Verlorene Zeiten?. Группа авторов

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und jedes in den Verantwortungsbereich des jeweiligen Ersten Sekretärs. Das war eine Struktur, die nach meiner Meinung die Effizienz der Gesellschaft immer eingeschränkt hat. Ich war der Auffassung, dass der Staat eine größere Verantwortung haben muss, weil man aus der Partei heraus keine Wirtschaft führen kann. Meine Haltung führte ja auch zu einem Streit am 18. Oktober 1989, als es um die Ablösung von Honecker ging. Stoph 11 hat sich dann mit den ersten Bezirkssekretären und Mitgliedern des Politbüros beraten. Dort habe ich gesagt, ich hielte es für falsch, wenn auf Egon Krenz 12 als Parteifunktionär nun wieder auch die staatliche Leitung übergeht. 13 Das wird mir bis heute so ausgelegt, als ob ich unbedingt Generalsekretär der SED hätte werden wollen. Denn als ich das als Problem aufwarf, fragte der damalige Gewerkschaftsvorsitzende Harry Tisch: 14 „Und welche Funktion willst du haben?“ Danach herrschte in dem ganzen Kreis Schweigen. Keiner diskutierte, alle dachten stillschweigend: „Aha, der Modrow will in diesen Machtkreis rein!“ – was mich damals überhaupt nicht bewegt hat.

      In meiner Jugend galten Sie als Reformer und Hoffnungsträger. Haben Sie sich auch selber so empfunden?

      Nein, habe ich nicht und sehe ich auch heute nicht so. Wie andere mich sehen, müssen die miteinander ausmachen. Die Sache mit dem ,Reformer‘ begann ja so: Die KPdSU holte den Gesandten Valentin Koptelzew zurück nach Moskau. Vor seiner Abreise kam er noch mal nach Dresden und sagte: „Wir bleiben in Kontakt“. Und Koptelzew wurde dann von einem Korrespondenten des Spiegel gefragt: „Wen könnte sich Gorbatschow als Nachfolger von Honecker in der SED vorstellen?“ Und der sagte: „Ich glaube Hans Modrow.“ Das war 1986 der Beginn dieser Debatte um Modrow. Da ging es erstmal gar nicht um einen ,Reformer‘, sondern um Spekulationen, wer wird oder könnte der Nachfolger von Honecker werden.

      Sie gehörten damals nicht dem Politbüro an, als die Nachfolge Honeckers diskutiert wurde.

      Ich war der Einzige, der von außerhalb des Politbüros ins Spiel kam. Ich kam als absoluter Außenseiter in die Debatte. Und es gab ja diese Philosophie: Der Gorbatschow will Reformen, und der Honecker will keine. Und ein Mann, den Gorbatschow empfiehlt, will doch vielleicht auch Reformen. Und da musste man ja für einen solchen ,Hoffnungsträger‘ noch irgendwie eine Art Beschreibung im Westen haben – und da passte dann am besten das Etikett ,Reformer‘. Aber ich will sehr deutlich sagen: Spätestens ab Ende 1987 war ich überhaupt nicht mehr der Überzeugung, dass das, was Gorbatschow macht, auch gut für die DDR wäre.

      Was waren Ihre Überlegungen für die DDR im Gegensatz zu Gorbatschow?

      Meine Überlegung war erstens: Ja, wir brauchen in der DDR eine Umgestaltung. Die konnte aber nicht dem Modell Gorbatschows folgen. Einfach deshalb nicht, weil das Maß der Sowjetunion und das Maß der DDR nicht zusammenpassten. Wenn der Wirtschaftsminister Günter Mittag alle seine Generaldirektoren zusammenholen wollte, dann drückte er früh aufs Telefon und am Abend saßen die alle bei ihm am Tisch. Und wenn das einem in Moskau einfallen würde, dann brauchten die eine Woche (lacht). Das heißt, man kann die Politik eines Landes, das in anderen Maßstäben zu regieren ist, nicht einfach auf ein kleines Ländle übertragen. Und zweitens: Die Dinge, die Gorbatschow vorschwebten, schienen mir für die DDR überhaupt nicht die Frage zu sein. Mein Problem war vielmehr: Wir sind in der Wirtschaft der DDR an einem Punkt, an dem wir die Eigenständigkeit der Betriebe in einem Maß einschränken, dass nichts mehr funktioniert. Wo die Zentralisierung ein Ausmaß angenommen hat, dass es nicht mehr läuft. Wo das Wort vom Volkseigenen Betrieb‘ keinen Inhalt mehr besitzt. Ich habe das dann 1988 auf einer ZK-Tagung auch im Plenum gesagt: Wir sagen ,Volkseigener Betrieb‘, aber wir füllen diesen Begriff nicht mehr aus. Und damit war auch klar, dass ich gegen Honecker stand.

      Ihnen ging es also weniger um Gorbatschows Perestroika als um wirtschaftspolitische Reformen, wie sie schon Walter Ulbricht in den 1960er Jahren versucht hatte?

