Verlorene Zeiten?. Группа авторов

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sagte er: „Ihr werdet Seeleute! Das ist ein Beruf, in dem kann man wirklich die Welt sehen, und da erlebt man was.“

      Wenn über Hans Modrow geschrieben wird, dann werden häufig Tugenden erwähnt: Disziplin, Anständigkeit, Fleiß … Woher kommt das?

      Ich denke, das kommt noch aus dem Elternhaus. Wir haben alle unserer Mutter viel zu verdanken. Vater konnte sozusagen mal aus dem Kleister gehen, während Mutter eine sehr ruhige Frau war. Vater war dagegen der Rücksichtslose. Er war Raucher, und abends musste man noch die Zigaretten für ihn kaufen gehen. Und dann pfiff ich los, es war stockdunkel, musste an der Kirche vorbei, wo der Uhu oben saß und heulte, um Zigaretten zu holen. Da habe ich mir geschworen: Wenn du mal Kinder hast, das forderst du von keinem. Auf jeden Fall wurde mir da bewusst, dass man so mit seinen eigenen Kindern nicht umgeht. Meine Mutter hingegen war immer bemüht um das Zusammenleben und Aufrechterhalten einer bestimmten Ordnung innerhalb der Familie. Und noch in den 1990er Jahren, als ich in Ückermünde zu einer politischen Veranstaltung war, trat dort mit einem Mal eine ältere Frau auf, die sagte: „Ich erinnere mich sehr gut an den Hans Modrow. Er war bei uns im Dorf einer von denen, die immer hilfsbereit waren. Wenn ich mal irgendein Problem hatte, Wasser von der Pumpe holen musste, und Hans Modrow war in der Nähe, dann nahm der mir den Eimer ab und trug ihn mir nach Hause.“ Das gehörte so ein bisschen zur Erziehung meiner Mutter: „Ihr habt andern Menschen gegenüber hilfreich zu sein, Ältere brauchen Unterstützung …“ Das war eine Lebenshaltung, die ich mitgenommen habe.

      Nach dem Krieg hatten Sie keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie?

      Den Kontakt zu Ihrem Vater haben Sie nicht mehr hergestellt?

      Nein, es gab keinen Kontakt mehr. Mein Bruder war zur See, da gab es auch keine Verbindung. Meine Schwester habe ich bei einem Besuch bei der Tante in Berlin ein einziges Mal gesehen – es gab also keine Kontakte.

      Hat Sie der Kontaktabbruch zu einem Großteil Ihrer Familie nicht beschäftigt?

      Es hat mich einmal sogar direkt beschäftigt. 1957 starb mein Vater, und ich stellte die Frage gegenüber der SED-Bezirksleitung, ob ich zur Beerdigung fahren dürfte. Da wurde mir empfohlen, das nicht zu tun. Da bin ich dann auch der Meinung gewesen: Ich kann nicht Ausnahmen für mich fordern, wenn das anderen gegenüber verweigert wird.

      „… zurück in deinen Schlosserberuf!“

      Wie kam es bei Ihnen denn zu der Wendung: vom Hitlerjungen und überzeugten Volkssturm-Kämpfer zum Antifaschisten und SED-Mitglied?

      Ich glaube, das sind Prozesse, die ungeheuer differenziert abgelaufen sind für jeden Einzelnen. Ich habe diesen Weg im Rahmen meiner sowjetischen Kriegsgefangenschaft genommen. Das erste halbe Jahr meiner Gefangenschaft habe ich in Hinterpommern verbracht, um dort mit einem Erntekommando die Ernte einzubringen. Das war 1944, damals wurde von den Bauern dort ein ganz normaler Erntegang vorbereitet und noch bis ins Frühjahr 1945 hinein bearbeitet – bevor sie dann vor der Roten Armee geflohen sind und nicht von den Polen vertrieben wurden, wie das ja heute aufgemacht wird. Ich war damals unterwegs mit dem Kapitän, der unser Kommando leitete. Ich war sein Fahrer geworden. Sie haben dafür unter den ganz Jungen jemanden ausgewählt, bei dem sie damit rechnen konnten, dass er sich anpasst und gut zu kommandieren ist. Der Kapitän wurde für mich eine wichtige Person. Mit einem Mal erlebte ich den ,Untermenschen‘, der mich aber ganz normal behandelte. Und dann rezitierte der auch noch Heine. Wusste ich, wer Heine war!?

      Sie kamen später auch in die Sowjetunion.

