Verlorene Zeiten?. Группа авторов

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der eigenartigerweise sehr gut Deutsch sprach. Der hat uns informiert, was doch Hitler für ein schlechter Mensch sei und hat versucht, uns für die friedliche Sache zu gewinnen. Schließlich schickte er uns nach Hause. Wir hatten mit dem Schlimmsten gerechnet, dachten: Jetzt kommen wir in Gefangenschaft, nach Sibirien, was weiß ich. Aber dem war nicht so. Man ließ uns ziehen.

      Das war ja wirklich Glück! Mit welcher Begründung ließ man Sie gehen?

      Wir wären zu jung. Das war offensichtlich dem Offizier geschuldet, der hatte irgendwie Mitleid mit uns. Wir sahen ja auch erbärmlich aus! So kam ich eines Tages Anfang Mai nach zwei Wochen Marsch zu Hause an, voller Befürchtungen: Steht unser Haus noch? Ich wusste, dass Chemnitz bombardiert worden war, aber nicht, was mit meinen Eltern und unserem Wohnhaus passiert war. Glücklicherweise stand das Haus. Zwar beschädigt durch Bombensplitter, aber noch so weit heil, dass man drin wohnen konnte. Und meine Eltern waren natürlich heilfroh, dass ich gesund wieder zu Hause ankam. Allerdings musste ich mich sofort verstecken, denn zu dieser Zeit war die Stadt noch von den Nazis besetzt, ich durfte mich als Deserteur dort nicht blicken lassen. So wurde ich im Keller und teilweise auch in unserer Wohnung versteckt. Am 8. Mai kamen die Russen, da war die Sache dann erledigt. Damals habe ich mir geschworen, es dürfe nie wieder einen Krieg geben.

      Konnten Sie Ihre Ausbildung nach dem Krieg fortsetzen?

      Ja, ich bin wieder zu dieser Firma gegangen, die stand auch noch. Dort konnte ich die Ausbildung dann abschließen. Aber ich fragte mich: Was kommt danach? Ich hatte zwar meine Ausbildung als technischer Zeichner, aber keine Arbeitsstelle. Außerdem war die Arbeit nicht so künstlerisch, wie ich mir das gedacht hatte. Nebenbei hab’ ich ja noch Zeichnungen gemacht. Ich bin in die Chemnitzer Altstadt gegangen, vor allem in das Gebiet am Brühl, und hab’ die alten Häuser gemalt, auch mit Aquarell und Ölfarben. Das war schon interessanter als nur diese Konstruktionen. Im Sommer 1946 wurde dann die Technische Hochschule in Dresden wiedereröffnet. Und da habe ich mir gedacht: „Das ist die Gelegenheit, da schreibst du dich in das Fachgebiet Architektur ein!“

      „Architektur muss für den Menschen gemacht werden.“

      Wie konnten Sie sich an der Hochschule einschreiben? Sie hatten doch gar kein Abitur?

      Ja, ich hatte auch so meine Bedenken, ob man mich nimmt. Aber im Fachbereich Architektur gab es damals wenige Einschreibungen, insgesamt waren das nur 25 Studenten, und deswegen hat man mich dann auch genommen. Da war ich natürlich riesig froh. Das war auch eine schwere Zeit. Das Studium war mit Mathematik und Statik verbunden, und in Mathematik hatte ich natürlich sehr wenig Kenntnisse und Voraussetzungen. Ich musste alles nachholen, was man eigentlich fürs Abitur gelernt hätte, um überhaupt ein Verständnis für Mathematik und Statik zu bekommen. Vieles habe ich mir autodidaktisch beibringen müssen, um den Vorlesungen überhaupt folgen zu können. Ich bin nach wie vor kein Statiker, ich bin mehr auf dem künstlerischen Gebiet als Architekt tätig.

      Was haben Sie auf künstlerischem Gebiet im Studium gelernt?

      Ich hatte sehr erfahrene Professoren, zum Beispiel Karl W. Ochs und Walter Henn 5 , die später beide in den Westen gegangen sind und somit für uns verloren waren. Deren Ausbildung zielte daraufhin, Architektur für die Menschen zu machen. Es ging also nicht so sehr darum, ökonomische Bauten zu entwerfen, sondern Architektur muss für die Menschen gemacht werden. Das war das Credo dieser Ausbilder, die mich auch dahingehend geformt haben. Und dadurch, dass Ochs und Henn Ende der 1940er Jahre den Wettbewerb für den Wiederaufbau des Chemnitzer Opernhauses gewonnen hatten, bekam ich schon als Student die Möglichkeit, an konkreten Planungen mitzuarbeiten.

      Wie ging es nach Ihrem Abschluss an der Hochschule für Sie weiter?

