Verlorene Zeiten?. Группа авторов

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ein marxistischer Hardliner? Als Historiker ist Pätzolds Spezialgebiet die Zeit zwischen 1933 und 1945 in Deutschland, die Zeit des Faschismus‘. Hier erforschte er insbesondere die Vorgeschichte der Morde an den europäischen Juden. Er versuchte, den Zusammenhang zwischen dem kühlen, imperialistischen Interesse der kapitalistischen Gesellschaft und der wahnhaften Verfolgung und Vernichtung der Juden nachzuweisen. Auch einige westdeutsche, britische und amerikanische Historiker setzten sich mit seiner marxistischen Deutung auseinander, sodass es bei der Deutung des Holocaust zu erstaunlichen Annäherungen zwischen Ost und West kam.

      Kurt Pätzold erwies sich als liebenswürdiger, auskunftsfreudiger älterer Herr, der sich bei einer Tasse Kaffee gern lange und intensiv befragen ließ. Schon in seiner Autobiografie hat mich die Bereitschaft beeindruckt, auch Rechenschaft über menschliche Fehler und politische Irrtümer abzulegen – selbst wenn mich angesichts seiner ungebrochenen Freude an provokativen Formulierungen wieder Unbehagen beschlich: Was würden die wütenden Studenten von damals dazu sagen? Da ich mir bewußt war, in dem Gespräch nicht die Wahrheit über diese Vorgänge ermitteln zu können, wollte ich vor allem wissen: Wie wurde man nach 1945 ausgerechnet Kommunist und politischer Kämpfer für eine Partei wie die SED? Und warum wurde Pätzold letztlich doch nicht Politiker, sondern Historiker? – Wir sitzen am Fenster eines Berliner Altbaus, in einem Raum mit Tisch und Stühlen, einem Bett und der unvermeidlichen Menge an Büchern.

      „Von Anfang an wurde mir bedeutet: Das ist nicht unser Krieg.“

      Drei Jahre nach Ihrer Geburt kamen die Nationalsozialisten an die Macht, als Sie neun Jahre alt waren begann der Zweite Weltkrieg. Was hat Sie in dieser Zeit geprägt?

      Am stärksten das Familienumfeld in Breslau. Mein Vater, ein Maschinenschlosser, war vor 1933 in der Sozialistischen Arbeiterpartei. 3 Meine Eltern waren keine Widerstandskämpfer, aber sie haben in diesen Jahren versucht, mit Anstand zu leben und diesem Regime keine Konzessionen zu machen. Durch sie erhielt ich einen begrenzten Einblick in die Arbeitswelt jener dreißiger Jahre. Mein Vater arbeitete in einem Betrieb für Schwermaschinenbau, meine Mutter als Aufräumfrau – in Berlin nannte man das wohl ,Putze‘.

      Inwiefern haben sich die damaligen Verhältnisse auf Ihren Alltag ausgewirkt?

      Innerhalb der Familie herrschte eine gewisse Arbeitsordnung und -teilung. Wenn ,große Wäsche‘ war, hatte ich mich zwei Nachmittage im Waschhaus einzufinden. Es war auch selbstverständlich, dass ich meiner Mutter an ihren Arbeitsstellen die Kohleeimer hoch schleppte und in unserem Haushalt half. Mein Vater – ein aufgeklärter Mann – sagte: „Wenn deine Mutter die ganze Woche bei anderen Leuten den Dreck wegräumt, muss sie das am Wochenende nicht auch noch bei uns in der Wohnung machen. Jetzt sind wir dran!“ – So gewann ich ein Verhältnis zu praktischer Arbeit, wenn ich auch nie ein geschickter Handwerker geworden bin. Ich habe es über Fahrradreparieren, Tapezieren und Gartenarbeiten hinaus nicht zu sehr viel gebracht. Aber es gab eben klare Forderungen, woran ich mich zu beteiligen habe. Gleichzeitig genoss ich die größten Freiheiten. Ich konnte aufs Fahrrad steigen und mich mit einem Freund irgendwo in der Umgebung der Stadt im Grünen rumtreiben, Unsinn machen. Meine Welt waren Schwimmbäder und Fahrradtouren. Außerdem habe ich viel gelesen. Unter dem Strich: Die Geschichte meiner Privilegien beginnt mit der Atmosphäre in meiner Familie in diesen Zeiten.

      Sie haben gerne gelesen. Woher bekamen Sie die Bücher?

      Die Stadtteilbibliothek war ziemlich gut bestückt, unsere eigene hingegen lächerlich gering. Mein Vater hatte seine linke Literatur 1933 auf dem Gelände eines Schrebergartens vergraben. Sie verdarb jedoch. Zu meinem eigenen Bücherbestand, der auf einem Bord Platz gehabt hätte, gehörte Don Quijote, den ich wieder und wieder gelesen habe, außerdem deutsche Sagen, die irgendwie ins Haus gekommen waren. Und schließlich eine Lektüre, die nicht für mich gedacht war: Ehe man Ehemann wird – ein Aufklärungsbuch, in dem ich heimlich las.

