Der Ausweg. Gundolf S. Freyermuth

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Der Ausweg - Gundolf S. Freyermuth

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hervorragenden Blick auf das untere, nicht so feine Ende des Ku’damms hatte.

      „Professor von Brauchangen ist bei mir.“ Karin Blocks Feststellung war eine recht eindeutige Warnung, gewisse Themen nicht anzuschneiden. „Nein, leider nicht. Aber wir werden die Sache unter uns regeln. Ich komme Anfang der Woche rübergeflogen.“

      Karin Block lauschte der fernen Stimme, von Brauchangen kaute schon wieder. Die Sonne näherte sich ihrem höchsten Punkt.

      Paps streckte sich, was die Hollywoodschaukel mit einem wilden Quietschen beantwortete. Allmählich wurde es Zeit, dass Mamma aus den Federn kam und das Mittagessen zubereitete. Herlois hielt gewiss eine seiner endlosen Ansprachen. Paps dachte an Berlin, an die Kriegsjahre in der Prinz-Albrecht-Straße, an die Wache in der Keithstraße, an die langen Nächte bis zu seiner Pensionierung. War es um diese Zeit schon dunkel in Berlin?

      „In Ordnung.“ Die Ungeduld in Karin Blocks Stimme war nicht zu überhören. Pause. „Gut, bis dann. Ach, und ... Erinnerst du dich an die Schmidt, die früher bei mir Mädchen für alles war, die hat dann geheiratet, diesen ...“ Pause. „Ja die. Ich brauche ihre Telefonnummer.“ Pause. „Nein, ruf mich in zwei, drei Stunden wieder an.“

      Karin Block fummelte an den Tasten des Telefons herum. Aus dem Haus drang das vertraute elektronische Gewimmer. Als es aufhörte, sagte Karin Block: „Dolores? We would like to have some champagne.“

      Der alte Mann setzte die Kopfhörer ab. Das Aufnahmegerät ließ er weiterlaufen. Der Kaffee in seinem Becher war kalt geworden. Er leerte ihn im weiten Bogen in den trockenen Sand, schraubte die Thermosflasche auf und goss sich nach.

      Seine Auftraggeber würden zufrieden sein.

      *

      Unnachgiebig flimmerte die absurde Existenzfrage durch das halbdunkle Berliner Zimmer. Harry Mann hatte sich umgezogen und war sich mit dem Elektrorasierer durchs Gesicht gehuscht. Jetzt saß er wieder vor dem kleinen grauen Kasten. So oft er „Verpiss dich“ klickte, so oft piepte es zurück. Mit Computern ließ sich nicht handeln. Die kleine graue Ratte wollte ihn zwingen, sich selbst zu beschimpfen. Tadel ohne Ehrfurcht. Das war so ziemlich das genaue Gegenteil von dem, was er dem Apparat hatte beibringen wollen. In der Programmierung der Existenzfrage musste ein Fehler stecken. Mal wieder einer.

      Mann stand auf, ging zum Fenster und zog die Jalousien hoch. Von diesem Zimmer aus starrte man direkt auf die verdreckte, fast schwarze Fassade des gegenüberliegenden Seitenflügels. Der Hof dazwischen war von einer bedrückenden Enge, die sogar notorisch fröhliche Wessies wie seinen Freund Wolf nach ein paar Stunden depressiv stimmte.

      Mann öffnete das Fenster, und zusammen mit heißer, abgestandener Luft drang ein Potpourri sämtlicher Radio- und Fernsehsender Berlins herein, garniert mit türkischem Kassetten-Gedudel und dem Geruch von gebratenem Fisch und angebrannten Kartoffeln.

      Mann spürte den dringenden Wunsch, seine Faust in den flimmernden grauen Kasten zu rammen. Wieso zum Teufel auch nicht! Schließlich war er Jurist, ein arbeitsloser Jurist ohne zweites Staatsexamen, und kein gottverdammter Mathematiker oder was immer man sein sollte, um mit diesen Dingern auf eine subtilere Weise fertig zu werden.

      All die verlorenen Tage gingen auf Peters Konto. Alles seine Schuld. Harry Manns Schwierigkeiten waren einzig und allein das vorhersehbare Ergebnis der Schnapsidee seines besten Freundes, ihn, den hoffnungslosen Computer-Hobbyisten, im Schnellgang zum Software-Experten umzuschulen.

      Mann schloss das Fenster wieder. Er musste hier raus, weg, weit weg; aber jetzt musste er erstmal zu den Kellings.

