Verlorene Zeiten?. Группа авторов

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hab’ ich bis 1986 gemacht, dann kam der Oberbürgermeister und sagte: „Wir müssen für das Klinikum Küchwald in Karl-Marx-Stadt einen neuen OP-Trakt bauen, die Bettenhäuser sanieren und vieles mehr. Da wird einer gebraucht, der das kann.“ Also wurde ich weggeholt und kam wieder zurück zur Stadtverwaltung, um das Klinikum zu sanieren. Als 1989 im Sommer alles soweit fertig war, gab es eine Einweihungsfeier, wo bestimmte Leute eingeladen waren. Mir wurde die Liste gezeigt, und da stand Siegfried Gehlert – das war der Bezirkschef des MfS in Karl-Marx-Stadt. Da habe ich den Chefarzt gefragt, weshalb der Gehlert hier eingeladen ist – was hat der denn mit dem Klinikum zu tun? Er hat mir gesagt, das ist der Auftraggeber für die Sanierung und den Neubau. Das wusste ich bis dahin nicht.

      Sie meinen, Sie wurden mit der Absicht, Sie unter Kontrolle zu halten, mit den Klinikumbauten beauftragt?

      Offensichtlich. Zu dieser Einweihung bin ich dann nicht gegangen. Als die Wende kam, habe ich dann meine Tätigkeit in der Stadtverwaltung sofort quittiert und mich selbstständig gemacht. Ab 1990 war ich als freiberuflicher Architekt tätig.

      War die Wende so etwas wie eine Erlösung für Sie?

      Ja, das war wie eine Erlösung. Jetzt ist die Last weg, der Druck, die Probleme mit denen man ständig konfrontiert war. Aber die Selbstständigkeit als freier Architekt brachte natürlich viele neue Probleme mit sich. Man war ja bisher gewohnt, nach TGL 14 zu bauen und zu planen. Wir kannten die DIN-Norm nicht. Auch die Städtebaugesetze waren völlig anders. Die Bauordnung, die uns übergestülpt wurde, war für uns völliges Neuland.

      Konnten Sie nun Vorstellungen umsetzen, die vorher in der DDR nicht möglich waren?

      Zum Teil schon, erfreulicherweise. Ich hab’ mich auch nach der politischen Wende sehr für den Umbau des Stadtzentrums eingesetzt und war erfreut, dass es doch möglich ist, mit Materialien zu arbeiten, die es zu DDR-Zeiten nicht gab. Dass auch finanziell die Nöte in dieser Form nicht vorhanden waren. Mit der Zeit wurde es aber schwieriger: Die Investoren, die aus den westlichen Bundesländern kamen und hier bauten, brachten ihre eigenen Planer mit. Für die hiesigen Planer blieb dann immer weniger übrig. 1996 habe ich mich dann aus Altersgründen zur Ruhe gesetzt. Aber ich bin heute noch tätig als Berater der Stadt: Die Chemnitzer Stadtplanung legt großen Wert darauf zu hören, was der Beuchel für eine Meinung vertritt.

      „Aber ich habe mir eben gesagt, die Zeit war damals so.“

      Sie sagten bereits, dass Sie Ihre Stasi-Akten eingesehen haben. Können Sie etwas mehr davon erzählen?

      Ich habe schon 1990 den Antrag gestellt. Nach vier Wochen bekam ich dann einen Anruf: „Die Unterlagen sind da, Sie können kommen, aber Sie müssen viel Zeit mitbringen.“ Da wurde dann ein Riesenstapel Akten auf den Tisch gestellt. Ich hatte tagelang zu tun, darin zu lesen und war erschrocken, was da so alles zu Tage kam. Abgesehen von meinem Stellvertreter, der die Berichte geschrieben hatte, gab es noch mehrere Mitarbeiter in meinem Verantwortungsbereich, die als IM auf mich angesetzt waren. Von denen ich das nie gedacht hätte! Das war schockierend.

      Haben Sie die Leute, von denen Sie bespitzelt wurden, jemals darauf angesprochen?

      Nein. Es ist aber auch keiner von denen zu mir gekommen. Das war ein riesiger Schock, den ich da erlitten hatte. Aber ich habe mir dann gesagt, die Zeit war damals so. Mancher ist da reingestolpert als inoffizieller Mitarbeiter, hat Geld bekommen, ist dadurch möglicherweise korrumpiert worden – was weiß ich. Ich möchte da keinen Vorwurf machen, weil das ganz schnell gehen konnte, dass man in so eine Sache hineingerät, in die Fänge einer solchen Einrichtung, aus denen man nie wieder herauskommt.

      Welches Bild haben Sie heute im Nachhinein von der DDR?