      Das Studium habe ich 1950 abgeschlossen, nach acht Semestern. Inzwischen hatte ich auch meine Frau kennen gelernt, die in Dresden an der TU studierte und dort zum Bauingenieur ausgebildet wurde. Ich blieb daher in Dresden und arbeitete im VEB Industrie-Entwurf Dresden. Dann kam der damalige Stadtbaudirektor von Chemnitz, Georg Funk, 6 an die TU Dresden und übernahm dort den Bereich des Städtebaus, den es zu meiner Studienzeit noch nicht gegeben hatte. Das war für mich die Sache! Also hab’ ich bei ihm zwei Jahre lang ein Zusatzstudium für Stadtplanung gemacht. 1954 bin ich dann mit meiner Frau zurück nach Chemnitz gegangen – in der Zwischenzeit war es schon Karl-Marx-Stadt geworden. Ich bekam dort eine Stelle in der Stadtplanung, als Leiter des Entwurfsbüros für Gebiets-, Stadt- und Dorfplanung. Da ging es um den ganzen Bezirk Karl-Marx-Stadt, und so habe ich in vielen Gemeinden und Städten im Bezirk städtebauliche Planungen machen können.

      Welche städtebaulichen Planungen standen Mitte der 1950er Jahre an?

      Zum Beispiel die Neustadt in Johanngeorgenstadt im Erzgebirge. Die dortige Altstadt war ja durch Bergschäden, die die Wismut 7 verursacht hatte, völlig in sich zusammengebrochen. Wir mussten also ein neues Stadtgebiet planen, um die Bevölkerung wieder unterzubringen. Allerdings wurde ich bald hellhörig. Ich hatte gelernt, dass meine Arbeit den Menschen und den Bewohnern von Gebäuden zugute kommen sollte. Der Städtebau im Bezirk Karl-Marx-Stadt war aber ausschließlich ökonomisch orientiert. Es wurde wenig Wert darauf gelegt, Wohngebiete für die Menschen zu planen, es ging eher darum, auf möglichst rationelle Weise viele Wohnungen zu errichten.

      Hatte dieses städtebauliche Konzept damals schon die Plattenbauarchitektur im Blick?

      Plattenarchitektur gab es noch nicht, die kam erst etwas später, Anfang der 1960er Jahre. Aber man hatte schon die Richtung eingeschlagen. Die Forderungen waren damals: Man muss schnell und ökonomisch möglichst viele Wohnungen bauen – und zwar mit Großblöcken aus Abbruchziegeln. Das war die erste Stufe des industriellen Bauwesens … (Holt tief Luft) Und das störte mich schon damals sehr, diese Tendenz: industrielles Bauen, Rationalisieren, weniger Achtgeben auf die Wünsche der Bewohner. Deshalb kam ich auf die Idee, mich auf dem Gebiet der Städtebausoziologie weiterzubilden. Man riet mir, nach Leningrad zu gehen, dort gäbe es ein Institut, an dem man das lernen könne. Das habe ich dann gemacht. Zuerst wurde natürlich geprüft, ob ich überhaupt der Richtige wäre, in die Sowjetunion zu gehen. Ich wurde gefragt, ob ich denn die russische Sprache beherrsche. Ich konnte kein Wort Russisch sprechen (lacht). Aber schließlich gab man mir doch grünes Licht.

      „… dass ich in vielen Gegenden der Sowjetunion herumkam.“

      Was waren Ihre ersten Eindrücke von der Sowjetunion?

      Ich bin mit einem Physiker aus der DDR dorthin gereist. Wir kamen erstmal nach Moskau und konnten uns dort mehrere Tage umsehen. Das war schon interessant, wir hatten ja schon viel von Moskau gehört. Manches war für uns völlig neu: Es wurde ja damals die Untergrundbahn gebaut. Oder auch die Hochhäuser, die da entstanden waren. Jedoch neben grandiosen Neubauten war auch viel Elend zu sehen … Es waren ganz unterschiedliche Eindrücke, die ich da gewonnen habe. Dann ging es weiter nach Leningrad. Wir kamen frühmorgens dort an und keiner war da, der uns abholte. Ich hab’ mich dann in ein Taxi gesetzt, und als ich am Institut ankam, sagten die: „Wer sind Sie denn, wo kommen Sie denn her?“ Das war mein erster Eindruck von Leningrad. Eigentlich war alles gut geplant gewesen, und die wussten dennoch von nichts. Man reagierte aber sehr freundlich und höflich. Ich wurde in einem Wohnheim für Aspiranten untergebracht. Und dann hieß es erstmal Tag und Nacht Russisch lernen. Nach drei Monaten konnte ich schon ganz gut Russisch sprechen, nach sechs Monaten hatte ich die erste Dolmetscherprüfung hinter mir.

      Wie sind Sie damals in Russland als Deutscher aufgenommen worden?

      Ich würde sagen, recht freundschaftlich. Zuerst hatte ich Bedenken, wie man mich als Deutschen in dieser leidgeprüften Stadt aufnehmen würde. Ich knüpfte Kontakte zu einigen Bewohnern von Leningrad, die die Blockade miterlebt und dort natürlich Fürchterliches durchlebt hatten. Sie haben zwar oft davon erzählt, aber sie sind

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