Der Ausweg. Gundolf S. Freyermuth

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Der Ausweg - Gundolf S. Freyermuth

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er unsicher war, wurde er schroff. Ein wenig zu demonstrativ schaute er sich um.

      Das Haus war in den sechziger Jahren gebaut worden, als alle Welt unbedingt einen Bungalow im Grünen wollte. Die Halle war groß, mit grünem Velours ausgelegt und von afrikanischer Kunst umstellt. Die primitiven Kultgegenstände passten hervorragend zum übersinnlichen Hüftschwung der Frau neben ihm. Alles in diesem Haus war zu schön und zu teuer. Allein das Wenige, was die Gastgeberin am Leibe trug, hatte soviel Geld gekostet, dass es Kelling bei aller Liebe jedes Mal leid tun musste, wenn sie sich auszog.

      Woher, überlegte Harry Mann, nahm der kleine Abteilungsleiter einer kleinen Import-Export-Firma mit seinen, wenn’s hochkam, zehn brutto im Monat das Geld für so ein Haus und für so eine Frau?

      Neid, der gute, verlässliche Neid und beste Ratgeber in allen kitzligen Lebensfragen, stieg in ihm auf.

      Sie hatten die gut zehn Meter lange Halle durchquert, und Kellings Frau öffnete die Tür zu einem Raum, der mühelos als Operationssaal durchgegangen wäre. Auf dem Boden lagen weiße Kacheln, an den Wänden glänzte weißlackierte Raufaser. In dem angeblichen Esszimmer war nicht gedeckt.

      Der Raum war so gut wie leer. Außer einem Glastisch mit weißen Metallfüßen, sechs schwarzweißen Lederstühlen in der unbequemen Bauhaus-Tradition, einer klobigen Bodenvase mit Schachbrettmuster und einer bunten Neonröhre sah Mann lediglich einen schlechten Chagall sowie einen hageren, leicht gebückten Herrn an der Grenze zum Greis, der sich beim Geräusch der Tür umdrehte.

      „Ah, Harry, gut, dass Sie doch noch gekommen sind!“

      Kelling wirkte aufgekratzt. Er hatte sich in einen tropenhellen Kolonial-Einreiher geworfen, garniert mit einem blaurotgrüngestreiften Schlips aus dem Diners-Club-Sonderangebot, dazu ockerfarbene italienische Schuhe mit eingelegtem Strohgeflecht und weißen Spitzen. Der typische Nordland-Gigolo mit einem Hauch von Adria.

      Mann sprach die notwendigen Floskeln und wich dem musternden Blick des Gastgebers vorsichtig aus. Der Alte überprüfte als erstes die Kleidung seines künftigen Stellvertreters, pingelig wie sonst kaum, aber wohl mit positivem Abschluss. Entlastung gewährt.

      Die Frau des Hauses stand dabei und lächelte arrogant. Mann musste sich alle Mühe geben, nicht auf ihr Dekolleté zu starren.

      „Schön haben Sie’s hier“, sagte er, um sich abzulenken. Da er altdeutsche Eichenmöbel erwartet hatte, betrachtete er die Einrichtung mit kaum geheuchelter Bewunderung.

      „Meine Frau ...“, sagte Kelling ungewöhnlich kraftlos und lächelte ihr zu. „Sie hat ihr Talent zur Innenarchitektin entdeckt.“

      „Ich kümmere mich um Irene.“ Die Stimme der schönen Gallathea hatte einen bösen Unterton, als sie sich zum Gehen wandte.

      „Hmmh“, murmelte Kelling, „mach das.“

      Der alte Kraftmeier fühlte sich in seinen eigenen vier Wänden sichtlich unwohl. Und er schien, zu Manns ziemlicher Überraschung, unter der Fuchtel zu stehen.

      Mit einer bedauernden Geste wies Kelling quer durch den Raum, während sein Blick dem nackten Rücken mit den zwei Muttermalen auf dem Weg durch den Wintergarten hinaus auf die Terrasse folgte. Erst als seine Frau außer Hörweite war, verzog er den Mund zu einem überlegenen Lächeln und zeigte auf den Kachelboden.

      „Letztes Jahr lag hier noch flauschiger Teppichboden, und wir lümmelten uns auf einer kackbraunen, knapp kniehohen Sitzlandschaft.“ Kellings Stimme war jetzt wieder zu laut wie immer. „Ein Schlückchen Champagner?“

      Mann nickte.

