Brothers in Crime. Wolfgang Pohrt

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Brothers in Crime - Wolfgang Pohrt

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Reformanhänger durchgeführt werden mussten, für die Ausstellung von behördlich gestempelten Karten an Capones Revolvermänner mit dem Wortlaut: ›An das Polizeidepartment. Dem Inhaber ist jederzeit Schutz und Hilfe zu gewähren‹.« (Köhler 1981:185f.)

      Wenn die Polizei ohne viel Heimlichtuerei mit den Verbrechern gemeinsame Sache macht, vergeht die augenfällige Differenz, an welcher das moralische Unterscheidungsvermögen sich bildet – ohne Evidenz keine Reflexion. Weil die Guten nicht mehr an der Uniform zu erkennen sind, wird der Unterschied zwischen Gut und Böse unsichtbar. An der Differenz weiterhin festzuhalten, setzt nun den tröstlichen Glauben voraus, dass die moralischen Qualitäten sich nach innen verlagert hätten und dort, gleichsam im Verborgenen, fortexistieren würden. Ihn stärken Privatdetektive wie Chandlers Marlowe, aber die Helden der Leinwand und der Groschenromane sind solche des Übergangs. Sie repräsentieren Verschwundenes, solange das Publikum ihm nachtrauert. Doch die Trauer hört auf, wenn die Erinnerung an das Verschwundene erloschen ist.

      Die Gangsterfilme und Wildwestfilme fesseln seit den Zwanziger Jahren das Publikum, weil es sich noch zurücksehnt nach Bedingungen, die vom Einzelnen moralische Entscheidungen verlangen. Das Wunderbare an der Pflicht, ein gottgefälliges Leben zu führen, ist, dass sie dem Einzelnen die Freiheit lässt, sich statt mit Gott lieber mit dem Teufel zu verbünden. Er kann auch Schurke, Bandit, Verbrecher werden, wenn er will, zumindest kann er mit dieser Möglichkeit liebäugeln. Sie existiert nicht mehr, wenn einer, der Justizbeamter war und Schieber wird, nur die Abteilung wechselt, aber bei der gleichen Firma bleibt. Sogar die Anforderungen sind überall dieselben. Wie in der Oberwelt kommt in der Unterwelt nur voran, wer sich zum leitenden Angestellten eignet.

      Weil ihr Beruf kein Gegenbild zum eintönigen, grauen Alltag normaler Menschen ist, stehen Berufsganoven nicht besser als Buchhalter oder Akademiker da. Sie brauchen Krimis, sie verschlingen das Zeug, wie Kenner der Szene zu berichten wissen. Joseph F. O'Brien und Andris Kurins schreiben in ihrem auf Abhörprotokollen basierenden Buch Ehrenwerte Männer. Das FBI und der Pate von New York, die Paten-Filme hätten den »Verbrechern eine Menge vorgestanzter Sätze an die Hand gegeben, die sie sagen konnten, wenn sie hart, ehrlich, rechtschaffen oder gar weise klingen wollten« (O'Brien/Kunis 1992:46), und überhaupt: »Die Mafia – oder zumindest die auserwählte Gruppe Mafiosi, die lesen kann – liest gern über sich selbst. Die Analphabeten warten auf den Film. Wie auch immer, die Mobster holen sich ihr Geschichtsbewusstsein bei den Medien. Die Tradition, der Kodex – man kann ohne größere Übertreibung sagen, dass diese Dinge nun in der Obhut von Redakteuren und Drehbuchautoren hegen.« (O'Brien/Kunis 1992:241)6

      Statt außerhalb der Gesellschaft zu stehen, sind die neuen Banden ein Teil von ihr – schlecht für die Gesellschaft, aber eine Katastrophe für Bonnie and Clyde. Sie haben keine Chance, wenn jeder sich mit den Verhältnissen arrangieren muss, weil die Bandenreviere nicht mehr Jagdgebieten gleichen, wo der Mensch umherstreifen und wildern kann, ohne dass er vorher infiltriert und organisiert. Wie die Machtsphären, welche die Hegemonialstaaten um sich herum installierten, waren die Bandenreviere nun Gebietskartelle. Die Unterwelt hatte dort Regeln des Zusammenlebens festzulegen und deren Einhaltung zu überwachen. Wo der Staat aufhörte und die kriminelle Vereinigung anfing, war für das ungeschulte Auge kaum noch zu erkennen.

      Schwer zu klären war auch die Urheberschaft. Nach herkömmlicher Vorstellung ist die Bande eine Vereinigung, die auf Entschlüssen und Plänen beruht. Ihre Unternehmungen bedürfen des bösen Willens identifizierbarer Subjekte und der Verabredung solcher Subjekte zur schlimmen Tat. Sich beteiligen heißt, eine Entscheidung zu treffen. Man kündigt dann den Gesellschaftsvertrag, dem keiner ausdrücklich zustimmen muss, weil die Zustimmung durch Schweigen als Normalfall gilt.

