Verlorene Zeiten?. Группа авторов

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Gedenkstätten und andere Einrichtungen, die sämtlich pädagogische Aufträge erfüllten. Das war an ideologische Voraussetzungen geknüpft. Die Kommissionen für die Berufslenkung‘ unserer Absolventen konnten am Ende eines Studiums nicht sagen: „Wir haben Sie fachlich gut ausgebildet, nur leider genügen sie unseren politischen Anforderungen nicht.“ Zu der gerade geschilderten Methode, das zu vermeiden, habe ich heute ein kritischeres Verhältnis. Dass mit ihr auch Opportunisten erzogen werden, die sich einfach an die ideologischen Anforderungen anpassten, wusste ich damals schon. Aber ihre negative Folge war vor allem die Rückwirkung in die gesamte Atmosphäre an der Universität.

      Im Unterschied zu manch’ anderen Professoren haben Sie sich diese politische Aufgabe aktiv zu Eigen gemacht. In Ihrer Autobiografie bezeichnen Sie sich ironisch als ,Erziehungsdiktator‘…

      Die Verwendung des Begriffs erschöpft sich nicht in Ironie.

      1976 wurde ein Geschichtsstudent wegen seiner Sympathien für Wolf Biermann für ein Jahr von der Universität geworfen …

      Damals war ich Direktor der Sektion Geschichte. Das Verfahren war das gleiche wie vorher. Ich vermied diesmal lediglich ein Disziplinarverfahren. Wir vereinbarten, dass der Student während seiner Arbeit in einem Berliner Industriebetrieb die Verbindung mit einem unserer Professoren halten konnte. Das geschah. Später kehrte er, wie die 1968 aus der Universität Verwiesenen, zum Studium zurück. Er ist dann auch Mitglied der SED geworden und dies nach meinem Eindruck ohne einen Anflug von Anpassung. So viel zur Erziehungsdiktatur – mit und ohne Anführungszeichen.

      „… dass es Schwierigkeiten zu meistern gibt, aber kein Zurück zum Kapitalismus.“

      Wie haben Sie die Zeit vor der so genannten ,Wende‘ erlebt?

      Ich hatte zu jener Zeit keine Parteifunktion. Aber ich hatte wohl unter meinen gleichaltrigen und jüngeren Kollegen und natürlich auf die Studenten, die sich bei mir fachlich spezialisierten, einen gewissen Einfluss. Ich wusste, dass es an der Universität Genossen gab, die sich mit Reformprojekten beschäftigten, Dieter Klein und andere, die haben mir auch eine ihrer Ausarbeitungen geschickt. 17 Ich war mit meiner Forschung beschäftigt, und ich habe mir von derlei Schreibübungen nicht sehr viel versprochen. Heute erscheint mir auch vieles, was ich 1989 in Parteiversammlungen kritisch gesagt habe, nur als die Bewegung von Luft. Über die Mitglieder im Politbüro ließ sich in der späten DDR eigentlich nur noch sagen: „Geht mit Gott, aber geht“. Das habe ich getan. Es blieb folgenlos für mich, aber ebenso folgenlos in der Sache.

      Spätestens als die Ausreisewelle im Mai 1989 via Ungarn einsetzte, hätte die Staatsführung eine grundsätzliche Verständigung mit der Bevölkerung über Weg und Ziel suchen müssen. Die wäre aber nur mit einem Offenbarungseid über die desolate Lage zu eröffnen gewesen. Damit wären immerhin Millionen Parteimitglieder erreicht und davon sicher viele mobilisiert worden. Das hätte die DDR schwerlich vor dem Ende bewahrt, ihr Untergang hätte sich aber anders und mit anderen Folgen vollzogen.

      Sie haben diesen Staat von Anfang an mit aufgebaut. Doch wenn er untergeht, wird nicht mehr gekämpft?

      Dass der Untergang der DDR bevorsteht, war mir nicht bewusst. Wir waren Sklaven und am Ende Opfer der Vorstellung, dass es zwar noch viele Schwierigkeiten zu meistern gibt, aber kein Zurück zum Kapitalismus. Das lag jenseits unserer Vorstellungen. Die Vorbereitungen auf den 40. Jahrestag der DDR knallten mit der Wirklichkeit zusammen und waren mir zuwider. Meine Reaktion darauf war indessen nicht sonderlich ruhmvoll. Ich bin im Herbst 1989 zu einer Konferenz nach Oldenburg in den Westen gefahren, dann zu meinem guten Bekannten, einem Pfarrer in Bremen. Wir besuchten abends am 7. Oktober eine Aufführung von ,Cosi fan tutte‘. Danach sahen wir im Fernsehen, was sich in Berlin abgespielt hatte. 18 Am nächsten Morgen ging ich mit einer mir gut bekannten Kollegin die Weser entlang und habe sie gefragt: „Soll ich an der Universität weiter machen oder in die Politik gehen“. Ich erhielt zur Antwort: „Lass da mal die Jüngeren ’ran.“ Ich blieb ihr für diesen Rat bis heute dankbar. Anschließend fuhr ich nach Wien zu einer Konferenz und arbeitete danach dort in einem Archiv. Ein Wissenschaftler, wenn er an seiner Profession hängt, hat immer die Möglichkeit zu solcherlei Flucht.