      Er ging zurück zu dem Computer und versuchte es noch einmal mit der „Escape“-Taste. Vergeblich. Da er so klug gewesen war, die für Abbrechen vorgesehene Tastenkombination mit einem anderen Befehl zu belegen, gab es keine andere Möglichkeit mehr, aus dem Programm und damit pünktlich zu der Abendeinladung zu kommen, als sich dem widerborstigen Biest zu unterwerfen.

      Gerade wollte er nachgeben, als der Klügere, der er nun einmal war, als er entdeckte, dass das Feld für „Ja“ aus der Dialogbox verschwunden war.

      Die graue Rattenbox war nicht einmal mehr bereit, seine Kapitulation zu akzeptieren!

      Mann lehnte sich zurück und starrte wütend auf den Bildschirm. Dann beugte er sich abrupt vor und langte zu der Rückseite des Geräts. Die Existenzfrage brach mit einem elektrischen Würgen in sich zusammen.

      „Der Herr hat den Saft gegeben“, murmelte er, plötzlich wieder besserer Laune, „der Herr hat ihn genommen.“

      Befriedigt ließ er das lose Netzkabel fallen. Diese Art, seine Probleme zu lösen, war weder gut für die Festplatte des Computers noch übermäßig fair. Aber war die graue Rattenbox vielleicht fair zu ihm?

      War überhaupt jemals irgend jemand fair zu Harry Mann?

      Resigniert blies er die Luft aus dem Mundwinkel. Sicher war nur eins: Alles, was hinterher von den erfolglosen Tagen in einem erfolglosen Leben blieb, war der Abgang. Nur auf einen guten Abgang kam es an.

      Nur auf den.

      Harry Mann stand auf, ging in den Flur und band sich vor dem Spiegel mit ungeübten Fingern seine funkelnagelneue Krawatte. Die gehäkelte überbreite weinrote Hässlichkeit hatte er eigens für diesen Abend erstanden.

      Misstrauisch betrachtete er sich, und was er sah, gefiel ihm nicht. Elegant war wieder anders.

      II. Gallatheas weisse Haut

      1

      Die Adresse, die ihm Kelling auf eins der rotgeränderten Chef-Memos geschrieben hatte, lag ein ganzes Stück außerhalb. Der Weg dorthin war zu weit, um es mit dem Fahrrad zu versuchen, und das Villenviertel zu abgelegen, um mit dem Bus zu fahren. Er musste sich einen Wagen leihen. Dafür kamen nur zwei Menschen in Frage; Anne, die ihm zwar noch ihren Käfer, aber nicht mehr ihren Körper überließ; und Peter, der, aus dem schlechten Gewissen heraus, allzu viel Geld zu verdienen, ihm mehr oder weniger alles geben würde, was er besaß. Leihweise, verstand sich.

      Harry Mann nahm am Nolli den 19er Bus, schaukelte im Oberdeck den Ku’damm hinunter und stieg am Olivaer Platz aus.

      Peter Talmer residierte nahe der Leibnizstraße und nicht weit von Marios Ristorante in einem protzigen Dachdomizil, das sich über die gesamte Grundfläche des Gebäudekomplexes erstreckte und seinen Eigentümer zum einsamen Herrscher über siebenhundertfünfzig Quadratmeter bester Citylage machte. Den dazugehörigen pechschwarzen 500er Mercedes sah Mann schon von weitem vor dem Haus parken, halb auf dem Bürgersteig, die aggressive Blechschnauze einen knappen Meter vor der frisch gestrichenen Altbauflügeltür. Durch sie gelangte Mann, nachdem er seinen Namen in die defekte Gegensprechanlage gebrüllt und Peter den Summer betätigt hatte, in die restaurierte Pracht des marmorverkleideten Aufgangs und zu dem unsichersten aller Berliner Fahrstühle, einem mit gusseisernen Jugendstilgirlanden vergitterten Drei-Personen-Käfig, der seine Fracht mit Hilfe eines absurden Gewindes an öligen alten Seilen ächzend und ätzend langsam hoch in den fünften Stock hievte.

      Im Flur hinter der offenen Stahltür empfing Peter den Besuch halbnackt und tropfnass von den langen schwarzen Haaren, die auf seinen Schultern klebten, bis zu den haarigen weißen Zehen, um die sich kleine Pfützen bildeten. Er kam frisch aus der Heimsauna, hatte ein Handtuch um die kräftiger werdenden Hüften gewickelt und hielt wie immer weiten Abstand. An seiner panischen Berührungsangst hatte sich nichts geändert.

      Mann grinste ihn an. „In Strapsen gefällste mir besser.“

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