Brothers in Crime. Wolfgang Pohrt
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Der Anhängerschaft wie unter Berufsganoven mit dem Genickschusskommando zu drohen, verrät eine Unsicherheit, die es bei der Guerilla nicht gibt. Im Unterschied zu Lenins altertümlichem Verein mit seinem Hang zu Kontrolle und Paranoia kann die Guerilla auf Strafmaßnahmen gegen Abtrünnige verzichten. Wer unzuverlässig ist, kommt erst gar nicht rein.
Wegweisend war, dass die Guerilla das herkömmliche Trainingslager mit einem erst später in Mode gekommenen Ausleseverfahren für Stellenbewerber kombinierte, das sich Assessment-Center nennt. Ziel dabei ist, »in zwei, drei Tagen ›das Innerste der Kandidaten nach außen kehren‹« (FAZ vom 20.4.96). Man will, wie in der Wohngemeinschaft, die »soziale Kompetenz« des Probanden kennenlernen, seine »Persönlichkeit«: »Wer entpuppt sich als Leithirsch, wer kommt nicht zu Wort, wer macht sich mit einer Außenseitermeinung lächerlich?« Unerlässlich daher, »dass ständig jemand dabei ist, meist im Rücken, der sich Notizen macht.«
Protokollanten sind Angestellte, die aus Nachlässigkeit oder Dummheit irren können, die Guerilla braucht sie nicht. Was eine Person unter Extrembedingungen tut und wie sie reagiert, spielt sich hier 24 Stunden täglich vor den Augen aller ab, umfassenderes Beobachtungsmaterial liefern nicht mal Überwachungskameras im Labor. Kein noch so kleiner Rest Privatleben existiert, wo der Einzelne der Kontrolle durch die Gruppe und ihrem Konformitätsdruck wenigstens temporär entzogen wäre. Im Vergleich zur Guerilla stellen lizenzierte Agenturen wie Internat, Gefängnis, Erziehungsheim und Kaserne nur Behelfslösungen dar. Zellen, Mauern und Zäune sind immer Flickwerk am unvollkommenen System. Wo es perfekt ist, sind sie überflüssig, auf hoher See wie im Dschungel.
Nicht müde wird Debray daher, die erzieherische Kraft des Lebens in der Natur zu rühmen. Unwegsame Berge können »den Bürger und den Bauern zum Proletarier« machen, in der Stadt werden »selbst Proletarier Bürger« (79f.). Dort nämlich genießt der Einzelne eine gewisse Unabhängigkeit vom Kollektiv. Faulenzen, wenn alle arbeiten, ist mit Nachteilen verbunden, aber möglich. Wer den eigenen Regungen nachgeben kann, braucht sie nicht mit aller Härte niederkämpfen. Weich gegen sich selbst, ist er auch weich gegen andere, zur Ausübung von Herrschaft eignet er sich kaum.
Die Befähigung dazu muss er erst erwerben: »Man sagt ganz richtig, dass wir im Sozialen baden: Lange Bäder verweichlichen. Es gibt nichts Besseres, als aus ihnen auszusteigen, um sich bewusst zu werden, wieweit dieser lauwarme Brutkasten kindisch macht und verbürgert.
Während der ersten Zeit in den Bergen ist das Leben ganz einfach ein täglicher Kampf, in seinen kleinsten Einzelheiten — und zuallererst ein Kampf des Guérillero gegen sich selbst, um seine alten Gewohnheiten zu überwinden, die Narben, die der Brutkasten in seinem Körper hinterlassen hat, die Schwäche. Der Feind, den es in den ersten Monaten zu besiegen gilt, ist man selbst.« (75)
So geht es allen, die besonderen Bedürfnisse und Wünsche eines jeden sind der gemeinsame Feind. Die Gruppe ist Kampf- und Leidensgemeinschaft, auch ohne militärischen Gegner. Aus kollektiver Selbstunterwerfung macht sie soziale Kohärenz: »Das Zusammenleben, die Kämpfe, und die gemeinsam ertragenen Strapazen schmieden langsam ein Bündnis, das die einfache Kraft der Freundschaft hat.« (117)
Die gleiche »einfache Kraft der Freundschaft« entsteht überall, wo das Zusammensein für den Einzelnen Entsagung und Qual bedeutet, oft in der geschlechtshomogenen Gruppe. Sie wächst zusammen in der Sauna, beim Mannschaftssport, beim Trinkgelage, bei der Sitzung, die bis zur physischen Erschöpfung aller Beteiligten dauert. Heute erfüllt fast jede Art von Geselligkeit diesen Zweck.
