Verlorene Zeiten?. Группа авторов

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Es gab ja auch Anfragen aus Deutschland: Wir brauchen diese und jene Leute mit diesen und jenen Fähigkeiten, wer könnte sich da eignen? Mit mir wurde damals besprochen, dass ich als Lehrer auf die Jugendhochschule gehen sollte. Da gab mir aber Rink die Empfehlung mit: Alles, was besprochen ist, mag eine Perspektive sein. Aber wenn du nach Deutschland zurückkommst, dann geh zuerst in einen Betrieb, zurück in deinen Schlosserberuf! Nur so lernst du das Leben kennen. Als ich dann nach meiner Rückkehr 1949 mein Kadergespräch‘ beim Parteivorstand der SED hatte, blieb ich dann auch stur und habe gesagt: „Ich bin nicht bereit, ausschließlich in der FDJ oder irgendwo in der Partei zu arbeiten!“ Ich wurde dann zunächst Schlosser im LEW 7 in Henningsdorf bei Berlin.

      „Es macht keinen Sinn, da als ,Diplompolitiker‘ rumzulaufen.“

      Haben Sie als Schlosser dann Kontakt zum ,Leben‘ bekommen?

      Ja, und zwar ganz faustdick. Für alle anderen in der Werkstatt hieß ich nur ,der Russe‘. Für die war völlig klar: Da kommt einer aus der Gefangenschaft und zieht nicht über die Russen her, also muss der selbst quasi ein Russe sein. Man nahm mich dann in die Parteileitung des Betriebes auf, weil ich ja als gebildeter Marxist galt. Ich konnte nun selber Vorträge halten. Am Wochenende nahm ich meine Aufzeichnungen von der Antifa-Schule, bereitete mich auf ein Thema vor und hielt einen Vortrag. Damit war ich natürlich mit meinen gerade mal 21 Jahren in dem Betrieb und in der SED-Organisation ein angesehener junger Mann.

      Sie waren einer von vielen jungen Leuten, die sich für eine neue Gesellschaft einsetzten.

      Das war so, und ich denke im Nachhinein, dass das damals am ehesten noch Otto Grotewohl begriffen hat. Der hat 1947 auf einem FDJ-Parlament gesagt: Die deutsche Jugend sei noch immer ein Wanderer zwischen zwei Welten – sie habe die faschistische Zeit noch nicht ganz hinter sich gelassen und die neue Zeit noch nicht gewonnen. Meine Generation versuchte, sich von der Vergangenheit zu lösen. Der Krieg hat uns ja Erlebnisse gebracht, die wollte keiner mehr. Und Krieg war eben mit Faschismus verbunden.

      Eine ,neue Zeit‘ zu gewinnen, war wahrscheinlich auch nicht so einfach.

      Da war auch eine ablehnende Haltung gegen die Siegermächte. Im Betrieb waren wir damals 1949 als FDJler nicht etwa in der Mehrheit, wir waren die Minderheit. Unser Ansehen gewannen wir nicht durch unsere großartige Ideologie, sondern dadurch, dass wir am Wochenende im Betrieb Haushaltsporzellan produzierten. Und das machten wir FDJler. Dann wurde dieses Haushaltsporzellan im Betrieb verkauft. Das hatte nicht immer alles nur mit Ideologie zu tun. Insofern vergess’ ich auch nicht: Als ich mir in Potsdam meinen ersten kleinen Haushalt aufgebaut habe, hatte ich eben ein von mir selbst gemachtes Haushaltsporzellan. Das sind doch Dinge, die irgendwo zum Leben gehören. Und die anderen jungen Leute sind mit einem Mal nicht gegen uns. Nicht etwa, weil wir die FDJ sind oder die blaue Fahne tragen. Sondern weil wir unter der blauen Fahne der FDJ das Porzellan gemacht haben. Und sie haben’s kaufen können.

      Gab es damals auch ideologischen Dissens unter den Arbeitern im Werk?

      Den gab’s allemal. Aber die anderen spürten auch, dass sie mit mir keinen Dussel vor sich hatten. Und es war dann ein Streit auf einem bestimmten Niveau. Das war auch etwas, was die wollten. Es war ja nicht der pure Antikommunismus: „Jetzt muss ich dem Modrow eins auswischen!“. Sondern das war ein geistiger Streit. Die hatten ja ihre Zeitung, die hatten ja ihr Erleben mit Westberlin. Und dort in Hennigsdorf, an der Grenze zu Westberlin, ausgerechnet da kommt nun einer und verteidigt den Osten gegen den Westen. Das war doch geradezu verrückt! Da entstanden die Auseinandersetzungen, und mir machten diese Diskussionen auch Spaß, das will ich ganz offen sagen.

