Der Mensch als Rohstoff. Christian Blasge

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Der Mensch als Rohstoff - Christian Blasge страница 7

Автор:
Серия:
Издательство:
Der Mensch als Rohstoff - Christian Blasge

Скачать книгу

eingestiegen sind. Wenn von Transformation gesprochen wird, wird zugleich angenommen, dass der Prozess noch nicht abgeschlossen ist. Das Gleiche betrifft die technologische Entwicklung. Wir befinden uns möglicherweise nach wie vor in einem Anfangsstadium, aber wohin soll die Reise überhaupt gehen? Diese Frage möchte ich zum Ausgangspunkt der nächsten Kapitel nehmen.

      Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, benennt in einer seiner Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (aus dem Jahr 1917) drei Kränkungen der Menschheit. In diesen (aufeinander aufbauenden) Kränkungen wurde das Selbstverständnis des Menschen durch wissenschaftliche Erkenntnisse fundamental vor den Kopf gestoßen:

      1 Die kosmologische Kränkung: Nach der Kopernikanischen Wende musste der Mensch akzeptieren, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Weltalls ist.

      2 Die biologische Kränkung: Nach Charles Darwins Evolutionstheorie ist die wissenschaftliche Gemeinschaft zu dem Konsens gelangt, dass sich der Mensch aus dem Tierreich entwickelt hat.

      3 Die psychologische Kränkung: Freud fügte diesen Kränkungen eine dritte hinzu. Danach entzieht sich ein beträchtlicher Teil des Seelenlebens unserer bewussten Kenntnis: »Das Ich ist nicht Herr in seinem eigenen Haus.«26Es wäre angebracht, der Menschheit aus heutiger Sicht eine weitere Kränkung hinzuzufügen: die Kränkung ihrer Intelligenz. Günther Anders spricht von »prometheischer Scham« und meint damit die aus seiner Unvollkommenheit herrührende Scham des Menschen gegenüber den von ihm geschaffenen Produkten. Diese Scham dürfte mittlerweile das Potenzial einer Kränkung erreicht haben.

      4 Die intellektuelle Kränkung: Der Mensch gilt nicht mehr als die einzige intelligente Lebensform auf der Erde. Seine Schöpfungskraft hat dazu geführt, dass nicht nur seine Fähigkeiten, sondern auch seine kognitiven Kapazitäten von Maschinen abgelöst worden sind. Er ist sozusagen »nicht mehr allein«.

      Sobald künstliche Intelligenzen in überwiegende Bereiche unseres Lebens eingedrungen sein werden, wird es zu einer Zäsur in unserer Selbstwahrnehmung kommen. Wir werden uns nicht länger als »Krone der Schöpfung« betrachten können. Vielmehr haben wir uns durch unsere Schöpfungskraft selbst abgelöst, indem wir in den biologischen Evolutionsprozess eingegriffen und diesen beschleunigt haben. Unsere individuelle Urteilskraft wird zu einem nicht unerheblichen Teil durch personalisierte Datensammlungen über unsere Vorlieben, Probleme und Fähigkeiten abgelöst werden, in denen bereits ein technischer Algorithmus berechnet hat, was wir als Nächstes tun sollen. Aus Effizienzgründen und Bequemlichkeit wird man diese »Erleichterung« mit offenen Armen in das eigene Leben integrieren. Menschen, die auf diese Hilfsmittel verzichten, dürften bald von ihren Konkurrenten abgehängt werden. Diese Grundeinstellung mag dazu führen, dass man sich den Verzicht beruflich, aber auch sozial nicht mehr leisten können wird. Man fällt zurück, man gehört nicht mehr dazu – man ist antiquiert. Dass künstliche Intelligenzen bestimmte Analyse- bzw. Beraterfunktionen übernehmen oder uns bestimmte Aufgaben abnehmen werden, ist nur ein Aspekt der Vielzahl an technologischen Neuerungen. In der philosophischen Denkrichtung des sogenannten Transhumanismus strebt man sogar eine körperliche Symbiose zwischen Mensch und Maschine an. Mit dieser Verschmelzung sollen die Grenzen, die uns einst die Natur gesetzt hat, überwunden werden. Gegenwärtig spricht man noch von konservativ-traditionellen Erweiterungen des menschlichen Körpers, die unser Leben erleichtern: Herzschrittmacher, künstliche Gelenke oder Dialysegeräte. Realistische Prognosen stellen jedoch bereits Implantate in Aussicht, die unsere Gedächtnisleistung steigern und unsere Vitalwerte aufzeichnen. Winzige Roboter sollen beschädigte Zellen und Gewebe im Körper reparieren oder Tumore vernichten. Transhumanisten beschwören sogar euphorisch die Wahrscheinlichkeit, in einigen Jahrzehnten technologisch so weit fortgeschritten zu sein, dass die menschliche Unsterblichkeit in greifbare Nähe rückt. Ob man dabei durch regenerative Maßnahmen im selben Körper verbleiben kann oder sein Bewusstsein komplett in einen neuen Körper transferiert – prinzipiell scheint nichts mehr unerreichbar zu sein.

