Der Mensch als Rohstoff. Christian Blasge

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Der Mensch als Rohstoff - Christian Blasge

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festhalten. Brin erwartet sich von dieser Technologie mehr Verkehrssicherheit und damit einhergehend eine Reduzierung der Unfalltoten – da die fahrenden Roboter niemals betrunken, abgelenkt oder unaufmerksam seien. Er möchte uns zudem mehr Zeit schenken, die wir nicht am Steuer vergeuden müssen – es soll uns ermöglicht werden, während der Fahrt unseren Interessen nachzugehen.51 Übrigens bräuchten nicht alle Menschen ein Fahrzeug. Dieses würde auf Bestellung angefahren kommen, uns abholen und zum gewünschten Ort transportieren. Verkehrsprobleme, fehlende Parkplätze, verstopfte Straßen und die daraus resultierende Umweltverschmutzung könnte man dadurch erheblich reduzieren. Man bedenke, dass ein herkömmliches Auto nur einen Bruchteil seiner »Lebenszeit« von seiner Besitzerin aktiv genutzt wird. In der restlichen Zeit steht das Fahrzeug herum – vergeudetes Potenzial. Selbstfahrende Autos befinden sich noch in der Testphase. Vier Millionen Meilen sind bereits auf einem Testgelände, auf dem Google bestimmte Straßen- und Verkehrssituationen durchspielt, zurückgelegt worden. Die Software lernt mithilfe von Sensoren das optimale Fahrverhalten bei Schnee und Regen. Sie lernt, Menschen, Tiere und Objekte voneinander zu unterscheiden und im Ernstfall den geringsten Schaden zu verursachen. Eine große Menge an Daten wird auf diese Weise gesammelt – je mehr, desto besser, denn die Software entwickelt sich ständig weiter. Bis zum Sommer 2015 war ein selbstfahrendes Auto 13 Mal in einen Unfall verwickelt – schuld war jedes Mal der menschliche Fahrer auf der Gegenseite.52 Dass das selbstfahrende Auto bereits in politischen Debatten erörtert wird, bewies die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Fragerunde im Juni 2017 in Argentinien. Danach sollen wir in 20 Jahren nur noch mit Sondererlaubnis selbst mit dem Auto fahren dürfen, da wir, also der Mensch, das größte Risiko im Verkehr darstellen.53 In den letzten Jahren – mit dem vorläufigen Höhepunkt im Sommer 2017 – ereigneten sich mehrere Terroranschläge, die mit Lastkraftfahrzeugen oder einfachen Pkw durchgeführt wurden. Das Argument der Sicherheit im Zusammenhang mit selbstfahrenden Autos gewinnt daher zunehmend an Gewicht.

      Die biowissenschaftliche Abteilung der Dachorganisation Alphabet, »Verily Life Sciences«, beschäftigt sich mit weiteren potenziellen »Moonshots«, die an den Circle erinnern: Nanopartikel, also winzige Teilchen, sollen als Sensoren in den Körper geschleust werden und nach Krankheiten suchen bzw. Vitalwerte aufzeichnen – die Informationen werden an ein Armband weitergeleitet. Eine Kontaktlinse soll den Blutzucker von Diabetikerinnen messen und somit die ständige Blutabnahme durch einen Stich in den Finger ersetzen. Roboter werden menschliche Chirurgen ablösen, da sie präziser, ermüdungsfrei und permanent arbeiten können. Für Menschen, die an der Parkinsonkrankheit leiden, soll ein löffelartiges Gerät (»spoon«) entwickelt werden, welches die beschleunigte Muskelkontraktion feststellen und wieder normalisieren kann. In einer groß angelegten Studie werden Informationen über die genetische Ausstattung zahlreicher Menschen gesammelt, die es ermöglichen sollen, sich ein konkretes Bild von den genetischen und molekularen Eigenschaften eines gesunden Menschen zu machen. Die Abteilung »Calico« geht im Ausbau von technischen Möglichkeiten noch einen Schritt weiter, um das menschliche Altern zu verlangsamen und altersbedingte Krankheiten zu verhindern. Diese ambitionierten Projekte, zumindest manche von ihnen, haben ohne Zweifel das Potenzial, unser Leben von Grund auf zu verändern.

