Zehn Jahre nach Oscar Cullmanns Tod: Rückblick und Ausblick. Группа авторов
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![Zehn Jahre nach Oscar Cullmanns Tod: Rückblick und Ausblick - Группа авторов Zehn Jahre nach Oscar Cullmanns Tod: Rückblick und Ausblick - Группа авторов Basler und Berner Studien zur historischen Theologie (BBSHT)](/cover_pre940232.jpg)
Unsere Anfangsentscheidung, die alphabetischen Korrespondenzmappen zur Aufnahme möglichst alles mit dieser bestimmten Person zusammenhängenden Materials zu verwenden, bedeutet freilich nicht, dass keine Korrespondenz anderswo zu finden wäre, also in anderen Sachkategorien. Das ist etwa der Fall in einigen Dossiers der Kategorie «Biographie».21 Das Dossier 07, «Berufung nach Basel 1938»,22 enthält beispielsweise 37 Briefe von Karl Ludwig Schmidt, der den Strassburger Kollegen in den entscheidenden Monaten oft drei- oder viermal wöchentlich anschrieb, um ihn auf dem Laufenden zu halten. Nicht in einer Korrespondenzmappe, sondern in den Mohr-Siebeck-Mappen der Kategorie «Verlage und Verleger»23 finden sich die zahlreichen Briefe, die Hans Georg Siebeck und sein Sohn Georg an Cullmann gerichtet haben,24 und die Verlagsmappe «Delachaux & Niestlé» enthält nicht nur alle Briefe der Verlegerin Agnès Delachaux, sondern auch |19| den grössten Teil der Briefe von Jean Jacques von Allmen, der dort von 1954 bis 1968 die Theologische Abteilung leitete.25 Für Roger Mehl, den Strassburger Kollegen und Freund, existiert nicht nur eine umfangreiche Korrespondenzmappe.26 Briefe von ihm finden sich auch in den Dossiers «Affäre Viot»,27 «Fondation Pasteur Boegner»,28 «Vorschlag Ökumenische Kollekte»29 und «Gesammeltes Reaktionsmaterial zu einzelnen Veröffentlichungen».30 Ich habe mich bemüht, in solchen Fällen Verweisblätter in die Korrespondenzmappen einzulegen.
Die Inhaltsbeschreibung und Analyse der einzelnen Archivkategorien ist zurzeit von der Oberfläche ausgehend in ganz verschiedene Tiefen vorgedrungen. Dazu einige Beispiele: Die von Oscar Cullmann selbst zusammengestellte Gruppe der Papiere zum Zweiten Vatikanischen Konzil hat Armin Mettler bereits recht genau analysiert. Wenn Interessenten zur Arbeit an den Originalen nach Basel kommen, werden sie in Zukunft Mettlers eingehende Beschreibungen und zum Teil sogar Umschriften vorhandener Dokumente einsehen und benutzen können. Das gleiche gilt etwa für das umfangreiche Reaktionsmaterial zum Vorschlag einer ökumenischen Kollekte, den Cullmann zuerst an der ETH Zürich im Januar 1957 formulierte und der in den folgenden Jahren für vielfältige Aktivitäten, Initiativen, Diskussionen, und Meinungsäusserungen sorgte.31 Meine detaillierten Aufzeichnungen der hierhin gehörenden Materialien nach Datum, Verfasser und Inhalt können bei Benutzung des Archivs in Basel eingesehen werden.
Dagegen entbehrt die Analyse einer ganzen Anzahl von Kategorien noch der nötigen Tiefe. Die anscheinend recht vollständig vorhandenen Finanzpapiere ebenso wie die einmalige Sammlung von Sonderdrucken liegen noch ungeordnet in den Kartons von 1999.32 Die Kategorie der Familienpapiere,33 der Inhalt von zwei Kartons mit der Bezeichnung «Louise Cullmann»34 |20| und eine Reihe von Dossiers in der Kategorie «Universität Basel»35 sind zwar verzeichnet, aber noch nicht im Einzelnen analysiert. Die wichtigen Papiere zum Thema «Tantur»,36 welche die gesamte Geschichte dieser ökumenischen Institution von Anfang an dokumentieren und welche Cullmann als einer der Hauptinitianten in zwei grossen Mappen gesammelt hatte, sind zwar chronologisch geordnet, müssten aber noch nach Korrespondenten und Inhalt beschrieben werden.