      Können Sie verstehen, dass andere in Ihrem Alter skeptisch waren: Schon wieder neue Organisationen, neue Uniformen …

      Das kann ich nicht nur verstehen, das habe ich ja x-mal erlebt, weil ich ja politisch tätig war. Ich wollte diese Leute ja gewinnen und habe das auch immer wieder und noch mal gemacht! Das war damals auch damit verbunden, dass wir uns mit einem gewissen Mut öffentlich zeigten. Dann sind wir mit unserer S-Bahn von Henningsdorf nach West-Berlin gefahren, sind ausgestiegen und sangen unsere FDJ-Lieder: „Raus gegen uns, wer sich traut!“ Das war unsere Haltung, mit der wir dort auf dem Bahnsteig standen. Und dann riefen die anderen: „Ihr Scheiß-Kommunisten, was wollt ihr hier?“ Und es kam zu Schlägereien. Das war eine regelrechte Kampfzeit! Und für uns war es eine Bewährung.

      Wie standen Sie damals zur Sowjetunion? Wann haben Sie zum ersten Mal von den ,Säuberungen‘ gehört, und wie haben Sie darauf reagiert?

      Ich war ja 1952/53 ein Jahr auf der Komsomol-Schule 8 in Moskau gewesen. Ich erlebte dort, wie Stalin starb – ich stand an der Bahre von Stalin. Ich bemerkte, dass mit einem Mal das Bild von Beria 9 in der großen Galerie der Politbüro-Mitglieder fehlte – aber keiner wusste eigentlich, was dahinter steckt. Im Mai 1953 empfanden wir in Moskau eine Unsicherheit – da waren Diebe, einem von uns wurde die Uhr geklaut. Dann redeten wir wieder mit den Komsomolzen, die wussten auch nichts, das gleiche Spiel. Wir kamen erst im August zurück nach Deutschland. Da war auch der Aufstand vom 17. Juni in der DDR schon wieder zwei Monate vorbei. Von den Verbrechen Stalins hörte ich erst drei Jahre später nach der Übermittlung durch Nikita Chruschtschow, mit den Gesprächen, die es danach gab. Da spielte für mich eine besondere Rolle Alfred ,Ali‘ Neumann, damals SED-Bezirkssekretär in Berlin. Er war vor den Nazis in die Sowjetunion geflüchtet, ging dann aber nach Spanien. Er erzählte uns seine Geschichte und sagte: „Ich bin nicht nur nach Spanien gegangen, um dort im Bürgerkrieg zu kämpfen. Ich bin auch nach Spanien gegangen, um nicht nach Sibirien zu müssen.“ Da spürte man zum ersten Mal, was alles tabu gewesen war.

      Rückblickend gefragt: Ist in der Kriegsgefangenschaft, in der Antifa-Schule der Berufspolitiker Modrow‘ geboren worden – oder widerstrebt Ihnen diese Formulierung?

      Die widerstrebt mir insofern, weil ich selbst eine ganz andere Vorstellung von meiner beruflichen Zukunft hatte. Da spielt sogar die Frau von Walter Ulbricht eine Rolle. Lotte Ulbricht lernte ich im April 1949 beim Jungaktivistenkongress in Erfurt kennen. Der offizielle Teil war zu Ende, wir saßen am Tisch, da kam sie dazu und sagte: „War ganz interessant, was du vorher gesagt hast, woher kommst du denn?“ – Hab’ ich gesagt: „Ich komm’ aus dem LEW, und davor war ich auf der Antifa-Schule“. Da sagte sie zu mir: „Weißt du, du musst studieren, du musst Diplomingenieur werden. Wir brauchen Werkleiter, die politisch gebildet, aber auch in der Lage sind, große Werke zu leiten.“ Also Modrow war danach überzeugt: Er muss Werkleiter werden! – Dann kam aber 1950 im Sommer die nächste Kaderaussprache mit Erich Honecker. 10 Erich Honecker sagte, was ich mein Leben nicht vergessen werde: „Es gibt Leute, die sorgen dafür, dass andere Leute studieren. Und es gibt welche, die selbst studieren. Du gehörst zu denen, die dafür sorgen, dass andere studieren!“ (lacht). Damit wiederum war völlig klar: Dein Weg bleibt in der FDJ. Allerdings war ich damals auch noch mit sowjetischen Jugendoffizieren in Kontakt. Und einer sagte dann zu mir: „Vergiss eines nicht, du brauchst neben der politischen Ausbildung eine fachliche Ausbildung. Sonst musst du denen immer dankbar sein, die dich auf dem Stuhl lassen, auf dem du sitzt.“ – Also habe ich nicht nur mein Fernstudium an der Parteihochschule der SED gemacht und mit einem Diplom für Gesellschaftswissenschaften abgeschlossen, sondern an der Hochschule für Ökonomie auch mein Examen als Volkswirt. Mit der festen Überzeugung, dann auch einen Betrieb leiten zu können. Und ich habe dann ja auch noch ein gutes halbes Jahr in der Planung des größten Ostberliner Betriebes gearbeitet. Meine Haltung war immer: Du brauchst eine Grundlage, eine bestimmte Kompetenz – auch wenn du in der Politik bist und bleibst. Es macht keinen Sinn, da als ,Diplompolitiker‘ rumzulaufen.

      „… das Etikett ,Reformer‘“

      Sie arbeiteten seit 1953 in der SED in Berlin als Parteifunktionär. Dann gingen Sie 1973 nach Dresden, als Erster Sekretär der SED-Bezirksleitung. Wie sah dort Ihr Alltag aus?

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