Verlorene Zeiten?. Группа авторов

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Griewank hat es wahrscheinlich so ausgesehen, dass hinter den Angriffen der Studenten die mächtige SED stand. Insofern hatte er dann mit Ihren Polemiken auch für seine Person größere Befürchtungen zu verknüpfen?

      Ich bin mit Kollegen, mit denen ich mich gelegentlich über Vergangenes unterhalte, der Meinung: Karl Griewank wäre nicht in der DDR geblieben. Das ist eine Vermutung, für die vieles spricht. Die Festlegung auf den Historischen Materialismus empfand er als eine geistige Einschränkung, wenn nicht Vergewaltigung. Aber dass er in diesem ,Kalten Krieg‘ und seinen ideologischen Auseinandersetzungen zerrieben worden ist, wie es später dargestellt wurde, das abstrahiert von sehr persönlichen und privaten Gründen seines Endes. Später erst wurde bekannt, dass Griewank in jungen Jahren schwer erkrankt war und an Depressionen litt. Ich bewahre ihm mehr als ein bloßes Andenken. Mit Walter Schmidt, meinem Kollegen und Freund, bin ich im Jahr 2000 zu Griewanks Ehrung in dessen Geburtsort Bützow in Mecklenburg gefahren, als dort seines 100. Geburtstages gedacht wurde. 12 Sein Gutachten für meine Abschlussarbeit, das ich erst vor Jahren lesen konnte, war fair und wohlwollend! Das war lange nach unseren Diskussionen geschrieben und in seiner Kritik wohlfundiert. Ich habe hoffentlich meine späteren Studenten genauso für voll genommen wie er mich …

      „Die Judenverfolgung war nicht nur Produkt eines irrationalen Wahns.“

      Als Historiker haben Sie sich seit Mitte der 1960er Jahre auf Faschismusforschung spezialisiert. Wie kam es zu diesem Forschungsinteresse?

      Die Spezialisierung ist relativ zufällig vor sich gegangen. Ich ging in das Deutsche Zentralarchiv in Potsdam. Dort begann ich, mich mit den Überlieferungen für die Jahre 1933/34 bekannt zu machen. Da ging mir auf, dass in meinen eigenen Vorstellungen und wohl auch in den bis dahin verbreiteten Darstellungen die Rolle des Antisemitismus für die Judenverfolgung, jedenfalls für diese Frühphase der Diktatur, unterbewertet oder gar nicht belichtet wurde. Es war zunächst einfach Neugierde, die ja jeder als Historiker mitbringt, und das Gespür, auf eine Fährte geraten zu sein.

      Antisemitismus und Judenverfolgung als eigenständige historische Themen spielten in der Diskussion um den Faschismus nicht gerade eine zentrale Rolle.

      Man kann streiten, ob das Thema Juden‘ damals im Geschichtsdenken den angemessenen Platz besetzte. Übrigens nicht nur in der DDR, sondern auch in der BRD und in anderen Ländern. Zweifelsfrei ist jedoch, auf wie vielen Ebenen von Kunst und Literatur das Thema in der DDR ,lebte‘ – bald wird darüber endlich eine bibliografische Übersicht erscheinen. Mein Interesse wurde damals gefördert durch das Zusammentreffen mit Juden, vorwiegend Kommunisten, denen ich in jungen Jahren Orientierung verdankte. Das gilt insbesondere für Stefan Heymann und dessen früh erschienene Abhandlung. 13 Filme wie ,Ehe im Schatten‘, ,Die Buntkarierten‘ und andere haben das Schicksal der Juden ins Bewusstsein vieler gerückt. 14 Heute wird davon kaum Notiz genommen. Jedenfalls war ich Mitte der sechziger Jahre, als ich mich mit der Judenverfolgung forschend zu befassen begann, nicht in der Situation, dass ich irgendeinen Durchbruch hätte erzielen müssen.

      Ihnen ging es damals auch darum, die Auffassungen eines Kollegen zu widerlegen …

      Sie sprechen von Rudi Goguel. 15 Wir kannten einander flüchtig. Ich respektierte ihn nicht nur wegen der Art, in der er seine Sache vertrat, sondern ebenso wegen seiner Biografie – er war als Widerstandskämpfer im KZ gewesen. Unsere fachliche Meinungsverschiedenheit lässt sich knapp so charakterisieren: Er reduzierte das Motiv für die Judenverfolgung auf die faschistische Ideologie. Ich war zwar auch der Meinung: Ohne Ideologie, also ohne den Rassismus und Antisemitismus, lässt sich vom Geschehenen mit Sicherheit nichts erklären! Aber in dem Prozess, in dem sich diese Ideologie in Massenverbrechen umsetzte, wirkten eine ganze Reihe anderer Motive mit. Und zwar politische, wirtschaftliche und taktische Kalküle: zum Beispiel das Interesse an der Bereicherung am Eigentum der vertriebenen und ermordeten Juden! Und dann im Kriege das reale Interesse, alte imperialistische Eroberungsziele zu erreichen. Die hatten in der deutschen Außenpolitik schon vorher eine Rolle gespielt, waren nun aber nationalsozialistisch geprägt. Nichtsdestoweniger sind Historiker dabei geblieben, in der Vernichtung der Juden den Beweis zu erblicken, dass hier ,reine‘ Ideologie regiert habe und nicht imperialistische Interessenpolitik. Da sei nur noch Wahn, nur noch Hass, und da höre dann das Kalkül auf. Und da gehe ich nicht mit. Diese Abtrennung des Holocaust vom Krieg und seinen Zielen scheint mir verfehlt. Die Judenverfolgung war nicht nur Produkt eines irrationalen Wahns.