      Ja, aber zunächst musste ich in das so genannte Pferdekommando; musste also zusammen mit zwei Rotarmisten Pferde 30, 40 Kilometer weit wegbringen. Da war man gut drei Wochen unterwegs, und ich lebte nun alleine mit zwei Rotarmisten. Ich saß auf einem Pferd und hatte links und rechts jeweils noch ein Pferd. Wenn da die Panzer vorbeifuhren, dann gingen erstmal meine Pferde durch (lacht). Danach ging es über das Kriegsgefangenenlager Breslau in die SU. Hier wurde ich als Waldarbeiter eingesetzt, und von dort aus ging ich dann nach Moskau für den Winter 1946/47. Ich arbeitete dort in einem Heizwerk, vor allem machte ich Nachtschicht. Dort steckten uns die Frauen immer mal ein Stück Brot zu. Aber ich war dort dann körperlich doch sehr entkräftet. Eine Ärztin entschied dann, dass ich in das Kommando Brotfabrik eingeordnet werde. Da gab’s auch mal einen Kanten Brot zusätzlich. Das war eine humane Entscheidung dieser Ärztin.

      Diese Erlebnisse haben bei Ihnen einen Reflexionsprozess ausgelöst?

      Das alles bringt einen ja doch dann in eine Situation, wo man über sich und das Leben anders nachdenkt. In den größeren Kriegsgefangenenlagern waren auch immer Komitees der Antifaschisten. Die waren natürlich um uns bemüht. Wir hatten Bibliotheken zur Ver- fügung, Bücher von Anna Seghers und Willi Bredel, oder auch ,Wie der Stahl gehärtet wurde‘. 5 Da begann man zu lesen, zunächst einfach aus Langeweile.

      Was waren das für Genossen, die in diesen Komitees arbeiteten?

      Das waren Ältere. Das waren Überläufer von der Wehrmacht, die nun das Vertrauen der sowjetischen Seite hatten und die dann wieder unter den Kriegsgefangenen Leute suchten, die in das Antifa-Komitee mitgingen. Die mussten nicht zum Arbeitseinsatz. Deren Aufgabe war es, dafür zu sorgen, dass sich im Lager antifaschistische Debatten aufbauten. Ich gehörte zu denen, die sich politisch zu interessieren begannen, die auch teilnahmen an Debatten. Und dann wurde mir die Frage gestellt, ob ich interessiert wäre, in so eine Antifa-Schule zu gehen. So kam ich nach Rjasan, nicht weit von Moskau. Dort gab es Seminare und Lektionen, die unsere eigentliche Einführung in eine antifaschistische Bildung wurden. Da waren Lehrer – eine ganz kleine Gruppe – die als Widerstandskämpfer gegen den Faschismus aus Deutschland in die Sowjetunion geflohen waren. Der Leiter unserer Schule war Robert Naumann, 6 der ja später zurückging an die Humboldt-Universität. Wir lernten dort – sehr verknappt – den wissenschaftlichen Kommunismus, politische Ökonomie, materialistische Philosophie und, und, und …

      Sie haben diskutiert und gestritten, das haben ja wahrscheinlich die meisten gefangenen Soldaten nicht gemacht. Woher kam die Motivation, sich in dieser Weise zu engagieren?

      Da spielt mein unmittelbarer Lehrer eine Rolle, Doktor Fritz Rink. Er war promovierter Arzt und nahm sich meiner sehr gründlich an. Ganz offensichtlich war unsere Beziehung für ihn wie ein Vater-Sohn-Verhältnis. Er hatte die Überzeugung, hier ist ein Junge vom Dorf, der zwar nicht gebildet ist, aus dem man aber durch Bildung etwas machen kann. Also musste ich Aufsätze schreiben – was sonst überhaupt nicht zur Antifa-Schule gehörte. Das war so ein Mist, dass ich Aufsätze schreiben musste! Der Rink drückte mir die auf, dann kriegte ich sie korrigiert zurück. Dann wurde ich der Redakteur unserer Zeitung in der Antifa-Schule – ich, der eigentlich gar nicht richtig schreiben konnte, mit meiner Achtklassenschule! Diese Wandzeitung spielte im Antifa-Kurs eine riesengroße Rolle. Einfach deshalb, weil da zum ersten Mal die Kursanten begannen, selber öffentlich zu schreiben. Ich bin kein ausgebildeter Pädagoge, aber ich hab’ dort begriffen, dass ein so direkter, unmittelbarer Zusammenhang für die eigentliche Erziehung eine große Rolle spielen kann. Und der Rink sagte dann auch: Du bleibst bei mir als Assistent! Wir wurden ja nicht gefragt: Willst du nach Hause oder willst du nicht nach Hause. Sondern das wurde entschieden.

      Haben Sie sich damals schon Gedanken über Ihre Zukunft in Deutschland gemacht?

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