      Ich sehe heute die DDR anders als früher. Der Staat DDR hat sich von einem Staat des Sozialismus, von den eigenen Idealen, immer mehr entfernt. Ist immer mehr zur Bürokratie und Diktatur gewandert. Die Parteidoktrin und die staatliche Hierarchie wurden immer straffer und ließen immer weniger Möglichkeiten zu. Meine Ideale, die ich ursprünglich hatte, sind immer mehr abgebröckelt. Heute staune ich über mich selber: „Mensch, wie du das so lange durchgestanden hast.“ Aber das war eben die Zeit damals. Man konnte nicht anders …

      Wie denken Sie mittlerweile über den Sozialismus, an den Sie ja einmal geglaubt haben?

      Vor ein paar Jahren wurde das Karl-Marx-Monument hier in Chemnitz eingehaust, das war eine Kunstaktion. Ich wurde gebeten, über meine Auffassung zu dem Monument und zur Gestaltung der Stadt zu sprechen. Ich hab’ dort in der Öffentlichkeit meine Meinung vertreten, nämlich dass Karl Marx doch eigentlich eine Lehre entwickelt hat, die den Kapitalismus in gewisser Weise bloßgestellt hat. Aber er hat diese Lehre nicht zu Ende gedacht. Er hat nicht gesagt, was nach dem Kapitalismus kommen soll. Das war eigentlich auch der Grund, weshalb die DDR nicht funktioniert hat. Das, was Lenin und andere aus der Lehre gemacht haben, war nicht das, was Marx eigentlich wollte. Schon das war der Grundstein für den Untergang des Sozialismus.

      Empfinden Sie ihr Leben in der DDR rückblickend als verlorene Zeit‘?

      Nein. Ich bin in der DDR aufgewachsen, hatte meine Familie dort, habe meine Ausbildung genossen. Ich habe nicht nur beruflich, sondern auch privat sehr viel gelernt. Ich bin meinen Idealen nachgegangen – obwohl das nicht immer gefragt war. Die DDR ist meine Heimat gewesen, und ich habe für die Menschen meiner Heimat gearbeitet. Trotzdem trauere ich der Vergangenheit nicht nach. Ich durfte nicht immer nur gute Erfahrungen machen. Aber die Zeit war damals so; und ich habe es ja auch einigermaßen gut überstanden. Ich bin trotzdem froh, dass es die DDR nicht mehr gibt. Es wäre fürchterlich, wenn es diesen Staat noch gäbe – wer weiß, was aus uns geworden wäre.

      Das Gespräch führte Steffi Kühnel

       1 Hellmut Opitz/Hermann Wille: Karl-Marx-Stadt, Leipzig 1974.

       2 http://www.chemnitz.de/chemnitz/de/stadt_chemnitz/stadtportrait/ stadtportrait_index.asp, 20.8.09

       3 Karl Joachim Beuchel: Die Stadt mit dem Monument, Chemnitz 2006.

       4 Der Reichsarbeitsdienst (RAD) war von 1933-45 ein sechsmonatiger Arbeitsdienst, der dem Wehrdienst vorausging. Aufgrund der hohen Truppenverluste fand ab 1944 die militärische Grundausbildung direkt während des RAD statt.

       5 Die Architekten Karl Wilhelm Ochs (1896–1988) und Walter Henn (1912–2006) waren ab 1946 Professoren an der TH Dresden. Ochs wurde 1953 an die TU Berlin berufen; Henn ging im selben Jahr an die TU Braunschweig.

       6 Georg Funk (1901–1990) studierte Architektur in Dresden, arbeitete nach dem Zweiten Weltkrieg am Wiederaufbau von Chemnitz mit und wurde 1949 als Professor für Baurecht und Bauordnung an die TH Dresden berufen. Dort baute er das Institut für Städtebau auf.

       7 Die 1946 gegründete Sowjetische Aktiengesellschaft, ab 1954 Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft Wismut, förderte an verschiedenen Standorten in der DDR Uran für die sowjetische Atomindustrie. Ganze Städte und Dörfer mussten dafür weichen, die von der Wismut verursachten Umwelt- und Gesundheitsschäden wirken bis in die Gegenwart nach.

       8 Fritz Heckert gründete 1919 die Chemnitzer KPD. Das Wohngebiet ,Fritz Heckert‘ entstand seit 1974 und war das drittgrößte Plattenbaugebiet der DDR. Bis 1988 entstanden hier über 30.000 Wohnungen für 90.000 Bürger. Nach 1990 verließen viele Bewohner das Stadtviertel, so dass sich das Gebiet – ebenso wie zahlreiche andere Neubaugebiete der DDR – seit 1998 im ,Rückbau’ befindet.

       9 Die Behebung der Wohnungsnot und die

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