Das Mitteldeutsche Seenland. Vom Wandel einer Landschaft. Lothar Eißmann
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Die Freilegung der Erdschichten in den Tagebauen über mehrere hundert Quadratkilometer große Flächen und der neugierige Blick in den geologischen Schichtenstapel eröffneten dem Erdwissenschaftler einen Blick in die ihm politisch verschlossene Welt. 50 Millionen Jahre Landschaftsentwicklung und Klimageschichte Mitteleuropas lagen zu seinen Füßen. In der Stille wurden die in den Erdschichten überlieferte Pflanzen- und Tierwelt, die Strukturen und Hinterlassenschaften des Klimas der Vergangenheit studiert. Detaillierte Bilder des natürlichen Wandels der mitteldeutschen Landschaft seit 50 Millionen Jahren, einschließlich des erstmaligen Auftretens des Menschen entstanden. Sie beinhalten alle Facetten der heutigen Klimabereiche unserer Erde und reichen vom Landschaftsbild der Tropen Floridas über das der Wattlandschaft der Nordsee Schleswig-Holsteins und der Haffküste der Ostsee bis hin zur Taiga Sibiriens und der Gletscherbedeckung Grönlands.
Tabula rasa oder die Verlorenen Orte
Die Erinnerung ist das einzige Paradies, woraus wir nicht vertrieben werden können.
Jean Paul
Die Schattenseiten des Übertagebergbaues waren über Jahrzehnte tabuisiert. Auf den Punkt gebracht wurden sie in einem kleinen Beitrag über Braunkohlenbergbau und Umweltprobleme, der erst in den Nachwendejahren erscheinen konnte: Die bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts zurückreichende Gewinnung der Braunkohle erfolgt heute nur noch in Tagebauen. Bei der Förderung solcher Massenrohstoffe wie der Braunkohle ist diese Methode zwar die wirtschaftlich effektivste – auch was den Grad der Lagerstättennutzung der Kohle betrifft –, doch – unabhängig von emotionalen oder rationalen Wertungen – zugleich das radikalste Verfahren der Landschaftszerstörung. Anders ausgedrückt, sie ist die Ultima ratio des Bergmanns, die mit der Natur Tabula rasa macht. Der hinter uns liegende Eingriff ist auf Jahrmillionen irreversibel und besitzt damit eine geologische Dimension. Der Förderbrückenbetrieb ist wohl das ökonomisch effektivste Verfahren der Abraumgewinnung und -beförderung, technisch jedoch das kompromissloseste und unflexibelste. In Gang gesetzt, gleicht die Methode einem unentrinnbaren zerstörerischen Naturereignis.
Mit der Überbaggerung einer Kulturlandschaft in großem Ausmaß wird in Mitteleuropa die Devastierung von Ortschaften, Einzelhöfen und -gewerken zum nahezu schicksalhaften Zwang. Im Bereich des Tagebaues Espenhain wurden allein 14 Gemeinden und Ortsteile überbaggert, deren Wurzeln bis ins frühe Mittelalter (8. –11. Jahrhundert) zurückreichen. Im gesamten Gebiet des südlichen Mitteldeutschen Seenlandes betrifft dies im Zeitraum 1928 bis 2006 ca. 100 Orte mit insgesamt rund 33300 Einwohnern, von denen Rusendorf (1928 bis 1932) als erster und Heuersdorf (1995–2008) als zur Zeit jüngster der von der Landkarte verschwundenen Orte gelten (Jahreszahl – Beginn der Devastierung; Angaben in Klammer – Zahl der Einwohner; T – Teilabriss):
1928: | Rusendorf (150 Einwohner) |
1929: | Gaumnitz (328) |
1935: | Deuben (Siedlung) |
1941: | Witznitz (861) |
1944: | Petsa (350) |
1948: | Pirkau T (342) |
1950: | Zechau-Leesen T (1310), Ruppersdorf (210) |
1951: | Bergisdorf (280); Rötha-Geschwitz (545) |
1952: | Neukieritzsch T (190); Blumroda (560); Ruppersdorf-Bosengröba |
1953: | Zeschwitz (403) |
1954: | Streckau (700); Wuitz (644) |
1955: | Thräna T (20); Sabissa (338); Rüben (289); Stöhna (792) |
Blumroda, Mitte d. 20. Jahrhunderts.
Droßdorf, um 1915.
Eythra, Ende der 1970er Jahre.
Bosengröba, um 1925.
Witznitz, um 1930.
Zehmen, 1926.
1956: | Großdeuben-West T (530); Großdeuben-Ost T (360) |
1957: | Zehmen (580); Ramsdorf-Loschützmühle (20); Görnitz-Hartmannsdorf (230); Mutschau (1033) |
1959: | Schnauderhainichen T (110) |
1960: | Regis-Breitingen T (40); Kleinhermsdorf/Nehmitz T (75) |
1961: | Altdeutzen T (370); Görnitz (320) |
1962: | Trachenau (450); Treppendorf (120) |
1963: | Kötzschwitz (17); Elstertrebnitz T (110); Stöntzsch (750); Pegau T (114); Köttichau (759) |
1964: | Gaschwitz T (767); Schleenhain (270); Borna-Ost T (134); Borna-Abtei; Heuersdorf-Großhermsdorf T; |
1965: | Pödelwitz-Leipen (82) |
1967: | Sestewitz T (203); Crostewitz/Cröbern (1750); Gestewitz T (277); Döbris (615); Domsen T (30) |
1968: | Hain-Kreudnitz (175); Kleinzössen (82) |
1969: | Hain-Guthegröba; Hain (350) |
1971: | Prödel/Zöbigker T (339); Zwenkau-Ziegelei Kinne T (20) |
1973: | Zwenkau-Nord I/II T (166); Cospuden (36) |
1974: | Markkleeberg-Göselsiedlung T (60); Markkleeberg-Ost T (256); Zwenkau-Weiße Mark T (24) |
1975: | Berndorf T (40); Zwenkau-Hartmannsdorf T (80) |
1976: | Vorwerk Auenhain (19); Piegel (67); |
1977: | Raßnitz T (50); Magdeborn (3200) mit Gruna, Kötzschwitz, Göltzschen T |
1978: | Zöbigker T (18) |
1980: | Bösdorf (1115); Steingrimma (178); Queisau (187) |
1981: | Zschagast (35); Droßdorf (300) |
1982: | Peres (146) |
1983: | Neukäferhain (50); Eythra (2100); Dobergast (285) |
1984: | Rödgen T (125) |
1985: | Methewitz-Käferhain (74); Lauer (25) |
1986: | Markkleeberg-Ziegelei (25); Markkleeberg-Gautzsch; Oellschütz T (5) |
1987: | Dreiskau-Muckern T (350) |
1988: | Bockwitz (130); Langenhain T (50) |
1989: | Böhlen T (10); Lippendorf T (40); Breunsdorf (450) |
1994: | Draschwitz-Zechenhaus (15); Schwerzau (38) |
1995–1998: | Großgrimma mit Grunau, Bösau, Mödnitz, Deumen, Domsen (850) |
1995–2008: | Heuersdorf (310) |
2012–2018: | Pödelwitz
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