      Wie stehen Sie heute zur berühmten ,Dimitroff-Formel‘, die das Finanzkapital‘ für den Faschismus verantwortlich macht? 16

      Die Tatsache, dass diese faschistische Diktatur, ob in Italien oder Deutschland, auf der Basis der kapitalistischen Gesellschaft entstanden war, ist nicht zu bestreiten. Dann stellt sich die Frage: War das ein Zufall oder eine mögliche Ausprägung dieser Gesellschaft, die sie unter bestimmten Umständen annimmt. Wir haben uns in den internen Diskussionen unter marxistischen Historikern in den 1960er Jahren von der Auffassung getrennt, dass Faschismus ein gesetzmäßiges, zwangsläufiges Produkt der kapitalistischen Gesellschaftsentwicklung sei. Nur: Der Versuch, die Herrschaft des Kapitals von der Verantwortung für die Entstehung faschistischer Diktaturen freizusprechen‘, dauert fort, obwohl er auf Quellen nicht gestützt werden kann. Er ist – sehen Sie heute in die Schulbücher! – gleichsam verordnet. Der Lernprozess ist auf diesem Felde bisher etwas einseitig verlaufen.

      In der Bundesrepublik wurde zum Nationalsozialismus oft auch in gesellschaftskritischer Absicht geforscht. Es ging darum, die Mitverantwortung weiter Bevölkerungsteile zu demonstrieren oder auch Kontinuitäten aufzuzeigen. Hatten Sie ähnliche Intentionen?

      Na, da war ich doch in einer anderen Situation als die Historiker in der Bundesrepublik. Die Auseinandersetzung um die Frage ,Was haben die Deutschen angerichtet?‘ war in der DDR gesellschaftlich von Anfang an viel breiter angelegt, unabhängig von aller später einsetzenden Forschung. 1950 hat die DDR die Oder-Neiße-Grenze anerkannt, das machte schmerzlich bewusst, was da im Osten angerichtet worden war. Gleiches taten auch die Reparationen, die an die Sowjetunion zu leisten waren. Heute ist kaum noch richtig vorstellbar, was das bedeutet hat! Wenn tausende von Arbeitern Dinge herstellen, die sie selbst nötig und gut gebrauchen können, und wissen: Das geht alles in Waggons und die fahren Richtung Moskau. Damit war die Vergangenheit gegenwärtig. Es gab einen Zwang zu erklären, warum hier eine Rechnung beglichen werden musste. Damit ist die aufklärerische Leistung der frühen Antifaschisten und der später beteiligten Geschichtswissenschaft nicht ignoriert. Diese Leute waren und blieben zwar eine Minderheit. Doch bestimmte diese Minderheit das gesellschaftliche Klima zunehmend.

      „In der DDR gingen alle Geschichtsabsolventen in den Staatsdienst.“

      Seit 1965 waren Sie Hochschullehrer an der Humboldt-Universität in Berlin und haben dort auch politische Maßnahmen gegen Studenten unterstützt. Sehen Sie da eine Linie zum Parteisekretär Kurt Pätzold, der damals an der Jenaer Universität aufgetreten war?

      Die Kontinuität besteht darin, dass ich von der Überzeugung geleitet blieb, an diesem Platze kannst du Menschen für eine gute und gerechte Sache gewinnen. Nun ist seit 1990 davon ein Bild entworfen worden, demzufolge das mit Mitteln des ideologischen und sonstigen Drucks geschehen sei. Zum Beweis dafür werden politische Auseinandersetzungen angeführt, die damit endeten, dass Studenten gezwungen wurden, sich die ,Welt DDR‘ zeitweilig nicht aus der Perspektive der Hörsaalbank, sondern aus der eines Produktionsbetriebes, von einer Werkbank aus anzusehen. Wir reden in meinem Fall von fünf Studenten, was die Sache nicht besser macht, aber bestimmte, absichtlich übertriebene Vorstellungen korrigiert. Das war ein harter Eingriff in die Biografie junger Menschen. Später habe ich mich gefragt: „Wie sähe ich die Sache an, wenn einer der Betroffenen sich einen Strick genommen hätte?“ Das habe ich damals nicht bedacht.

      Warum haben Sie so eine mögliche Entwicklung nicht bedacht?

      Wir

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