Brothers in Crime. Wolfgang Pohrt
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Horkheimer hatte die gleiche Vermutung, nur bewertete er den vermuteten Zusammenhang anders. Richtig ist zwar, dass die Gruppen, Cliquen und Banden, revolutionär oder nicht, kontrastreicher abbilden, was das Wesen des Zusammenhalts in der bürgerlichen Gesellschaft ist. Aber das spricht nicht für jene Gruppen, sondern es spricht gegen die bestehende Gesellschaft. In ihr ist das Regime der Zwangsverbände nur verschleiert und temporär gemildert, abgeschafft ist es nicht. Die alten Kasten und Stammesgebilde leben hinter der Fassade fort in neuer Form, und die Ursache dieser Kontinuität ist die der Herrschaft selbst.
Dergleichen Überlegungen hat Horkheimer vielerorts formuliert, unter anderem in Die Rackets und der Geist, einer Schrift, die im Zusammenhang mit der Arbeit an der Dialektik der Aufklärung entstanden ist. Sie beginnt mit dem Satz: »Die Grundform der Herrschaft ist das Racket.«
Als Einmannbetrieb erscheint die Herrschaft häufig zwar. Aber selbst in der simplen Urhorde kann der Obergorilla den ganzen Verein nur kontrollieren, wenn der schon hierarchisch gegliedert ist. So stark ist keiner, dass er ganz allein alle anderen bezwingt. Sie könnten ihn in Stücke reißen, wenn sie sich nur zusammentun. Der Anführer braucht daher, wenn er sich behaupten will, die Gruppe der nächststarken Männchen. Sie helfen ihm, sie stützen seine Position, denn sie »wachen gegenüber den minder starken ebenso eifersüchtig über ihre Vorrechte wie ihnen gegenüber der Patriarch.« (Horkheimer Bd. 12: 287)
Macht ist zunächst mit physischer Kraft identisch, aber die Arbeitsteilung bringt mit neuen gesellschaftlichen Funktionen auch neue Kommandostrukturen ins Spiel. Befehlsgewalt und Vorrechte hat, wer die Schlüsselpositionen besetzt. Die Einzelnen können dies nur als Mitglieder einer Gruppe, und jede Gruppe setzt alle anderen voraus. Also hat man die Gesellschaft als ein abgestuftes System von Gruppen mit unterschiedlichem Anteil an Vermögen und Macht zu begreifen, und damit es so bleibt, müssen die Gruppen ihre Exklusivität verteidigen. Könnte jeder dem Club der Milliardäre beitreten, hätte man bald statt vieler Gruppen nur noch eine.
Der Beitritt ist daher stets an eine ganze Reihe von Bedingungen geknüpft, und je nach Herkunft des Bewerbers fallen sie verschieden aus. In einen Stand oder eine Kaste hineingeboren zu werden, reicht selbstverständlich nicht, auch Kinder privilegierter Eltern müssen vor der Aufnahme in den Privilegierten-Club vielfältige Prüfungen absolvieren. Das bedrohliche Brimborium und die Paukerei lehren den Nachwuchs, das Dabeisein als eine Gunst zu schätzen, die entzogen werden kann. Wenn der Junge aus gutem Haus gezwungen wurde, sich durch das verhasste Gymnasium zu quälen, und wenn er dann das Abitur nur durch Protektion seines Vaters bekommen hat, ist er klüger geworden. Er weiß, dass man ohne die eigene Sippe und Clique verloren ist.
Bei »Individuen, die nicht auf Grund der Abstammung schon ein Anrecht haben, in ein Racket aufgenommen zu werden«, kommt erschwerend hinzu, dass der Bewerber die Auswahlkriterien nicht weiß. In diesem Fall »gleicht die Prozedur nicht der Aufnahme der Jugendlichen in den Stamm, sondern der Einweihung ins bevorzugte Racket der Zauberer.« Aus Gründen des Machterhalts gibt sich die Clique rätselhaft, ihre Ratschlüsse müssen für Außenstehende unbegreiflich und unberechenbar bleiben. Leistung kann keinen Anspruch begründen, wenn unbekannt bleibt, welche zählt.
Gnade wiederum kann nur erwarten, wer aufgegeben hat. Er muss bereit sein, alles mit sich geschehen zu lassen. Zum Beitrittsritual gehört daher bei Jugendbanden oft, dass der Neuankömmling eine Tracht Prügel ohne Gegenwehr über sich ergehen lässt. Er muss die Schläge und die Demütigung wegstecken können, er darf nicht wehleidig, übelnehmerisch oder gar nachtragend sein. Er darf also weder Stolz besitzen noch Gedächtnis, vor allem aber keinen Hass.3 Andernfalls wäre zu befürchten, dass er die neue Position zum Begleichen alter Rechnungen nutzt. Wer drin ist, soll schon vergessen haben, wie man ihn behandelt hatte, als er ein Außenstehender war.