Wie in fast allen neueren Gelehrtennachlässen stellen die vorhandenen Fotografien ein besonders dorniges Problem dar. Das Cullmann-Archiv besitzt Hunderte von losen Fotos. Nur ganz wenige von ihnen sind auf der Rückseite identifiziert. Immerhin befinden sich im Archiv auch etwa 40 thematisch geordnete und grösstenteils datierbare Fotoalben, zum Teil aus dem Besitz der Schwestern Louise und Frédérique, sowie mehrere Dutzend thematischer Couverts mit Fotos, deren Inhalt durch die Aufschriften wenigstens teilweise klar ist. Dazu kommt ein unerwarteter Glücksfall. Unter meinen persönlichen Papieren in Princeton fand ich 2002 zufällig einen Block mit Notizen, den ich völlig vergessen hatte. Er enthielt unter anderem auf 13 Seiten Erklärungen von nummerierten Bildern im Album «Jeunesse, Gymnase, Strasbourg, Paris»37 und vom Inhalt vieler der Couverts.38 Ich erinnerte mich, dass ich bei zwei Aufenthalten in Chamonix, wahrscheinlich im Sommer 1982 und 1983, vorgeschlagen hatte, gemeinsam mit den Cullmann-Geschwistern abends nach dem Essen Fotoalben anzuschauen und Personen zu identifizieren. Meine Erklärungen sind rasch und flüchtig geschrieben, wohl weil beim Anschauen Cullmann zwar sagte, was und wer auf den Bildern zu sehen war, aber nicht viel Geduld hatte. Trotzdem stellen diese Identifikationen eine äusserst wertvolle Quelle für die bildliche Illustration der schriftlichen Materialien im Archiv dar. Sie könnten auch als Vergleichshilfen beim Betrachten vieler nicht identifizierter Fotos Dienste leisten. Vielleicht gibt es ja Menschen, deren visuelles Gedächtnis für solche Vergleiche besser geeignet ist als meines. Allerdings träume ich noch von einer andere Möglichkeit, die in unserem rasant fortschreitenden technologischen Zeitalter einen neuen Horizont eröffnen könnte: Bei jeder Einreise in die USA wird neuerdings eine Porträtaufnahme von mir elektronisch mit einer zentralen Datenbank von Verbrechern und mutmasslichen Terroristen wahrscheinlich in Washington verglichen. Wäre es nicht denkbar, dass ein Scanner |21| das identifizierte Bild einer Person im Album mit einem losen Foto vergleichen und die gleiche Person dort identifizieren könnte? Vielleicht gibt es bereits eine solche Software?
Meine Ausführungen werden deutlich gemacht haben, dass in Bezug auf die Arbeit am Cullmann-Archiv seit 1999 manches geschehen und vieles erreicht worden ist, dass aber noch genug zu tun bleibt, zu planen und sogar zu träumen. Die Fondation œcuménique Oscar Cullmann ist von der Fondation de France als Sachwalterin des Cullmann-Nachlasses in Zusammenarbeit mit der Universitätsbibliothek Basel eingesetzt worden und wird sich auch weiterhin an seiner Erschliessung und Benutzung beteiligen. Das Symposium von 2009 sollte zum einen im Rückblick Rechenschaft geben über die Bemühungen der letzten zehn Jahre, hat aber im Ausblick hoffentlich auch Anregungen zur Weiter- und Mitarbeit gegeben, damit dieser einzigartige Schatz gehoben wird, der nun in Basel zugänglich sein wird.
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Martin Sallmann
Forschungsdesiderata aufgrund der Quellenlage im Nachlass Oscar Cullmanns
Leben und Werk sowie die Rezeption Oscar Cullmanns sind nach wie vor wenig erforscht. Nachdem der Nachlass 2009 an die Universitätsbibliothek in Basel überführt worden ist, liegt jetzt ein reichhaltiges, gut geordnetes Archiv für die Erforschung bereit.39 Die Vielfalt des Nachlasses eröffnet unterschiedliche Zugänge zum Cullmann-Archiv. Je nach Fragestellung wird der Zugriff variieren. Denkbar sind Gesichtspunkte, die sich an der Biografie, an behandelten Themen, publizierten Werken oder an bestimmten Quellengattungen orientieren. Im Folgenden versuche ich in fünf Punkten verschiedene Zugänge zum Nachlass aufzuzeigen. Damit sind drei Ziele anvisiert: Zum einen soll ein Eindruck von der Fülle, aber auch von den Konturen des Archivs entstehen. Zum anderen sollen durch Beispiele entlegene Facetten und Eigenarten des Nachlasses sichtbar werden. Und schliesslich sollen mögliche Forschungsprojekte oder Fragestellungen zur Sprache kommen.
I. Biografischer Zugang: Familie, Kindheit, Jugend
Oscar Cullmann stammte aus einer kleinbürgerlichen Familie.40 Sein Vater war Lehrer an der Volksschule. 1902 geboren, wuchs Oscar als Jüngster |24| von neun Geschwistern im zunächst deutschen, nach dem Ersten Weltkrieg wieder französischen Strassburg auf, wo er das Protestantische Gymnasium besuchte.
In welchem Milieu wuchs Oscar auf? Wer waren seine Eltern? Wie lebte die Familie? In welcher gesellschaftlichen Umgebung bewegten sich die Cullmanns? In welchen Bildungstraditionen wurde Oscar geschult? In welche