Der Mensch als Rohstoff. Christian Blasge

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Der Mensch als Rohstoff - Christian Blasge

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– geblendet von dem Charisma des Silicon Valley und dem dort herrschenden technischen Fortschrittsgedanken – und in der Hoffnung, Karriere zu machen, an technischen Anwendungen, die zwar prima facie progressiv zu sein scheinen, für die gegenwärtige Ordnung der Gesellschaft und damit unseren Lebensstil jedoch irreversible Folgen haben können.

      Vielleicht sollten wir in Zukunft genauer differenzieren zwischen Berufsfeldern, die traditionellen Zielen dienen, und solchen, deren Tätigkeiten unser Leben auf bislang unbekannte Weise beeinflussen könnten – in letzteren schlummert ein gehöriges Macht- und Gestaltungspotenzial, das mit Aufmerksamkeit und Skepsis behandelt werden sollte, denn sie greifen massiv in unser alltägliches Leben ein, ja verwandeln sogar unsere Perspektive auf das Leben überhaupt. Wir sollten uns immer wieder die grundsätzliche Frage stellen, was wir tatsächlich wollen, wie wir leben möchten und was für uns persönlich richtig sein könnte – Fragen, denen viele von uns gerne aus dem Weg gehen. Denn alle Technologien stiften Abhängigkeiten – pragmatischer, sozialer oder kognitiver Natur.

      Vor diesem Hintergrund möchte ich eine These formulieren, die sich mit der Lebensführung junger Menschen in Symbiose mit der Technik auseinandersetzt.

      Jeder von uns erhält durch die Art und Weise, wie er sein Leben gestaltet, durch ständige Rückmeldungen von anderen soziale Bestätigung. Um eine positive Rückmeldung zu bekommen, müssen wir uns häufig an die Erwartungshaltung anderer anpassen. Kritische Gedanken, politische Meinungen und Sachverhalte, die ein Konfliktpotenzial beinhalten, werden dabei so weit wie möglich ausgeklammert. Meistens ziehen wir es vor, uns auf einen still vereinbarten gemeinsamen Nenner zu berufen. Auf diese Weise bestätigen wir uns zwar gegenseitig innerhalb der sozialen Gruppe, tendieren aber zugleich dazu, individuelle Zweifel kollektiv auszuräumen. Wir verschwinden mitsamt unserer Skepsis in der Masse. Im Fall der kalifornischen Ideologie scheinen genau diese Mechanismen ineinanderzugreifen. Die herrschende Rolle der Technik unterstützt diesen Mechanismus insofern, als sie den Menschen stets an seine Unvollkommenheit erinnert und ihm zugleich technische »Vervollkommnungsmöglichkeiten« anbietet, die letztlich Abhängigkeiten hervorrufen. Auf diese Weise wird ein Prozess in Gang gesetzt, in dem wir uns als selbstbestimmte und souveräne Wesen zunehmend infrage stellen und wichtige Entscheidungsprozesse der Maschine überantworten.

      In dieser These werden vor allem zwei Aspekte hervorgehoben. Erstens: Der Mensch ist ein auf andere Menschen angewiesenes, unvollständiges Wesen, das seine Bestätigung, ja sogar manchmal den Beweis seiner Existenz durch andere »Leidensgenossen« sucht und erfährt. Was dieses Gefühl potenziert, ist der spürbare Anstieg an Zukunftsängsten. Arbeitsplätze sind nicht mehr gesichert und Maschinen könnten eines Tages viele unserer Aufgaben sowie Tätigkeiten übernehmen und uns somit in vielen Bereichen überflüssig machen. Durch die dominierende Stellung der Technik in unserem Lebensstil hat sich dieses Unbehagen ungemein verstärkt. Der Mensch versucht jedoch – und das markiert den zweiten Aspekt –, dieses Gefühl mithilfe der Technik aufzufangen und auszugleichen. Auf diese Weise droht er Eigenschaften zu verlieren, die ihn als Menschen grundlegend auszeichnen. Subversiv schwingt also in diesem Prozess immer die Frage mit, ob wir denn so bleiben dürfen, wie wir sind. Damit kommen wir zum nächsten Kapitel.

      4 Anders, Günther: Die Antiquiertheit des Menschen 1. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, Verlag C. H. Beck: München 2010 [1956], 239.

      5 Anders, Günther: Die Antiquiertheit des Menschen 2. Über die Zerstörung des Lebens im Zeitalter der dritten industriellen Revolution, Verlag C. H. Beck: München 2013 [1980], 137.

      6 Liessmann, Konrad Paul: Die großen Philosophen und ihre Probleme, Facultas Verlag: Wien 2003 [1998], 179−181.

      7 Anders, Die Antiquiertheit des Menschen 1, 51.

      8 Anders, Die Antiquiertheit des Menschen 1, 57.

      9 »In der Tat besteht zwischen der, in tausende von Kopien zerstreuten Star-Schauspielerin und dem, in zahllosen Exemplaren verbreiteten Nagellack kein grundsätzlicher ontologischer Unterschied mehr. Daß in der Reklame Star und Massenware einander stützen (der Star die Ware durch Empfehlungen, die Ware den Star durch, der Verpackung beigelegte, Bilder), daß sie eine Allianz bilden, ist ganz folgerichtig, sie sind gleich und gleich, die sich gern gesellen. Und nicht nur gleichverbreitet sind sie, sie haben auch auf gleiche Weise ihre Sterblichkeit überwunden: Beide können sich ja nach ihrem Tode in ihren Reproduktionen weiterbewähren.« Anders, Die Antiquiertheit des Menschen 1, ebd.

      10 Fromm, Erich: Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft, Deutscher Taschenbuch Verlag: München 1980 [1976], 27.

      11 Anders, Die Antiquiertheit des Menschen 1, 181.

      12 Anders, Die Antiquiertheit des Menschen 1, 182.

      13 Liessmann, Die großen Philosophen und ihre Probleme, 136−137.

      14 Anders, Die Antiquiertheit des Menschen 1, 84.

      15 Anders, Die Antiquiertheit des Menschen 1, 90−91.

      16 Anders, Die Antiquiertheit des Menschen 1, 91.

      17 Anders, Die Antiquiertheit des Menschen 1, 100.

      18 Anders, Die Antiquiertheit des Menschen 1, 103.

      19 Le Bon, Gustave: Psychologie der Massen, Nikol Verlag: Hamburg 2012 [dt. 1911].

      20 Anders, Die Antiquiertheit des Menschen 1, 104.

      21 So verweist er auf einen Artikel aus der Wiener Tageszeitung Die Presse vom 24. 12. 1954, der das Fernsehen als ein ausgezeichnetes Mittel preist, um junge Menschen von kostspieligen Hobbys abzuhalten, die Kinder ans Haus zu binden und der familiären Gemeinsamkeit einen neuen Reiz zu verleihen.

      22 Anders, Die Antiquiertheit des Menschen 1, 105.

      23 Anders, Die Antiquiertheit des Menschen 1, 97.

      24 Anders, Die Antiquiertheit des Menschen 1, 109.

      

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