Bei der Guerilla aber ist die Bindewirkung ungleich stärker, weil hier das kollektive Martyrium nicht inszeniert werden braucht. Es ist die Konsequenz aus Bedingungen, unter welchen die schiere physische Selbsterhaltung von jedem die Selbstaufgabe als Person verlangt. Anderswo wird es bloß behauptet, hier stimmt es, »dass man nicht allein überleben kann. Das Interesse der Gruppe ist auch das jedes Einzelnen – und umgekehrt. Leben und siegen, d.h., dass alle zusammenleben und siegen« (117) – oder sterben, wie man hinzufügen darf.
Wo alle im Interesse des eigenen Überlebens sich permanent dem Allgemeinwohl unterordnen müssen, werden individuelle Unterschiede zwischen den Einzelnen ausgelöscht. Sie kennen irgendwann sich selbst nicht mehr, sie kennen nur noch die Gruppe, die hinsichtlich des Zusammenhalts allen ähnlichen Verbindungen überlegen ist. Selbst beim Himmelfahrtskommando, und sogar in der Fremdenlegion, weiß der reguläre Soldat eine Armee hinter sich. Für den Guérillero existiert außer seinen Kameraden nichts. Dies Angewiesensein aufeinander bedeutet für jeden Einzelnen Restriktionen »von einer Unerbittlichkeit«, »die der Contrat social nicht kennt« (122).
Die eine mögliche Schlussfolgerung daraus wäre der Verzicht. Die Kämpfer für eine bessere Gesellschaft ziehen sich zurück im Moment, wo das Ziel erreicht ist. Den Grund dafür hat Oppenheimer in seinem Guerilla-Buch erläutert. Menschen, schreibt er, die als Untergrundkämpfer leben müssen; die sich an solche Bedingungen gewöhnen und sich am Ende darin sogar »wohlfühlen, können, und wenn sie sich noch so leidenschaftlich darum bemühen, keine Gesellschaft hervorbringen, die von den Gesetzen der Menschlichkeit regiert wird. Das war der Grund, warum es Moses lediglich gestattet war, das Gelobte Land zu sehen, nicht aber, es zu betreten.« (Oppenheimer 1972:70f.)
Die andere Konsequenz zieht Debray: Die Kämpfer sollen im Triumphmarsch einmarschieren und Beute machen dürfen. So war es immer, nur Debrays Begründung ist neu. Die Depersonalisierung der Einzelnen in der Kampfgruppe gilt ihm als exemplarisch für die Transformation der Klassengesellschaft in die klassenlose. Der Guerilla-Krieg samt seiner Grausamkeiten und Strapazen stellt sich deshalb als gelebter Sozialismus im Kleinen dar. Es versteht sich dann von selbst, dass später einen besonderen Rang einnehmen wird, wer dabei war: »Ist das nicht die beste Ausbildung für einen sozialistischen Führer oder Kader?« (Debray 1967:118) Der Guérillero weiß aus Erfahrung und Selbsterfahrung, wie und durch welche Mittel man Menschen dazu bringt, sich nicht als freie Einzelwesen, sondern als Mitglieder einer Schicksalsgemeinschaft zu begreifen. Und er hat es schätzen und lieben gelernt, dass Menschen mit solchem Bewusstsein einen unschlagbaren Kampfverband bilden.
Wird ein Mann mit diesem Erfahrungsschatz als optimaler Bewerber für die Stelle eines »sozialistischen Führers« eingestuft, so kann dies nur heißen, dass die ganze Menschheit ein unschlagbarer Kampfverband werden soll, so tüchtig, klassenlos und homogen wie eine Guerillagruppe. Nicht der Kampf hört also auf, wenn die Revolution gesiegt hat, nur die Zerstrittenheit der Kämpfer. Vereint und gestärkt ziehen sie dann in immer neue Schlachten, gegen den Hunger, die Armut, den Analphabetismus, die Liste der Feinde ist endlos.
Als Leitvorstellung, die hinter solchen Szenarien sich verbirgt, haben Adorno und Horkheimer die Idee von der »menschlichen Gesellschaft als einem Massen-Racket2 in der Natur« entziffert. (Adorno Bd.3:292) Das Bandenwesen soll nicht abgeschafft werden, sondern sich unbehindert entfalten dürfen, und mit einigem Recht könnten die Revolutionäre von damals heute sagen: »Wir haben gesiegt.«
Aufsteiger
Dass die Menschen im Kapitalismus das Objekt übermächtiger ökonomischer Prozesse sind, welche zur Konzentration von Reichtum und Macht in den Händen kleiner Minderheiten führen, ist ein unbestreitbarer Sachverhalt. Nimmt man hinzu, dass die so beschaffene Gesellschaft Gleichheit und Freiheit für sich reklamiert, wird aus der Tatsachenfeststellung Kritik.
Auch Debray misst die Realität der bürgerlichen Gesellschaft an ihrem Selbstverständnis.