Der Mensch als Rohstoff. Christian Blasge

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Der Mensch als Rohstoff - Christian Blasge

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und damit auch den Stil unserer Beschäftigung und unseres Lebens, kurz: uns.17

      Die Kritik, dass eine solche kritische Verallgemeinerung nicht akzeptiert werden könne, da es ausschließlich darauf ankomme, wie wir uns dieser Geräte bedienen, wird somit als Illusion entlarvt. Aufmerksamkeitsräuber, wie heutzutage das Smartphone, werden so konstruiert, dass sie nach ihrer ständigen Benutzung gieren bzw. diese anregen und Menschen bewusst in Abhängigkeit halten. Sie sind nicht wertneutral, sondern bringen den Menschen mit neuen Sachzwängen in Verbindung, sodass die Geräte vom Objekt zum Subjekt der Geschichte aufsteigen.

      Gleichzeitig interessiert sich Anders für den eigentlichen Akt des Konsumierens von Bildern im Fernsehen. Was tut der Mensch eigentlich, wenn er da im Wohnzimmer allein oder mit der Familie oder Freunden vor dem Fernsehgerät sitzt und sich unterhalten lässt? Er gleicht, so Anders, einem unbezahlten Heimarbeiter für die Herstellung des Massenmenschen. Millionen von Menschen wird eine stereotyp hergestellte Ware präsentiert. Jeder Fernsehkonsument wird (ganz wie das Präsentierte) als ein »unbestimmter Artikel« behandelt, als jemand ohne individuelle Eigenschaften. Massenmenschen produziert man dadurch, dass man sie Massenware konsumieren lässt. Je einsamer sie sind, umso ausgiebiger findet der Konsum statt. Durch den Konsum von Massenware wird der Mensch zum Mitarbeiter bei der Produktion bzw. durch Umformung seiner selbst zum Massenmenschen. Konsum und Produktion gehen in diesem Verfahren eine trickreiche Symbiose ein. Jedermann ist gewissermaßen als »Heimarbeiter« angestellt und beschäftigt. Vollends paradox wird dieser Vorgang dadurch, dass die Heimarbeiter, statt für ihre Tätigkeit entlohnt zu werden, zudem für das Gerät und dessen Sendungen bezahlen müssen, durch deren Konsum sie sich in den Massenmenschen verwandeln.

      Der Fernseher sei ein »Erfahrungsverhinderungsgerät«. De facto sitzen die Familienmitglieder nun zum Fernseher ausgerichtet und die ganze Einrichtung des Wohnzimmers wird an das Gerät angepasst. Man sieht sich nicht mehr, man sieht sich nicht mehr an (höchstens versehentlich) und auch das Miteinandersprechen geschieht eher zufällig oder lediglich im Sinne eines Kommentars zur Phantomwelt des Fernsehens. Die Familienmitglieder sind nicht länger zusammen, sondern nur noch beieinander (oder nebeneinander) – »bloße Zuschauer«.

      Die Metamorphose des zwischenmenschlichen Umgangs am »negativen Familientisch« hin zu einem zufälligen, versehentlichen Ereignis ist das eine Problem – ein anderes ist der Verlust des Sprechens. Zur einleitenden Verdeutlichung wird eine Kindergeschichte zitiert, die als Metapher für das dienen soll, was vor dem technischen Gerät passiert:

      Überträgt man diese Pointe auf den Konsum von Rundfunk und Fernsehen, wird aus dem »Nun braucht ihr nicht mehr selbst sprechen« ein »Nun könnt ihr es nicht mehr.« Die Geräte nehmen uns das Sprechen ab und uns damit unsere Sprache weg. Sie berauben uns unserer Ausdruckfähigkeit, unserer Mitteilungsfähigkeit und unserer Sprachlust. Worte sind für die Fernsehgesellschaft

      Wenn wir die Überlegungen von Günther Anders unserer heutigen Zeit gegenüberstellen, können wir durchaus Parallelen und eine sich zuspitzende Entwicklung erkennen. Führen wir uns nur den Begriff des »negativen Familientischs« vor Augen: In wie vielen Familien haben (neben dem Fernseher) Smartphone, Tablet, Spielkonsole & Co. Erziehung, Gespräch und wechselseitigen Austausch übernommen? Diese technischen Geräte fungieren nicht nur als »Erfahrungsverhinderungsgeräte« dahingehend, dass sie uns vom echten Leben abhalten – sie bringen es auch mit sich, dass wir immer weniger persönlichen Umgang pflegen. Auch die »Ikonomanie« hat ein drastisches Ausmaß angenommen: Auf digitalen sozialen Plattformen jeglicher Art tummeln sich mittlerweile Milliarden Abbilder von Menschen. Die Vervielfältigung des Selbst ist zum Habitus eines modernen Lebensstils geworden. Und das, was Anders als »Maschinenmusik« bezeichnet, hat ebenfalls eine Steigerung erfahren: Heute existieren ganze Musikgenres, die vollständig ohne Menschen und Instrumente auskommen. Künstliche Intelligenzen wie Jukedeck komponieren in Sekundenschnelle neue Lieder, die von den von Menschen gemachten Produkten nicht mehr zu unterscheiden sind.

      Manche seiner im Gewand der damaligen technischen Möglichkeiten formulierten Gedanken wirken für die heutige Leserin ohne Zweifel leicht antiquiert – und doch ist die Kernaussage essenziell. Es ist eine Tatsache, dass unsere moderne Gesellschaft über die erste und zweite industrielle bis zur dritten digitalen Revolution (Computerwesen, Internet, Smartphones usw.) kontinuierlich eine einseitige Symbiose mit der Maschinenwelt eingegangen ist. Solange Maschinen kein ausgeprägtes Bewusstsein besitzen, was sich in den kommenden Jahrzehnten eventuell ändern wird, fällt dieses Zusammenspiel unilateral aus. Die Maschinen brauchen uns nicht, wir in der westlichen, wohlhabenden Gesellschaft dagegen können uns ein Leben ohne diese technischen Hilfsmittel kaum mehr vorstellen. Neben den positiven Seiten des technologischen Wandels – rasche Informationsbeschaffung, ständige Erreichbarkeit und die blitzschnellen, weltweiten Kommunikationsmöglichkeiten – sind ebenso viele neue Herausforderungen

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