      Nach der ,Wende‘ gab es an der HU große Konflikte. Insbesondere wegen ihrer Staatsnähe sollte die Sektion Geschichte vollständig abgewickelt werden.

      Die Abwicklung ist formal gescheitert, aber dann auf anderem Wege doch durchgesetzt worden. Lassen wir die vorgetäuschten und die wirklichen Gründe für unsere Abwicklung einen Moment beiseite. Zunächst überfiel der noch amtierende Direktor die Kollegen in einer öffentlichen Versammlung mit einer kritischen Betrachtung zur Geschichte der Sektion, an der dieser selbst lange gearbeitet hatte. Das war der Auftakt einer Selbstbefragung, von der später behauptet worden ist, es habe sie nicht gegeben oder sie wäre nur unter Zwang zustande gekommen. Ich sprach in der Debatte über meine Verantwortung für jene Maßnahmen gegen Studenten, von denen wir schon redeten. Darüber erschien dann aus der Feder eines Journalisten, der selbst gar nicht anwesend war, ein Bericht in einer Westzeitung. 19

      Sie waren sofort einer derjenigen, die im Zentrum der Kritik standen?

      Es gab zunächst eine Kommission aus Angehörigen unserer Sektion, die über die Zukunft der Sektion Geschichte beriet. Die verfiel auf die Vorstellung, wenn wir das Boot erleichtern, schwimmt es weiter. Ich galt als solcher Ballast. Im Grunde wurde da im vorauseilenden Gehorsam gegenüber den zu erwartenden neuen Herren gehandelt. Die traten alsbald selbst in Aktion. Geht ein Staat unter, sei es im Ergebnis einer Revolution oder einer Konterrevolution, haben die ihn prägenden Personen ihre Plätze zu räumen. Sie gelten mindestens als unbrauchbar. Das ist das Normalste in der Geschichte. Mir kamen stets die Historiker lächerlich vor, die sich über Geschichte beschweren. Und ich habe die guten Freunde und Bekannten bestaunt, die im Hinblick auf das ihnen Bevorstehende Illusionen hatten und wundere mich bis heute über die dabei zutage getretene Naivität. Meine Entlassung Ende 1992 hat mich nicht überrascht. Allenfalls, dass sie relativ spät erfolgte. Zunächst hatten die Verantwortlichen wohl gehofft, dass sich meine Kündigung mit Hilfe von Stasi-Unterlagen bewerkstelligen ließe, die mich belasten würden. Dann musste für meine Entlassung doch eine andere Begründung verfertigt werden, die vor dem Arbeitsgericht standhält. Das war angesichts der politischen Orientierung der Arbeitsrichter aber keine allzu schwierige Aufgabe.

      „Die Idee des Aufbruchs in eine Gesellschaft ohne Krieg, ohne Ausbeutung …“

      Sie sind dann arbeitslos geworden und in den Vorruhestand gegangen.

      Ich wollte zu der Beerdigung eines Kollegen nach Leipzig fahren und sollte, um mich aus der Stadt entfernen zu dürfen, dies beim Arbeitsamt beantragen! Darauf habe ich mit einem anderen Antrag reagiert, nämlich dem auf Einritt in den Vorruhestand. Materielle Konsequenzen hatte das auch deshalb nicht, weil meine Frau als Historikerin vor allem in der Forschung weiter arbeitete. Die Härte der Abwicklung betraf auf Jahre hinaus und bis heute vor allem meine jüngeren Kollegen, von denen manche unter den Segnungen von Hartz IV leben und dabei forschen und zu publizieren suchen. Das tue ich unter den vergleichsweise privilegierten Bedingungen eines Rentners nach Osttarif. Manches ist dabei zum Druck gelangt. Ein früherer Student hat mir bei einer zufälligen Begegnung gesagt: „Wenn man Sie nicht rausgeschmissen hätte, hätten sie sicher nicht so viel geschrieben.“ Punkt.

      Die 40 Jahre in der DDR – waren die für Sie verlorene Zeiten‘?

      Für mich, wie für viele andere meiner Herkunft, gilt, dass sich uns 1945 Möglichkeiten eröffnet haben, die sich eben nur durch diesen Weg in die DDR und dann in ihr eröffneten – Wege in die Wissenschaft, ein Tor zur Kultur, Arbeitsfelder, die uns lohnend schienen und es waren. Eine Ökonomin, einstige Jenaer Kommilitonin, sagte mir das mit dem Blick auf ihre Biografie so: „Ohne dieses ‘45 wäre ich wie meine Vorfahren Näherin

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