      Wie standen Sie zum Nationalsozialismus?

      Da war eine Distanz. Zuhause haben wir in den Kriegsjahren BBC gehört. Jeden Abend hockte ich mit meinem Vater mit einer Decke über dem Kopf vor dem Radio, bis Mutter dann sagte: „Wann kommt ihr denn endlich essen?“ Von Anfang an wurde mir bedeutet: Das ist nicht unser Krieg. Ich erinnere mich noch, dass mein Vater 1941 unmittelbar nach dem Überfall auf die Sowjetunion mit mir in das Gasthaus ging, das seine Mutter betrieb. Es war schon vor 1933 ein Nazi-Treffpunkt gewesen. Ich vermag nicht zu sagen, was Vater da geritten hat. Möglicherweise hat er sich gesagt: „Na, da wollen wir uns die Nazis mal angucken, wie sie darauf reagieren – das ist ja der Anfang ihres Endes.“ Die waren jedoch schon alkoholisiert und feierten die Sondermeldungen. Als mein Vater nicht mitmachte, sagte sein Schwager zu ihm: „Dich bringen wir auch noch da hin, wo du hingehörst.“ Darauf verließen wir das Lokal. Glücklicherweise blieb die Episode folgenlos.

      Konnten Sie diese Distanz zum Nationalsozialismus auch in der Schule halten?

      Zu meinen Klassenkameraden gehörte einer, mit dem ich mich ein wenig befreundete. Er war der einzige, der nicht dem Jungvolk angehörte, weil er eine medizinische Bescheinigung besaß, dass er ,den Dienst‘ nicht machen könne. Mit dem habe ich mittags schon mal englischen Rundfunk gehört. In der Schule konnte man sich dem Mitmachen kaum entziehen, noch dazu, wenn man einigermaßen reden konnte. Einmal musste ich in der Schule einen Vortrag halten, anlässlich des Jahrestags der NSDAP-Gründung oder eines ähnlichen Jubiläums. Als ich mich wieder in die Bank setzte, fragte mich dieser Freund: „Haste was geglaubt von dem, was du da gerade erzählt hast?“ Da haben Sie in einzelnen Bildern ein wenig von der Atmosphäre, in der ich aufwuchs. Das hatte nichts mit Widerstand zu tun, überhaupt nicht. Aber es war diese Distanz zum Regime da.

      Dennoch waren Sie in der Hitler-Jugend und sind als Sanitäter auch HJ-Führer geworden.

      Ja, diese Sanitätseinheit war vorwiegend auf das Fachliche ausgerichtet. Wir sind dort auch geschliffen‘ worden, wie man damals sagte. Aber insgesamt waren diese Nachmittage am Mittwoch und Samstag ausgefüllt mit ernsthaften Unterweisungen. Die Armee brauchte Sanitäter, wir wurden dafür zu so genannten Feldscheren vorgebildet. Ich bin 1944 drei Wochen zu einem Lehrgang für Feldscher-Führer geschickt worden, in dessen Verlauf auch Ärzte unsere Ausbildung bestritten. Das war etwas anderes als das ewige Marschieren und Exerzieren in den regionalen HJ-Organisationen, lief aber auf die gleichen Zwecke und Ziele hinaus.

      „Heute gruselt es mich vor Auffassungen, die ich damals vertreten habe.“

      Sie wurden nicht im Krieg eingesetzt und waren bei Kriegsende 15 Jahre alt. Mit Ihrer Mutter sind Sie aus Breslau ins heutige Sachsen-Anhalt geflüchtet und später nach Weimar gekommen. Wie standen Sie als Jugendlicher zum Kommunismus?

      Also, ,Kommunismus‘ wäre für mich damals ein Fremdwort gewesen. Mein Vater tauchte im August 1945 überraschend wieder auf – bis dahin wussten wir nicht, ob er in der sogenannten ,Festung Breslau‘ überlebt hatte. Er sagte zu mir: „Weißt du, die Arbeiterparteien müssen zusammengehen.“ Er selbst ging in die KPD, und damit es auch in der SPD ein paar Leute gibt, die diese Notwendigkeit begreifen, sollte ich in die SPD eintreten. Die haben dann in Staßfurt auch einen 15-jährigen aufgenommen.

      Sie sind in der SPD geblieben?

      In Weimar habe ich mich bei der SPD gemeldet, die machten mir aber eher einen trüben Eindruck. Also schloss ich mich der Antifa-Jugend 4 an. Dort lernte ich Leute kennen, die mehrheitlich Kommunisten waren. Aber die Frage ,Kommunismus‘ stellte sich auch dort in diesen Tagen nicht. Über die Antifa bekam ich eine Einladung zu einem Internatslehrgang für junge Kommunisten und Sozialdemokraten. Die Schulung in Camburg galt im Wesentlichen Fragen wie: Was war nach 1933 in Deutschland geschehen? Und was ist Antifaschismus? Prägend wurde für mich damals in Weimar vor allem anderen die Begegnung mit ehemaligen Häftlingen, die

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