      Zu den 1960er Jahren sehe ich eine eindeutige Beziehung. Durch einen Aufenthalt in Moskau wusste ich auch, wie in der Sowjetunion die Entscheidung für Gorbatschow gefallen war. Gorbatschow war der Jüngste von drei Kandidaten für das Amt des KPDSU-Generalsekretärs. Die Entscheidung für ihn fiel wegen seines Alters, nicht wegen seiner überragenden Führungsfähigkeiten. Später hat es sich gezeigt, dass er die nicht besessen hat.

      Im November 1989 wurden Sie Ministerpräsident der DDR – an sich ein Karrieresprung?

      Nein, ich habe etwas anderes empfunden: Mir kam es darauf an, dass die Regierung gegenüber der SED die Verantwortung erhält, die ihr zusteht. Daher kam meine Bereitschaft, das Amt des Ministerpräsidenten zu übernehmen.

      „Klassenkampf muss es doch irgendwie geben!“

      Sie hatten in der DDR als Politiker den Ehrgeiz, die Gesellschaft zu gestalten. War das das Einzige, was Sie getrieben hat?

      Ich denke, das war schon sehr viel. Bei Politikern gehe ich unbedingt davon aus: Wenn der Ehrgeiz vor allem darin besteht, immer die Stufenleiter vorneweg zu laufen, um wieder eine höhere Funktion zu übernehmen – dann kann man in Wirklichkeit diese Verantwortung irgendwann nicht mehr tragen. Das erlebte ich in hohem Maße bei Gorbatschow, das war bei Kohl zu spüren, das ist bei Honecker zu spüren gewesen: Die sitzen auf ihren Positionen und werden Verkünder. Ich selbst bin immer davon ausgegangen: Egal welche Verantwortung du hast – du musst sie ausfüllen, du musst den Ehrgeiz aufbringen, den diese Tätigkeit dir abfordert. Zum Beispiel hatte ich ja ab ungefähr 1985 jedes Jahr die Ehre, mit einem Rechenschaftsbericht beim Politbüro des ZK der SED zu erscheinen. Da hatte ich immer nur einen Ehrgeiz: Die können untersuchen so viel sie wollen; aber die können nicht nachweisen, dass du unfähig bist, deine Arbeit zu machen! Rausschmeißen wegen Unfähigkeit können die dich nicht! Mit dem Ehrgeiz habe ich also auch dagegenhalten können, wenn ich die Politik der Parteiführung kritisiert habe. Das war für mich der Trieb und Ehrgeiz.

      Im Hinblick auf die Ereignisse von 1989 betonten Sie auch den patriotischen Aspekt.

      Ohne eine solche Position hätte ich nicht sagen können: „Deutschland einig Vaterland“. Denn das war ja die Überschrift, unter der ich am 1. Februar 1990 den Vorschlag einer Drei-Stufen-Entwicklung zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten vorlegte. 15 Aber ich kann auch zurückgreifen, das habe ich Ihnen ja eben schon erzählt: Wenn die andern im LEW damals gesagt haben, ich sei Russe, dann hab’ ich immer entschieden entgegengehalten: „Ich bin wie du ein Deutscher.“ Meine Auffassung war: Wenn du diese Last, die mit der deutschen Geschichte, mit dem Zweiten Weltkrieg verbunden ist, nicht als Deutscher mittragen willst, wirst du dich immer rausstehlen wollen. Du hast dich an der Wiedergutmachung beteiligt und bist nicht schlechthin nur Kriegsgefangener gewesen. Und die Deutschen haben die verfluchte Pflicht, all’ das auch für sich selber anzunehmen. Als dann aber 1989 die Losung ,Wir sind das Volk‘ in ,Wir sind ein Volk‘ überging, da wollte ich nicht dieses Volk, wovon die draußen geschrien haben. Da wollte ich, dass wir als Deutsche mit Souveränität aufeinander zugehen können. Für mich gab es zwei souveräne Staaten. Und nur, wenn die sich gegenseitig akzeptieren und achten – und zwar auch die Leistungen der Menschen in beiden Ländern –, nur dann wird es funktionieren. Das habe ich ja auch bei dieser historischen Pressekonferenz am 13. Februar 1990 in Bonn gesagt: „Lassen wir uns unseren aufrechten Gang als Bürger der DDR nicht nehmen!“ Wenn man sein Selbstbewusstsein nicht behält, muss man alles akzeptieren, was der andere sagt.

      Es gibt viele Menschen, die froh sind, dass es die DDR nicht mehr gibt.

      Ich erlebe zunächst umgekehrt viel mehr Leute, die mich fragen: „Haben Sie das so gewollt, wie es jetzt ist?“ Die betonen häufig: „Ich war nicht in der SED, Herr Modrow, aber so, wie es jetzt ist, so kann’s doch nicht gut sein. Ich bin nun die Oma und muss für meine Enkel mitsorgen, das war doch in der DDR nicht so.“ Das sind Dinge, die ganz nah am Alltag sind. Da ist nach einem gelebten Leben in der DDR einfach eine Unsicherheit dem gegenüber, womit

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