      Nun aber kehrte sich dies Verhältnis um, weil es in den großen Städten Gebiete gab, wo die Bandenbildung zum Normalfall wurde. Die Banden der Zwanziger Jahre waren in der großen Überzahl mehr gesellschaftliches Naturprodukt als Konstrukt, weniger organisiert als organisch. Sie schienen der Naturzustand des gesellschaftlichen Lebens der Menschen zu sein, dessen temporäre Aussetzung einer besonderen Willensanstrengung bedarf.

      »Formal society is always more or less conscious of the end for which it exists, and the organization through which this end is achieved is always more or less a product of design«, schrieb Robert E. Park im Vorwort zu Thrashers großer Banden-Studie.

      Unter einem Verband, der sich seines Zwecks bewusst ist, und der nun ausgetüftelte Mittel einsetzt, um diesen Zweck zu erreichen, hätte man sich früher eine Räuberbande vorgestellt: Leute beschließen, gemeinsam Tresore zu knacken, und gemäß diesem Ziel werden Manpower, Know-how und Logistik beschafft. Gesellschaft hingegen, hätte man ferner gedacht, bedarf keines bewussten Zwecks. Sie ist lebensnotwendig und geht daher aller bewussten Zwecksetzung voraus.

      Bei Robert E. Park aber sind nun die Banden das, was früher Gesellschaft war. Sie entstehen einfach, ohne Absicht und Zutun, ohne dass jemand sät und pflegt, eben wie Unkraut am Straßenrand: »But gangs grow like weeds, without consciousness of their aims, and without administrative machinery to achieve them. They are, in fact, so spontaneous in their origin, and so little conscious of the purposes for which they exist, that one is tempted to think of them as predetermined, foreordained, and ›instinctive‹, and so, quite independent of the environment in which they ordinarily are found.« (Thrasher 1947:ix, f.)

      *

      Wenn Banden sich immer und überall bilden und ihre Reviere Gebietskartellen gleichen, entsteht die verwaltete Welt. Den Ort für »Freiheit und Abenteuer«, den die Zigarettenreklame verspricht, gibt es nirgends als im Urwald. Wie unter den Lebewesen in der Natur gilt in der menschlichen Gesellschaft die Regel »Jedes Plätzchen ist vermietet und verpachtet«. Solche Verhältnisse fand Frederic Thrasher vor, als er um 1920 mit seiner großen, 1927 erschienenen Studie über Chicagoer Jugendgangs begann. Die territorialen Verhältnisse, die der Sozialforscher fand, waren so verwickelt, dass er es für nötig hielt, dem Bericht einen großformatigen, um eigene Eintragungen ergänzten Stadtplan beizufügen. Die Reviere der Banden waren darin markiert, außerdem die Wohngebiete der verschiedenen Bevölkerungsgruppen – manche besaßen mehrere Siedlungsräume, verteilt über die ganze Stadt. Eine Folge ethnisch homogener Wohngegenden ist, dass sich auch ethnisch homogene Straßenbanden Jugendlicher bilden. Von den 1.313 Gangs, die Thrasher und seine Mitarbeiter fanden, wurden 880 genau genug studiert, um Auskunft über die darin vertretenen Nationalitäten geben zu können (Thrasher 1947:191):

Nationalität absolut in Prozent
Mixed nationalities35139,89
Polish14816,82
Italian9911,25
Irish758,52
Negro637,16
American-white455,11
Mixed negro-white252,84
Jewish202,27
Slavic161,82
Bohemian121,36
German80,91
Swedish70,79
Lithuanian60,69
Miscellaneous50,57
Total880100,00

      Zusammen bilden die aneinandergrenzenden oder sich auch überschneidenden Reviere der Banden das, was Thrasher einprägsam Gangland nennt. Je nach sozialer Topographie der Stadt kann es verschiedene Formen besitzen. Chicagos Gangland zum Beispiel ist – zu Thrashers Zeit – ein bratwurstförmiges Gebilde, welches das Geschäftszentrum der Stadt von drei Seiten umschließt. Wenn man es durchquert, kommt man in die besseren Wohnviertel weiter außerhalb. Kennzeichnend für die Zwischenzone sind Gleisanlagen, Fabriken, Brauereien, Lagerhäuser, Schutthalden, Brachflächen, Abwasserkanäle, Docks, heruntergekommene, unverputzte, verschmierte, rauchgeschwärzte, oft baufällige Gebäude. Außerdem ist das Gebiet übervölkert, bis zu 50.000 Personen pro Quadratmeile werden dort gezählt. Keiner hat sich die Gegend ausgesucht, keiner will dort bleiben, die Bevölkerung

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