      Der Autor des Circle, Dave Eggers, hat seinen Roman bewusst auf der Basis einer womöglich baldigen Realität konzipiert – doch liegt er mit seiner Warnung, ein Konzern könnte mächtiger als die Politik werden, ja diese sogar vereinnahmen, richtig? Betrachten wir Alphabet, das 2015 – und damit zwei Jahre nach Eggers’ Roman – gegründet wurde und den Zusammenschluss der oben erwähnten Forschungsabteilungen darstellt, müssen wir einräumen, dass sich in dieser Dachorganisation von Anfang an eine große intellektuelle, aber auch politische Macht in den Händen weniger Personen konzentriert hat. Im Januar 2017 ließ Dänemark diesbezüglich verlautbaren, als erstes Land der Welt einen digitalen Botschafter zu ernennen, der die Beziehungen zu den Magnaten Apple, Microsoft und zum Tochterunternehmen von Alphabet, Google, pflegen wird. Die Wirtschaftskraft dieser Firmen hat einen derart hohen Börsenwert erreicht, dass sie nur knapp den Einzug in die Gruppe der 20 weltweit größten Volkswirtschaften (G-20) verpassen dürften. Eine Aussage des dänischen Außenministers Anders Samuelsen bringt den politischen Einfluss der digitalen Großkonzerne auf den Punkt:

      Dänemark erhofft sich bei neuen technologischen Entwicklungen sowie den darauffolgenden politischen und ethischen Herausforderungen die Nase vorn zu haben und für digitale Investoren ein attraktives Land zu werden. Die Anbiederung der Politik an die großen Hightechkonzerne lässt tief blicken – erste Anzeichen eines Abhängigkeitsverhältnisses sind deutlich zu erkennen. Gegenwärtig haben viele europäische Regierungen eigene Ministerien eingerichtet, die sich ausschließlich mit der Digitalisierung beschäftigen.

      Jedes Teilunternehmen von Alphabet stellt an sich schon ein Ballungszentrum an Know-how bzw. Brainpower dar. Es ist aber die Synthese aller neun Töchter, die sich gegenseitig befruchten, unterstützen und ihre Daten zusammenfügen, die dem Unternehmen erst das Fundament verleihen, weitreichende Veränderungen unseres Lebens zu bewirken. Google bzw. Alphabet verfügt über ausreichend flüssiges Kapital – 2017 betrug der reine Gewinn des Unternehmens 16,6 Milliarden Dollar –, um aufstrebende Start-up-Unternehmen mit ihren revolutionären Ideen aufzukaufen. Mit Stichtag 31. Dezember 2019 arbeiteten 118.899 Personen für Alphabet und im Geldspeicher des Unternehmens liegen heute ca. 120 Milliarden Dollar. Die Liste der seit der Gründung von Google 1998 gekauften Unternehmen wäre zu lang, um sie hier abzudrucken. Heute, im Jahr 2020, rangiert Alphabet auf Platz vier der größten börsennotierten Unternehmen nach Marktkapitalisierung – davor liegen Microsoft, Apple und Amazon. Fraglich bleibt, ob der Börsenwert eines Unternehmens mit seiner faktischen Macht und seinem politischen Gestaltungspotenzial gleichzusetzen ist.

      Auf den letzten Seiten wurde eine Entwicklung dokumentiert, die aufzeigt, dass aus der Symbiose zwischen Regierungen, die an der Macht bleiben und ihre Fehltritte kaschieren wollen und Großkonzernen, welche prinzipiell in gewissen Sparten über Monopolstellungen verfügen und diese lukrativ nützen wollen, gefährliche Szenarien entwachsen können. Der Zwiespalt zwischen Privatsphäre und Sicherheit spielt gegenwärtig eine wichtige Rolle. Aufgrund der Vielzahl an terroristischen Anschlägen wird der Aspekt der Sicherheit zunehmend an Bedeutung gewinnen – auf Kosten der Privatsphäre.

      Die neuen Technologien von Alphabet, aber auch von anderen Hightechunternehmen bieten faszinierende Möglichkeiten und Chancen für die Zukunft. Gleichzeitig bergen manche von ihnen die Gefahr, unsere zwischenmenschliche Kommunikation zu verändern, uns von ihren Produkten

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