      Es zeichnet sich somit der Trend ab, dass der zukünftige Mensch nicht nur immer umfangreichere Symbiosen mit Maschinen bzw. künstlichen Intelligenzen eingehen (müssen) wird, sondern dass auch futuristische Modifikationen des eigenen Körpers keine Seltenheit mehr darstellen. In der Hoffnung, die vierte Kränkung der Menschheit überwinden zu können, wird der Mensch eine Allianz mit der überragenden Konkurrenz der Maschinen und den dahinterstehenden Konzernen eingehen müssen. Philosophisch gesehen bietet dieses Zukunftsszenario reichlich Stoff für Interpretation, Diskussion und Kritik. Schritt für Schritt muss das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine aufgearbeitet werden.

      Dave Eggers (*1970)

      2013 erschien der zukunftsweisende Roman Der Circle und wurde sogleich millionenfach verkauft. Gibt man diesen Titel in eine Suchmaschine ein, erhält man eine nahezu unüberschaubare Liste an Rezensionen, Kommentaren und Kritiken in Form von geschriebenen Texten oder aufgezeichneten Videos. 2017 kam sogar eine Literaturverfilmung mit einer Starbesetzung – Tom Hanks und Emma Watson – in die Kinos. Der Autor Dave Eggers hat mit seinem Roman offenbar einen Nerv getroffen. Er bringt eine Fülle an ernst zu nehmenden Gedanken, Einsichten und Sorgen bezüglich des ambivalenten Potenzials moderner Technologien auf den Punkt. Eine Besonderheit seines Buches liegt darin, dass die Geschichte derart authentisch erzählt wird, dass die Leserinnen immer stärker das Gefühl beschleicht, dieses dystopische Szenario könne in der Zukunft tatsächlich eintreten. Es handelt von perfektionierter Überwachung und lückenloser Technikabhängigkeit, die den Menschen rundum als Fortschritt präsentiert werden. Gleichzeitig zeichnet Eggers ein Psychogramm der zumeist jungen und intelligenten Menschen, die sich mit euphorischem Engagement der Entwicklung der revolutionären Technologien verschreiben. Die meisten Protagonisten sind naiv, denn sie realisieren nicht, was sie durch die vermeintlichen Verbesserungen, die meist irreversibel sind, eigentlich verlieren. Die junge Generation, die sich enttäuscht von der Politik abgewendet hat und ihr Rebellentum wie ihren Beitrag zur Verbesserung der Welt auf das Entwickeln futuristischer Technologien beschränkt, stellt somit die treibende Kraft in diesem Szenario dar.

      Auf die Frage, was denn die größte Gefahr für unsere Freiheit heute darstelle, antwortete Eggers in einem Interview, es sei die Auffassung, »alles, was wir über jemanden wissen wollen, auch wissen zu dürfen«. Dieser Anspruch beziehe sich nicht nur auf uns als Individuen, sondern auch auf profitorientierte Unternehmen, die mit dem Sammeln und Verkauf von Daten bewusst einen Eingriff in unsere Privatsphäre vornehmen. Ist Eggers’ fiktionale Dystopie bloß eine spannende Geschichte oder enthält sie einen wahren Kern?

      Der Circle ist ein Weltkonzern, der sich durch den Zusammenschluss von Google, YouTube, Facebook, Apple und Twitter als digitales Monopol etabliert hat. Mit seinem Hauptsitz im einflussreichsten High-Tech-Zentrum der Welt, dem Silicon Valley, ist der Circle zum weltweit mächtigsten Konzern aufgestiegen. Ohne Zweifel: Wenn ein Unternehmen die bekannteste Suchmaschine (Google) inklusive der beliebtesten Videoplattform der Welt (YouTube), das mit Abstand am meisten genutzte soziale Netzwerk (Facebook), den größten Hersteller von Computern und Smartphones (Apple) und einen sogenannten Mikrobloggingdienst (Twitter) unter einem Dach fusioniert, ist die Monopolstellung in vielen digitalen Zukunftsbereichen auf lange Sicht geklärt. Gleichzeitig hat ein solches Unternehmen Zugang zu den meisten Daten der digitalen Kommunikation.

      Der Circle genießt auf dem Globus ein ansehnliches Image – er verkörpert die Zukunft und strahlt die Aura des »Alles-Ist-Machbar« aus. Daher wirkt er wie ein Magnet auf junge, talentierte Abgänger von Eliteuniversitäten, die mit ihren kreativen Ideen die Karriereleiter erklimmen, berühmt werden und reichlich Geld verdienen möchten. Die brillantesten Köpfe

Скачать книгу