Der Ausweg. Gundolf S. Freyermuth

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Der Ausweg - Gundolf S. Freyermuth

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danach zu fragen. Er war spät dran. Wenn es eine kleine Einladung war, schlichen alle schon eine Weile mit gierigen Blicken um den gedeckten Tisch herum und verfluchten den säumigen Gast.

      Ein paar Sekunden spielte er mit dem Gedanken, einfach umzukehren. Auf seinem zerfledderten und verfalteten Faltplan ließ sich der Winz-Weg, in dem Kelling wohnte, nicht finden. Zudem war Wochenende, und er würde wenig Mühe haben, in einer der Bafög-Discos eine Frau für die Nacht aufzutun. Am Montag konnte er dann Kelling im Büro anrufen und behaupten, den Zettel mit der Adresse verloren zu haben; im ordinären Telefonbuch stand der wichtige Herr ja nicht.

      Aber bevor er sich zu einem Entschluss aufraffte, der sein vertrautes Dasein hätte retten können, entdeckte Harry Mann das richtige Straßenschild.

      Natürlich war es eine kleine Einladung. Vor dem Haus Am Rehwinkel Numero sieben, einem beige verputzten Flachbau, der von einem überraschend weitläufigen Grundstück umgeben war, parkte nur ein Wagen, ein dunkelblauer Jaguar mit US-Kennzeichen.

      Auf den Vordersitzen der Limousine lümmelte sich ein dottergelbhaariger Punkjunge. Er hatte die Fenster heruntergelassen und beschallte das ausgestorbene Villenviertel mit englischsprachigem Lärm. Seine hochhackigen Schuhe bearbeiteten das Armaturenbrett. Jemand stellte unmelodisch die Frage, wer Bambi abgeknallt habe. Auch nicht mehr das Neueste vom Neuen, aber die Begeisterung des Punkie war ungebrochen.

      Den Golf parkte Mann bescheiden hinter dem Jaguar. Das Verdeck ließ er offen. Mit ziemlicher Sicherheit war heute einer der zehn Tage, an denen es in diesem Jahr östlich der Elbe nicht regnete.

      Im Vorbeigehen nickte er dem Punkie in der Limo zu, was der geflissentlich nicht bemerkte. Er trug eine blaugrüne Chauffeursuniform im strengen Military-Stil, garantiert nach Maß geschneidert.

      Aus den Augenwinkeln beobachtete Mann den abschätzigen Blick, mit dem der Junge seine Durchschnittsklamotten streifte. Das Urteil konnte Mann ihm ansehen: Opa hatte einfach nicht die richtige Klasse, zu schluffig und zu billig. Für die In-Kids war hartes Styling angesagt, die brutale Schlichtheit des Luxus.

      Das schmiedeeiserne Gittertor zu Kellings Grundstück stand offen. Irgendwie beleidigt ging Mann den leicht geschwungenen Weg hinauf zur Eingangstür. Um den künstlichen Goldfischteich im Vorgarten flirrte die Luft noch in Erinnerung an die Hitze des Tages. Die Missachtung des Punkies ärgerte Harry Mann, und dies umso mehr, als er sich in seiner Stoffhaut selbst unwohl fühlte. Er hatte die helle Sommerhose mit der ekelhaft geraden Bügelfalte angezogen, dazu das dunkelblaue Jackett mit den dicken Goldknöpfen à la Admiral. Eine Kombination, wie er sie, im Einklang mit seinem sorgfältig gestutzten schwarzen Kinnbart, den er seit einem halben Jahr kultivierte, nicht hätte spießiger wählen können.

      Genau der richtige Aufzug für diese Einladung, hatte er sich ausgerechnet, und zumindest die Architektur des Viertels gab ihm recht. Die Häuser zeugten von der erlesenen Einfallslosigkeit ihrer Bewohner, Rudolf Kellings mittelriesiges Eigenheim, komplett mit drei Garagen, machte da keine Ausnahme. Viel Glas und viele Meter teure Gardinen, hinter denen sich das Treiben der Nachbarn unauffällig beobachten ließ. Antike Muster zierten die bronzene Haustür und kündigten teure Stilmöbel an, die Mann fast mehr noch verabscheute als die billigen Bowlen, die in solchem Ambiente unweigerlich serviert wurden.

      In Erwartung viel neureichen Elends drückte er den breiten Klingelschalter eher zart. Über die Lebensart der Aufsteiger hatte er einiges gehört, seit seine besten Freunde Karriere machten. Noch war ihm keiner untergekommen, der es nicht bereut hätte, dass er seinen Langzeit-Protestmarsch durch die Billig-Szene abgebrochen hatte und der Verlockung eines regelmäßigen Einkommens erlegen war.