      „Tja“, sagte Kelling, „heute ist ein wichtiger Abend.“

      „Sie haben etwas zu feiern?“ Mann gab seiner Stimme einen leicht empörten Unterton. „Das hätten Sie mir sagen müssen ...“

      Kelling winkte ab und grinste wie Kater Karlo. „Es geht nicht um uns, es geht um Sie, mein Lieber. Wenn Sie wollen und sich nicht allzu blöd anstellen ...“

      Befriedigt über seine verworrenen Andeutungen, stiefelte er zu einem Tisch mit einer improvisierten Bar, der im Wintergarten stand.

      Mann wusste nicht, was er dem alten Mann antworten sollte. Wie immer, wenn er mit ihm sprach, beschlich ihn das Gefühl, in einen großdeutschen Spielfilm geraten zu sein. Kelling hatte eine fatale Neigung, diese vierschrötigen Helden-Jungs zu imitieren: sexy wie Kruppstahl und dumm wie die Sünde. Oder umgekehrt. Es kam nicht so genau drauf an bei Männern wie Kelling, bei diesen Psycho-Krüppeln aus der großen Vergangenheit, schneidig und servil, vielseitig verwendbar und von ihrer Hitlerjugend an missbraucht.

      Spannender war seine Frau. Mann schätzte sie auf drei, vier Jahre älter als er selbst, also Anfang Vierzig.

      „Geheiratet haben wir erst“, hatte Kelling ihm bei ihrem ersten Abendessen mit Lüstlingszwinkern anvertraut, „als die Sozis die neuen Scheidungsgesetze machten.“

      Bestimmt hatte der alte Knabe damals, in den frühen siebziger Jahren, bunte Nyltesthemden getragen und einen roten Sportwagen mit weißen Ledersitzen gefahren, ein toller Fang für eine Sekretärin namens Gallathea. Und bestimmt hatte Kelling dabei das Sagen gehabt.

      In fast allen Ehen, die Mann kannte, waren die Männer jahrzehntelang obenauf gewesen, bis die alternden Tyrannen die Macht mit schöner Regelmäßigkeit abgeben mussten. Wahrscheinlich, sobald sie im Bett versagten. Wenn er seine private Theorie über Lust und Herrschaft in der real existierenden Ehe auf den speziellen Fall übertrug, bedeutete das: Vielleicht könnte er heute Abend die Weichen stellen für ein zweites, privateres Treffen mit Kellings schöner Gallathea.

      „Na, denn mal Prost“, sagte Kelling und hielt Mann den Champagnerkelch hin. „Auf gutes Gelingen!“

      Sie stießen an, und dann nahm Kelling seinen Gast am Arm und führte ihn hinaus auf die Terrasse. Auch hier hatte die Frau des Hauses ihren gestalterischen Talenten freien Lauf gelassen. Der Garten glich dem Ausstellungsgelände eines Fachhandels für Freizeitbedarf: eine halb überdachte und mit Elektroheizern bestückte Sitzecke an den hohen Hecken rechts, ein halbes Dutzend bunter Plastikliegen rund um den ovalen Pool in der Mitte und ein alternatives Glashäuschen zum Kräuteranbau links. Der überpflegte Rasen dazwischen hätte genauso gut aus Plastik sein können.

      In der Nähe des Swimmingpools stand Gallathea Kelling mit einer großen und sehr dünnen, fast ausgemergelten Frau von bestimmt siebzig Jahren. Gallathea sprach kein Wort. Die andere Frau wandte den Ankömmlingen ihren Rücken zu. Um den knabenhaften Körper trug sie einen schwarzen, Smoking-ähnlichen Anzug mit Bauchscherpe, für den mancher Sargträger sein Leben gegeben hätte. Ihre vollen kurzen Haare schimmerten lila. Harry Mann hatte das dumme Gefühl, dass die beiden auf ihn warteten.

      „Das ist Irene Hexter, meine Halbschwester“, sagte Kelling leise, während die beiden Männer in Richtung Pool gingen. „Versuchen Sie, einen guten Eindruck zu machen. Es hängt einiges davon ab.“

      Mann meinte, einen Hauch Ehrfurcht in der Stimme seines Chefs zu hören. Beide Frauen schienen in ernste Gedanken versunken. Ihre Silhouetten boten einen scharfen Kontrast. Unwillkürlich gingen Kelling und Mann etwas langsamer. Die Szene am Pool glich einem romantischen Genrebild. Zweimal Narziss; einmal die Lust, einmal der Tod.

      Als Kelling und Mann näherkamen, wandte Irene Hexter ihnen ihr zerfurchtes Gesicht zu. Mann schreckte unwillkürlich zusammen. So hatte er sich, wenn in den Zeitungen von Konzentrationslagern und Lampenschirmen aus Menschenhaut

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