“

      Hat Ihr Stellvertreter Ihnen von sich aus von seiner Spitzeltätigkeit erzählt?

      Es hatten sich Leute aus Berlin angemeldet. Und mir war klar, das waren nicht Leute vom Bauwesen, sondern vom Ministerium für Staatssicherheit. Ich hatte die Möglichkeit, diesem Gespräch auszuweichen, indem ich in der Stadt plötzlich eine Sache in Ordnung bringen musste, etwas, was schief gelaufen war in einer Baudurchführung. Deswegen beauftragte ich meinen Stellvertreter, das Gespräch wahrzunehmen. Als ich mich dann hinterher erkundigte, was die Leute wollten, da stellte sich heraus, das die etwas miteinander zu tun hatten. Er hat mir damals gestanden, dass er mit denen schon mal Kontakt gehabt hatte. Nach der Wende habe ich dann in meinen Stasiunterlagen nachlesen dürfen, wie das im Detail vor sich gegangen ist: dass er beinahe jede Woche einen Bericht nach Berlin geschickt hat. Insofern spitzte sich das alles immer mehr zu. Diese Zeit war fürchterlich!

      Hat man Ihnen damals auch in irgendeiner Form gedroht?

      Ich hatte eines Tages im Winter 1982/83 ein Schreiben bekommen vom Ersten Sekretär der SED-Bezirksleitung, in dem mir mitgeteilt wurde, dass ich mich im Ministerium für Staatssicherheit melden sollte. Ich bin dann zum Ersten Sekretär der Bezirksleitung gegangen und wollte wissen, worum es da geht. Da wurde mir mehr oder weniger deutlich gesagt, dass es für mich um eine Änderung meiner Tätigkeit gehe. Daraufhin informierte ich den Oberbürgermeister darüber. Dieser teilte der SED-Bezirksleitung mit, ich hätte so viele Verdienste um die Stadt, dass es einfach nicht gängig sei, mich auf diese Art und Weise von meiner Funktion zu entbinden. Er hatte der Bezirksleitung erklärt, dass er nicht zulassen wird, dass ich abgelöst werde.

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