      Kelling konnte die Existenz, die Harry Mann bisher geführt hatte, nicht verborgen geblieben sein. Warum zum Teufel stellte er ihn dann ein, warum hatte er einen Narren an ihm gefressen? Eine halbwegs plausible Antwort auf diese Frage suchte Mann seit seinem ersten Vorstellungsgespräch vergeblich.

      Niemand kam, um ihn hereinzulassen.

      Nach einer Weile drückte er wieder den breiten Schalter, diesmal mit mehr Gewalt und Ausdauer. Im Innern des Bungalows brach ein Getöse los, das an afrikanische Fruchtbarkeitstänze erinnerte. Der erste Eindruck ließ Schlimmstes befürchten. Wer so wohnte, besaß den Geschmack eines Kaufhausdekorateurs.

      In das elektronische Tamtam hinein wurde geöffnet. Im selben Augenblick fiel ihm der Blumenstrauß ein, den er nicht gekauft hatte.

      „Harry Mann“, sagte er und verbeugte sich leicht. „Tut mir leid, dass ich so spät dran bin ...“

      „Unpünktlich wie die Maurer“, sagte die Frau in der Tür. „Aber schön, dass Sie doch noch kommen!“

      Er nickte und dachte das Gegenteil. Erst als er genauer hinsah, änderte er seine Ansicht.

      2

      Die Frau war seit zwei Dutzend Jahren kein Teenager mehr, und sie sah aus, als wüsste sie das Beste daraus zu machen. Die hohen Wangenknochen waren gerötet, von Rouge und von Alkohol und von Lust nach mehr. Sie streckte ihm ihre Hand hin.

      „Ich bin Gallathea Kelling“, sagten ihre karmesinroten Lippen dazu.

      Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück, um ihren Körper besser taxieren zu können. Weit kam er damit nicht. Schon zwei Handbreit unter dem Kinn blieben seine Augen hängen, da, wo nur weiße Haut war und gewölbtes Fleisch . Erst knapp vor den Brustwarzen, deren harte Erhebungen sie als Spitzen der darunterliegenden Eisberge verrieten, schwebten halbdurchsichtige Fetzen schwarzen Musselins. Sie wurden allem zum Trotz, was man Harry Mann in der Schule über Naturgesetze erzählt hatte, von einem Nichts gehalten, das sich in Richtung Rücken ahnen ließ.

      „Sie wollen doch reinkommen, oder?“

      Der spöttische Unterton in ihrer Stimme drang nur schwach durch den Schleier seiner Gedanken. Die Frau war schön, entschieden zu schön. Wenn es auf der Welt gerecht zuginge, wäre sie Kellings Tochter und nicht seine Ehefrau. Harry Mann stand da, starrte sie an und nickte mechanisch. Gallathea Kelling schüttelte ihr halblanges gelocktes Haar, das tiefschwarz ihr weißes, leicht slawisches Gesicht einrahmte, und ihre Zähne lächelten dazu so grell und einladend wie eine frische Schneelandschaft.

      „Wie wär’s, wenn Sie’s dann jetzt täten? Reinkommen, meine ich.“ Sie lehnte sich zurück an die Tür und kreuzte die Beine.

      „Tut mir leid“, sagte er und setzte unwillkürlich zu einer seiner weitschweifigen Entschuldigungen an, ohne den Blick von Gallathea Kelling abwenden zu können.

      „Mein Mann erwartet Sie im Esszimmer“, unterbrach ihn die Frau in der Tür. Und Harry Mann, Idiot, der er war, stellte sich gleich vor, wie es wäre, wenn nicht nur ihr Mann sich etwas von diesem Abend erwartete.

      Gallathea Kelling ging ein paar Schritte voraus. Sie war eher klein, um die einssechzig, und balancierte leicht schwankend auf extrem teuren und extrem hochhackigen Schuhen. Ihren straffen, durchtrainierten Körper hatte sie in einen signalroten Rock von unglaublicher Enge gezaubert.

      Mann folgte ihr und bewunderte die üppige Rückseite seiner Gastgeberin. Sie hatte einen kräftigen Hintern, und der Rücken darüber war bis auf zwei Muttermale und einen millimeterdünnen Faden, der die dürftige Bedeckung der Vorderseite in Schwebe hielt, vom Nacken bis zum tiefen Ansatz des Rockes nackt.

      Als hätte sie seinen Blick auf ihrer Haut gespürt, drehte sie sich zu ihm um und wartete, bis er neben ihr war.

      „Hatten Sie Schwierigkeiten, zu uns herauszufinden?“

      „Natürlich.“

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