Deshalb ist an den Beitritt zur privilegierten Gruppe die Bedingung geknüpft, dass der Einzelne sich selber nicht mehr kenne. Berufsrevolutionäre, dekretierte Lenin, hätten dies zu sein und sonst nichts: »Hinter diesem allgemeinen Merkmal der Mitglieder einer solchen Organisation muss jeder Unterschied zwischen Arbeitern und Intellektuellen, von den beruflichen Unterschieden des einen wie des anderen ganz zu schweigen, völlig zurücktreten.« (Zitiert nach Voslensky 1980:103.) Der Beitrittsnachweis ist für die Mitglieder die Geburtsurkunde, ein anderes Leben als das derzeitig von ihnen geführte haben sie nie gehabt. »Die völlige Brechung der Persönlichkeit«, resümiert Horkheimer, »wird verlangt, absolut bündige Garantien der künftigen Zuverlässigkeit. Das Individuum muss sich aller Macht begeben, die Brücken hinter sich abbrechen. Als der echte Leviathan fordert das Racket den rückhaltlosen Gesellschaftsvertrag.« (Horkheimer Bd. 12:288)
Debray meint, allerdings frohlockend, dasselbe, wenn er der Guerilla eine »Unerbittlichkeit« bescheinigt, »die der Contrat social nicht kennt«. Auch hier heißt Beitritt Depersonalisierung und Verschmelzung der Depersonalisierten zur verschworenen Gemeinschaft. »Worum es Debray geht«, erkannte Oppenheimer, »ist nicht weniger als ›ein Abstreifen der Haut, eine Auferstehung‹.« (Oppenheimer 1972:54)
Beides wird von jedem Aufsteiger verlangt. Der Neue Mensch ist kein Retortenkind, auf das die Soziallaboratorien der Guerilla das Patent hätten. Er ist so neu wie das Neue Persil und so zeitlos, weil nur die Verpackung wechselt und der Inhalt bleibt. Wenn der Karrierist sich mit neuer Wohnung, Kleidung, Meinung, Gattin ausstaffiert, mit neuen Lebensgewohnheiten, Umgangsformen, Ansichten, Freunden, Bekannten, dient das dem Zweck, die eigene Vergangenheit auszulöschen. Nicht nachlassende Anstrengung bei der Spurenbeseitigung ist der Loyalitätsbeweis, den die neue Gruppe unablässig von ihm fordert. Analog dazu muss im Kampfverband der Einzelne sich als reuig, flexibel und resozialisierbar erweisen.
Wie der aufgestiegene Underdog lernt, aufs Schmatzen zu verzichten, werden hier dem durch bürgerliche Verhältnisse verweichlichten Subjekt seine Eigenheiten abgewöhnt, seine Empfindlichkeiten und Allüren. Die Person, wie sie einmal gewesen ist, stirbt ab, und an ihrer Stelle entsteht eine neue, welche nun einen hochentwickelten Sinn für Solidarität und Gemeinschaft besitzt.
Man ist gewöhnt, solche Tugenden im Programm sozialistischer Gruppierungen zu finden, und meist gesteht man ihnen dann trotz erheblicher politischer Differenzen zu, dass sie sich mit dieser Zielsetzung in bester Gesellschaft befinden. »Brüderlichkeit« war neben Freiheit und Gleichheit eine Parole der Französischen Revolution gewesen. Schiller hatte gereimt, dass die Menschen alle Brüder würden, hingerissen davon hatte Beethoven den Reim vertont. Obgleich die Geschichte von Kain und Abel ihnen eine Warnung sein müsste, wollen die Christen als Gotteskinder einander Brüder sein. Nirgends aber geht es, den einschlägigen Selbstdarstellungen zufolge, familiärer als in Verbrecherbanden zu, deren Mitglieder oft ein blutsverwandtschaftliches Verhältnis zueinander simulieren, wenn sie nicht sogar wirkliche Blutsverwandte sind.
Je gefährlicher das Terrain, je riskanter das Geschäft, desto inniger sind die Partner einander verbunden, denn die »allgemeinste Kategorie der von den Gruppen geübten Funktionen ist der Schutz.« (Horkheimer Bd.12:288) Wo der Staat ihn nicht mehr bietet, gewinnt deshalb